»Oh, das ist ja toll«, freut sich Nina, »ich dachte, wir h?tten unser Personalbudget schon ?berzogen.«
Sommer nickt.
»Ja, das stimmt. Aber es handelt sich um einen meiner neuen Doktoranden. Bekommt ein Stipendium, kostet uns also nichts. Mediziner, sehr motiviert. Und er wollte unbedingt zu Ihnen.«
»Ach ja?«
»Er schien Sie zu kennen. Vielleicht hatte er als Student mit Ihnen zu tun? Vorklinik oder so? Jedenfalls war er ausgezeichnet ?ber die Arbeitsgruppe informiert, da haben wir bestimmt einen guten Fang gemacht.«
»Interessant. Wie heisst der junge Mann denn?«
»Tja, Frau Bogner. Ich und Namen, nicht? Aber ich gucke es gleich nach, wenn ich wieder im B?ro bin, versprochen. Dann rufe ich Sie an.«
»Eilt ja nicht. Aber eine Weile bin ich noch da. Wir versuchen gleich mal, die Maschine zum Laufen zu kriegen.«
Sommer verl?sst das Zimmer, und Nina und Carolin heben den Kaffeeautomaten aus dem Karton und stellen ihn wieder auf das Schr?nkchen. Den Stecker l?sst Nina in einer Dose dahinter verschwinden, dann klappt sie die Maschine auf und zieht eine Art kleinen Eimer heraus.
»Jetzt noch Wasser in den Tank – und schon k?nnen wir mit unserem ersten Cappuccino anstossen.«
Gesagt, getan– kurz darauf halten beide eine Tasse in der Hand, die nach Kaffee duftet und ein H?ubchen aus Milch tr?gt. Riecht ganz angenehm, ist aber wahrscheinlich nichts, was mir schmecken w?rde. Nina und Caro prosten sich zu.
»Auf gutes Gelingen in deiner neuen Arbeitsgruppe!«
»Danke!«
Das Telefon auf Ninas Schreibtisch klingelt, sie hebt den H?rer ab.
»Ja? Hallo, Herr Professor Sommer! Genau. Wie heisst er denn nun?« Sie horcht in den H?rer. »Aha. Klein. Ist ja ein Allerweltsname. Hm. Ja, schauen Sie mal.«
Einen Moment sagt Nina nichts, sie scheint darauf zu warten, dass Sommer noch etwas f?r sie heraussucht. Dann reisst sie die Augen auf – und l?sst die Tasse, die sie noch in der anderen Hand h?lt, auf den Boden fallen!
Im Auto kann sich Nina gar nicht wieder beruhigen.»Das gibt’s doch wohl nicht! Alexander Klein! Was f?llt dem ein? So was nennt man Stalking!«
»Vielleicht ist es ja ein anderer Alexander Klein«, wirft Carolin vorsichtig ein, »so selten ist der Name nun auch wieder nicht.«
Nina schnaubt w?tend. »Das glaubst du doch wohl selbst nicht! So viele Zuf?lle gibt’s gar nicht. Und vom Alter kommt es hin.«
»Ist dein Nachbar denn auch Medizinstudent?«
»Woher soll ich denn das wissen?«
»Na, aus den wertvollen und tiefsinnigen Gespr?chen, die ihr gef?hrt habt, bevor ihr miteinander geschlafen habt.« Caro grinst. Ich kann es von meinem Platz im Fussraum der Beifahrerseite zwar nicht sehen, aber am Ton ihrer Stimme erkenne ich es genau.
»Ha ha, sehr witzig. Wir hatten Sex, na und? Kein Grund, mich jetzt zu verfolgen.«
»Aber auch kein Grund, ihn komplett zu ignorieren. Ich hab’s dir gleich gesagt – vielleicht ist er ein bisschen verliebt in dich. Ist ja nicht strafbar. Und auch nicht so schwer zu verstehen.«
Nina sagt daraufhin nichts mehr und schweigt, bis wir wieder zu Hause angekommen sind. Dort verabschiedet sich Nina von uns und geht gleich nach oben in ihre Wohnung, Carolin und ich gehen in die Werkstatt. Sie legt ihre Handtasche auf die Kommode im Flur, dann schaut sie zu Daniel ins Zimmer.
»Ich bin wieder da!«
»Alles klar. Ich habe mir gerade einen Kaffee gekocht. M?chtest du auch einen?« Daniel guckt von seiner Werkbank hoch.
»Danke, ich habe eben einen Cappuccino mit Nina getrunken. Das heisst, ich habe meinen getrunken, sie hat ihren fallen lassen, als sie geh?rt hat, dass ihr neuer Nachbar auch gleichzeitig ihr neuer Assistent ist.«
»Echt? So schlimm? Oder so toll?«
Caro verzieht den Mund und wiegt den Kopf hin und her.»Ich w?rde denken: Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.«
»Klingt geheimnisvoll.«
»Sagen wir mal so: Nina hatte einen heftigen Flirt mit dem Kerl und behauptet nun, er w?rde sie nerven und sei nicht ihr Typ. Aber ich kenne meine Freundin: raue Schale, weicher Kern. Wenn sie so heftig auf ihn reagiert, hat er irgendwas, was sie eigentlich gut findet, aber nicht zugeben will. Weisst du, bloss nicht uncool werden – das ist doch Ninas Motto. Da wird sie gerne mal zum Gefrierschrank, obwohl sie jemanden mag. Oder vielleicht gerade deswegen.«
»Och, bei Marc war sie doch damals alles andere als frostig. «
»Ich weiss. Und ich glaube, das hat sie ihm bis heute nicht verziehen. Dass er sie aufgetaut hat.«
Daniel hebt die H?nde. »Also, da halte ich mich raus. Ich bin mit meiner eigenen schwierigen Freundin schon v?llig ausgelastet.«
»Echt? So schlimm?«
»Na ja. Einfach ist Aurora nicht.«
Beide lachen.
»Was h?ltst du denn davon, heute Abend mal mit einer pflegeleichten Frau ein Bierchen trinken zu gehen?«
»Eine Superidee. Bloss – wo soll ich die so schnell kennenlernen? Ich meine, ich muss hier noch arbeiten, und dann …«
»He!« Caro knufft Daniel in die Seite. »Nun mal nicht frech werden! Also, wie schaut es aus?«
»Heute Abend? Gerne. Wo?«
»Ich ?berlege mir noch was. Jetzt fahr ich erst mal los, zwei Geigen ausliefern, und anschliessend nach Hause. Bei dem sch?nen Wetter hat sich Herkules einen etwas l?ngeren Spaziergang verdient. Ich melde mich dann sp?ter bei dir.«
Es ist perfekt! Die Alster glitzert in der Nachmittagssonne, Carolin ist gut gelaunt, und endlich laufe ich mit ihr wieder eine richtig lange Runde. Klar, im Park hinter der Werkstatt geht sie oft mit mir spazieren, aber das ist nat?rlich nicht das Gleiche. Dort ist alles viel kleiner, und ausserdem kenne ich den Park mittlerweile in-und auswendig.
Der Ausflug an die Alster hat allerdings noch einen anderen unschlagbaren Vorteiclass="underline" Wenn es irgendwo die Chance gibt, Cherie zu begegnen, dann hier. Und dann k?nnte ich gleich mal mit der Zeugenbefragung beginnen. Am besten lotse ich Carolin zur Hundewiese, da k?nnten wir Gl?ck haben.
Aber sosehr ich an der Leine auch in Richtung Wiese zerre, Carolin will sich erst mal ein Eis holen. Na gut, wenn es denn unbedingt sein muss! Gelangweilt warte ich, dass der Eismann ihr das H?rnchen in die Hand dr?ckt. So, nun aber los! Ich drehe mich um, will losrennen, und stolpere direkt in: Cherie!
»Hallo, Cherie! Das ist ja ein Zufall!«
Cherie legt den Kopf schief und mustert mich.»Findest du? Es ist sch?nes Wetter, es ist heiss – da ist doch der Weg zur Eisdiele an der Alster naheliegend. Jedenfalls, wenn man hier wohnt und sowieso mit dem Hund rausmuss.«
Hach, messerscharf, der Verstand dieser Frau. Sie ist eben nicht nur sch?n, sie ist auch noch schlau.
»Okay, du hast Recht. Vermutlich kann man heute noch viele Menschen und Hunde hier treffen, die man kennt. Aber gut, dass ich dich sehe. Ich wollte dich sowieso etwas fragen.«
»Dann schiess los. Die Gelegenheit ist g?nstig: Unsere beiden Frauchen haben sich gerade verquatscht.«
So ist es: Carolin und Claudia Serwe stehen ganz entspannt mit ihrem Eis in der Hand da und plaudern miteinander. Also, los geht’s mit meiner Zeugenbefragung: »Sag mal, der Typ, der dich umgefahren hat: Ist dir an dem irgendwas aufgefallen?«
Cherie sch?ttelt den Kopf. »Nein, daf?r ging es viel zu schnell.«
Hm, das ist nat?rlich nicht besonders ergiebig. Aber – nicht so schnell aufgeben, Herkules!
»Denk doch noch mal nach. Vielleicht irgendeine Kleinigkeit? Jedes Detail ist wichtig.«
»Wieso willst du denn das noch wissen? Der Typ ist doch sowieso ?ber alle Berge.«
Ich ignoriere diesen v?llig berechtigten Einwand. »Bitte, Cherie, denk nach!«
»Okay. Mal sehen. Also: Er hatte eine grosse Tasche mit Riemen ?ber seiner Schulter, die Tasche selbst hing hinten auf seinem R?cken. Und ich glaube, die war schwarz.«
»Das ist doch schon mal nicht schlecht.«