Aber wenigstens Luisa scheint sich nun entschlossen zu haben, was sie auf das Schloss mitnehmen will. Jedenfalls packt sie sehr entschieden mehrere Hosen und Hemden in ihren kleinen Koffer und schliesst ihn.
»So, fertig! Glaube ich jedenfalls.« Luisa greift nach mir und setzt mich auf ihren Schoss, dann beginnt sie, mich unter dem Maul zu streicheln. Sehr angenehm! »Es ist schon komisch: Ich freue mich riesig – aber ich habe auch ein bisschen Angst. Was, wenn die wieder total bl?d zu mir sind? Manchmal habe ich Angst, dass ich in Hamburg nie Freunde finden werde. Ich bin auf alle F?lle sehr froh, dass du mitkommen darfst. Das war eine gute Idee von Carolin. Mit dir zusammen bin ich immer viel mutiger, weisst du?«
Bei so einem Lob f?ngt mein Schwanz doch fast von alleine an zu wedeln! Luisa kichert.
»Hihi, deine Haare kitzeln an meinen Beinen!«
Richtig. Luisa tr?gt ja nur ihr Nachthemd. Und jetzt g?hnt sie herzhaft.
»Vielleicht hat Papa Recht, und es ist wirklich ziemlich fr?h. Ich lege mich noch ein bisschen hin. Willst du mit in mein Bett kommen?«
Na, das muss man mich nun garantiert nicht zweimal fragen. Begeistert folge ich Luisa in ihr Kinderzimmer und h?pfe zu ihr ins Bett. Dort lege ich mich zu ihren F?ssen und schlafe sofort ein.
»So, dann zeige ich euch jetzt mal, wo ihr schlafen werdet.« Corinna von Eschersbach, die Frau des jungen Grafen, f?hrt uns durch einen Teil des Schlosses, den selbst ich noch nie gesehen habe. Er liegt im Westfl?gel, also dem Teil, in dem der junge Graf mit seiner Familie wohnt. Von innen sieht es hier eigentlich aus wie in einem normalen Haus, nur gr?sser. Die Decken sind sehr hoch, und wenn ich das nicht schon aus dem anderen Teil des Schlosses gew?hnt w?re, w?rde es mir vielleicht ein bisschen Angst machen. Den f?nf M?dchen scheint es jedenfalls gerade so zu gehen – sie laufenmit weit aufgerissenen Augen und M?ndern hinter der Gr?fin her und haben sogar aufgeh?rt, miteinander zu tuscheln. Carolin, die auch dabei ist, dreht sich zu den Kindern um.
»Also, das ist schon etwas Tolles, so ein echtes Schloss, oder? Ich muss sagen, dass ich euch ein bisschen beneide. Das n?chste Mal komme ich mit, Frau von Eschersbach!«
Die beiden Frauen lachen. Dann?ffnet Corinna von Eschersbach eine T?r zu einem grossen Raum, der offensichtlich als Schlafsaal dienen soll. Jedenfalls stehen hier mehrere Betten nebeneinander, jeweils getrennt durch ein kleines Schr?nkchen. Zwei der Betten sehen sogar aus wie ein kleiner Turm – mit einem Bett oben und einem unten. Sehr interessantes Konstrukt.
»Jede von euch kann sich nun ein Bett aussuchen und im Schrank daneben ihre Sachen verstauen. Die Stockbetten teilen sich den etwas gr?sseren Schrank daneben. Ihr werdet euch einig, oder?«
Die M?dchen nicken und beginnen sofort, ihre Sachen auf den Betten zu verteilen. Corinna nickt Carolin zu.
»H?tten Sie noch Lust auf einen Kaffee?«
»Gerne.«
Kurz darauf sitzen wir in einer K?che – allerdings nicht in Emilias Reich, der grossen Schlossk?che im Erdgeschoss, sondern in einer viel kleineren, die mich stark an die K?che in Marcs Wohnung erinnert. Corinna von Eschersbach giesst Carolin einen grossen Becher mit Kaffee und Milch ein.
»Ich hoffe, dass die M?dchen am Sonntag auch wirklich zufrieden sind. Es ist schliesslich das erste Mal, dass ich so etwas mache – obwohl ich schon l?nger Lust dazu hatte. Mein Schwiegervater hat sich bisher immer gegen die Idee gewehrt, aber mit F?rsprache von Herrn Dr. Wagner hat es diesmalgeklappt. Also, dr?cken Sie uns die Daumen, dass es sch?n f?r die Kinder wird.«
»Ach, bestimmt wird es das, da habe ich gar keine Zweifel! Ponys, ein echtes Schloss – was soll da schiefgehen?«
»Sie haben Recht. Ich habe mir auch schon ein paar sch?ne Dinge ?berlegt, die wir an diesem Wochenende unternehmen werden. Um den Reitunterricht mache ich mir sowieso keine Sorgen, schliesslich bin ich ausgebildete Reitlehrerin.«
»Na also – das wird bestimmt toll. Aber noch eine ganz andere Frage: Ist es in Ordnung, wenn Herkules bei Luisa schl?ft? Ich fand es sehr nett, dass sie ihn ?berhaupt mitnehmen darf. Aber wenn das mit dem Schlafen ein Problem ist, habe ich daf?r Verst?ndnis. Wissen Sie, Luisa hatte es in den letzten Monaten nicht leicht. Sie ist gerade erst von M?nchen nach Hamburg gezogen, und ich habe das Gef?hl, dass sie sich mit Herkules zusammen etwas sicherer f?hlt.«
»Nat?rlich, das verstehe ich. Und solange Herkules stubenrein ist und hier nicht die Vorh?nge anknabbert, darf er gerne bei den M?dchen bleiben.« Sie nimmt einen Schluck aus ihrem Becher und mustert Carolin neugierig. »Luisa ist nicht Ihre gemeinsame Tochter, oder?«
Caro sch?ttelt den Kopf. »Nein. Luisa ist Marcs Kind aus erster Ehe. Aber wir wohnen seit ein paar Wochen zusammen, und ich mag das M?dchen sehr gerne.«
»Das merkt man. Und es scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen.«
»Ja. Jedenfalls hoffe ich das. Trotzdem ist es f?r Luisa nat?rlich nicht einfach. Im Grunde ihres Herzens w?nscht sie sich bestimmt, dass ihre Eltern wieder ein Paar w?ren.«
Corinna von Eschersbach nickt.»Tja, Patchwork ist oftmals schwierig. Ich weiss, wovon ich rede. Meine Mutter hat nach der Trennung von meinem Vater auch noch einmal geheiratet. Die erste Zeit war es nicht leicht. Aber ich kann Sie beruhigen – heute verstehen wir uns alle gut, und ich habe auch sehr sch?ne Erinnerungen an meine Kindheit. Und ?brigens«, sie beugt sich zu mir herunter und streicht mir ?ber den Kopf, »ist daf?r unter anderem ein Artgenosse von Herkules verantwortlich. Apropos Herkules – heisst der nicht Carl-Leopold? Oder haben Sie ihn umgetauft?«
»Oh, das ist eine l?ngere Geschichte. Aber ich erz?hle sie immer wieder gern!«
»Bist du schon einmal geritten?« Lena, die anscheinend die Anf?hrerin des Tussi-Clubs ist, hat bereits Reithose und Reitstiefel an und steht vor Luisa, die sich noch umziehen muss.
»Ja. Bei meiner Mama in M?nchen gab es einen Reitstall, der hatte ganz tolle Pferde. Ich hatte sogar ein Pflegepony, das ich jeden Tag reiten durfte. Es hiess Sally.«
Lena zieht eine Augenbraue hoch. Nach allem, was ich?ber menschliche Mimik weiss, nicht unbedingt ein Ausdruck von Freundschaft und Wertsch?tzung.
»So.Sally. Dann bin ich mal gespannt, wie gut du reiten kannst.Ich reite schon seit drei Jahren. Und Carla, Emmi und Greta schon fast genauso lange. Deswegen konnte ich dich nat?rlich auch nicht zu meinem Pony-Geburtstag einladen. Ich wusste ja nicht, dass du reiten kannst.«
H?ttest sie ja fragen k?nnen, du kleine Wichtigtuerin. Ob sich Luisa freut, wenn ich Lena mal ein bisschen zwicke? Vielleicht in den Po? Dann kann sie n?mlich garantiert nicht mehr reiten. Wie gerne w?rde ich genau das jetzt tun. Aber ein Blick auf Luisa h?lt mich davon ab. Denn sie sieht nichtso aus, als sei sie sauer auf Lena. Eher so, als wolle sie ihr irgendwie gefallen. Traurig, aber wahr: Die Hierarchie in diesem M?dchenrudel scheint klar zu sein, und wenn Luisa da mitmachen will, muss sie erst einmal kleine Br?tchen backen.
»Seid ihr fertig umgezogen und startklar f?r eure erste Reitstunde?« Corinna kommt herein, auch sie hat schon Reitsachen an und riecht nach Pferd. Puh, wenn Luisa nun wirklich zur Vollblutreiterin wird, muss sich meine Nase wohl auf einiges einstellen. Andererseits – w?re ich zum Jagdhund ausgebildet worden, dann w?rde ich bei diesem Geruch bestimmt an eine Fuchsjagd denken und in wilde Begeisterung ausbrechen.
Kurz darauf finde ich mich im Pferdestall wieder, wo die M?dchen ihre Ponys putzen und satteln. Als Welpe war ich hier nie, also ist es auch f?r mich ganz interessant. Luisa hat ein kleines weisses Pony von Corinna bekommen, es heisst Lucky, und soweit ich das beurteilen kann, sieht es sehr sanftm?tig aus.
»Hey, Kollege«, versuche ich, Lucky in ein Gespr?ch zu verwickeln, »ich hoffe, du passt gut auf Luisa auf. Sie ist wirklich ein sehr nettes M?dchen.«