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»He«, Fritz knufft mich in die Seite, »sei nicht traurig. Die Pflegerin hat's doch gerade gesagt: Du bist so ein richtiger Menschentyp, dich holt bald einer hier raus. Und dann zeigst du den beiden Idioten da drüben den Stinkefinger, denn die will garantiert keiner haben.«

Ich schaue Fritz nachdenklich an. Hoffentlich hat er Recht.

Am nächsten Morgen fühle ich mich wie gerädert. Ich habe kaum geschlafen - und wenn mir doch mal für fünf Minuten die Augen zugefallen sind, hatte ich furchtbare Alpträume. Von Boxern und Pitbulls, die mich durch den Zwinger jagen, und riesigen Mengen Dosenfutter, das ganz abscheulich schmeckt. Müde trotte ich zu Fritz, der schwanzwedelnd an der Käfigtür steht.

»Morgen. Was bist du denn schon so wach und gut gelaunt?«, will ich von ihm wissen.

»Na, heute ist Besuchstag. Und falls tatsächlich ein Mensch auf der Suche nach einem Hund vorbeikommt, will ich gleich einen guten Eindruck machen. Bin ja nicht mehr der Jüngste, da ist es umso wichtiger, dynamisch und gut gelaunt zu wirken. Wirst schon sehen, Menschen mögen so was.«

Ob er damit richtig liegt? Eigentlich habe ich gar keine Lust, den dressierten Dackel zu geben. Aber der Gedanke, mich auf einen längeren Aufenthalt hier einzurichten, ist zugegebenermaßen furchtbar. Ich stelle mich also neben Fritz und wedele auch ein bisschen unmotiviert mit dem Schwanz hin und her. Und auf so eine billige Masche fallen Menschen herein? Unglaublich.

»Sag mal, wie heißt du eigentlich?«, will Fritz wissen.

»Carl-Leopold«, antworte ich knapp.

»Carl-Leopold? Komischer Name für einen Hund.«

»Finde ich nicht. Kommt eben ganz darauf an, aus welchem Stall man kommt.« Banause! Was weiß der schon von schönen Namen? »Ich bin ein von Eschersbach«, füge ich stolz hinzu.

»Von Eschersbach? Sagt mir nichts«, brummt Fritz nur und wedelt weiter.

Ich seufze. Wirklich ein Banause. Ein netter zwar, aber eben doch ein Banause. Gerade will ich anfangen, Fritz in die Grundzüge meiner Familiengeschichte einzuweihen, da klappt im Haus neben unserem Zwinger eine Tür. Augenblicklich bin ich wie elektrisiert. Nicht wegen des Geräuschs - schließlich herrscht in dieser Einrichtung ein Lärmpegel, dass einem Dackel eigentlich die zarten Öhrchen abfallen müssten. Nein, es ist vielmehr ein ganz unbeschreiblicher Geruch, der geradewegs auf meine Nase zuströmt. Auch Fritz scheint Witterung aufgenommen zu haben, denn er stellt sein blödsinniges Gewedel ein und presst stattdessen seine Schnauze durch die Gitterstäbe.

»Riechst du das auch?«, will ich von ihm wissen. Er nickt. »Toll, oder?«

»Ja, Wahnsinn!«, gibt er mir Recht.

»Das ist der schönste Geruch, den ich an einem Menschen je wahrgenommen habe«, stelle ich fest.

Dass dieser Geruch zu einem Menschen gehört, ist klar. Das riecht jeder Hund sofort. Aber was für ein Mensch ist das wohl, der so gut riecht? Nicht etwa profan gut wie Fleischwurst oder Schokokeks. Nein, eher wie ... ich grüble nach ... genau - wie ein schöner Sommertag. Ein glücklicher Sommertag. Ganz viel nach Blumen, ein bisschen nach Erdbeeren und ein Hauch Pfefferminz. Fantastisch.

»Wahrscheinlich sind wir gleich enttäuscht, wenn wir den Menschen sehen. Die blödesten Menschen riechen immer am besten«, meint Fritz fachmännisch.

»Echt?«, will ich wissen. »Da habe ich ehrlicherweise noch keinen Zusammenhang festgestellt. Das kann ich nicht beurteilen.«

»Doch, doch. Jede Wette.«

Gespannt blicken wir Richtung Tür. Und da kommt sie auch schon zu den Zwingern, gefolgt von der Latzhose. Fritz lag völlig daneben. Denn für einen Menschen ist sie wunderschön, wie ein Engel. Sie unterhält sich mit der anderen Frau und lacht dabei. Ihre Augen lachen mit - was besonders schön aussieht und bei den Menschen ziemlich selten ist. Meistens verziehen die beim Lachen nur den Mund. Was schade ist. Also, wenn ich lachen könnte, ich würde die Augen mitmachen lassen. Sieht eindeutig besser aus.

»Hm, also ein etwas kleinerer Hund soll es sein? Und gerne ein jüngerer?« Der Engel nickt.

Fritz lässt sofort die Ohren hängen. Er weiß, was das bedeutet: wieder kein Frauchen für ihn. Denn Münsterländer sind alles andere als klein - und ein junger Hund ist Fritz schon lange nicht mehr. Er senkt den Kopf. »Viel Glück!«, flüstert er mir noch zu, dann trottet er an mir vorbei. Natürlich tut er mir leid - aber vielleicht ist das wirklich meine Chance? Ich versuche es noch mal mit der Fritz'schen Taktik, wedele also aufgeregt mit dem Schwanz und versuche, möglichst freundlich zu bellen. Tatsächlich steuern die beiden Frauen jetzt direkt auf mich zu.

»Das hier ist zum Beispiel unser Junior. Haben wir gerade erst bekommen. Ungefähr ein halbes Jahr alt.«

Sie streckt ihre Hand durch das Gitter, ich schlecke sie gleich ab. Na, wenn das jetzt keinen guten Eindruck macht, weiß ich auch nicht. Der Engel beugt sich zu mir herunter.

»Na, was bist du denn für ein Süßer? So ein niedlicher Kerl!« Begeistert springe ich auf und ab.

»Ja, echt ein Hübscher. Ein Dackelmix.«

Autsch. Mix. Verdammt. Das tat weh. Ich höre augenblicklich auf, den begeisterten Hund zu mimen. Nicht, dass es nicht stimmen würde. Im Gegenteil. Fräulein Latzhose hat Recht. Und damit bringt sie meine Schmach auf den Punkt: Ich bin ein Mischling. Das Ergebnis von Mamas Affäre mit einem sehr schneidigen Terrierrüden. Genau deswegen bin ich hier. Denn ich bin zwar Carl-Leopold von Eschersbach. Aber ein reinrassiger Dackel mit den besten Papieren - das bin ich nicht. Für die Jagd gänzlich ungeeignet. Und für die Zucht sowieso. So hat es der alte Schlossherr Eschersbach gesagt, bevor er mich in einen Karton setzte und mich hierherfuhr. Emilia hat geweint, aber sie hatte ja schon meine Schwester genommen, und zwei Hunde waren ihr natürlich zu viel.

Offenbar habe ich angefangen zu winseln, denn jetzt streckt auch der Engel seine Hand durch den Käfig und streichelt mich.

»Och, du Armer, was hast du denn? Bist du traurig?«

Wie peinlich. Ein Eschersbach weint doch nicht. Und dann noch vor einer so schönen Frau. Himmel, wo soll das noch enden? Aber offensichtlich war das genau das Richtige, denn jetzt richtet sich der Engel auf, zeigt auf mich und sagt: »Den will ich haben. Auf alle Fälle. Kann ich ihn gleich mitnehmen?«

Die Latzhose nickt. »Kommen Sie mit rein, dann erledigen wir die Formalitäten. Alle Impfungen hat er schon, er kommt von einem sehr gewissenhaften Züchter. Kleiner Betriebsunfall gewissermaßen.«

Bei den letzten Worten kichert sie. Und dafür würde ich sie sehr gerne in die Hand zwicken. Lasse es aber. Sonst muss ich nachher doch hierbleiben.

Zwanzig Minuten später sitze ich sicher in der Box verstaut auf dem Rücksitz von Carolins Auto. Carolin - so heißt mein Engel. Habe ich bei der Verabschiedung mitgekriegt. Carolin. Ein schöner Name. Sehr edel. Wahrscheinlich - ach was - ganz sicher ist Carolin aus noblem Hause. So etwas merkt ein Hund wie ich einfach. Carolin jedenfalls ist gut gelaunt. Sie pfeift ein Lied und schaut ab und zu in den Rückspiegel, um nach mir zu sehen.

»So, mein Süßer, jetzt lernst du gleich dein neues Zuhause kennen. Ich bin sehr gespannt, wie es dir gefällt.«

Und ich erst! Ob es wohl so schön ist wie auf Schloss Eschersbach? Mit einem großen Park? Und vielen Kaninchenbauten? Das Auto wird langsamer, schließlich hält es an. Carolin öffnet die Tür und hebt die Box heraus. Jetzt habe ich den Geruch von Erdbeeren und Minze direkt vor der Nase und würde Carolin am liebsten von oben bis unten abschlecken. Aber noch muss ich mich gedulden, aus der schaukelnden Box herauszukommen.