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Um mich herum wird es dunkler, und es schaukelt noch stärker: Carolin trägt mich eine Treppe hinauf. Ich versuche, mit meiner Nase durch das Gitter der Box einen ersten Eindruck von meinem neuen Domizil zu erschnüffeln. Auf alle Fälle scheint es ein Ort zu sein, an dem verschiedene Menschen leben. Und verschiedene Tiere. Auf Anhieb kann ich mindestens eine Katze ausmachen.

Jetzt stellt Carolin die Box ab, und ich höre, wie sie eine Tür aufschließt. Sie schiebt die Box mit dem Fuß ein Stück weiter. Dann nestelt sie am Deckel herum, öffnet ihn und hebt mich vorsichtig heraus.

»Et voilà! Hier wirst du von nun an wohnen. Schau dich ruhig um, kleiner Mann.«

Im ersten Moment sehe ich gar nichts - so hell ist es hier. Ich blinzele vorsichtig und versuche, mich an das Licht zu gewöhnen. Schemenhaft erkenne ich langsam, dass wir wohl in einem menschlichen Wohnzimmer stehen. Vor dem Fenster steht eine große Couch, die so aussieht, als könnte ein kleiner Dackel dort sehr bequem ein Nickerchen halten. Ob das bei Carolin wohl erlaubt ist? Im Schloss jedenfalls war es streng verboten. Was natürlich dazu führte, dass meine Schwester und ich nichts lieber taten, als auf das Sofa im Salon zu hopsen. Schon allein, weil es urkomisch war, wenn der alte Schlossherr trotz seines Gehstocks wie ein geölter Blitz auf uns zuschoss und wild mit ebenjenem Stock herumfuchtelte, um uns zu verscheuchen.

Ich trabe zum Sofa und schnuppere am Bezug. Hm, auch Erdbeeren und Minze. Aber noch irgendetwas anderes. Kein Tier. Eher noch ein Mensch. Tief tauche ich in den Geruch ein. Hm, habe ich nicht nur ein neues Frauchen, sondern auch noch ein Herrchen? Ein Frauengeruch ist das jedenfalls nicht. Während ich noch überlege, hebt mich Carolin hoch und setzt mich - ja! ja! ja! - auf das Sofa, sich selbst gleich daneben. Begeistert schlecke ich ihre Hände ab - diese Frau weiß ganz offensichtlich, was Dackel lieben. Sie lacht und zieht ihre Hände weg. Dann sieht sie mich nachdenklich an.

»So, mein Kleiner: Ich habe alles für dich besorgt: Körbchen, Leine, Fressnapf, Futter. Dann fehlt nur noch eins ...« Ich schüttle den Kopf, für meinen Geschmack klang das ziemlich vollständig. »Du brauchst noch einen schönen Namen.«

Ich quieke überrascht - einen schönen Namen habe ich doch schon! Oder hat mich von Eschersbach einfach so im Tierheim abgestellt? Ohne noch ein paar Sachen über mich zu erzählen? So eine Herzlosigkeit!

Offenbar merkt Carolin meine Empörung, sie hebt mich auf ihren Schoß, dann gucken wir uns in die Augen.

»Hm, also, wie könnte so ein Kerlchen wie du wohl heißen? Wonach siehst du denn aus?«

Ich versuche, mich möglichst wirkungsvoll in die Brust zu werfen und sehr würdevoll auszusehen. Vielleicht kommt sie dann von allein auf Carl-Leopold? Zur Unterstreichung dieses Anblicks belle ich noch zweimal staatstragend. Los, Carolin, denk mal scharf nach!

»Auf alle Fälle bist du kein gewöhnlicher Hund - du scheinst mir wirklich Charakter zu haben. Innerlich bist du gewissermaßen viel größer, als du von außen aussiehst.«

Ja! Genau! Gleich hat sie's! Majestätisch werfe ich den Kopf zurück.

»Ich hab's! Ich nenne dich Herkules.«

Wie bitte? HERKULES? Alter Grieche statt alter Adel?

ZWEI

Herkules! Gut, Carolin mag keinen Geschmack haben, was die Namenswahl bei Dackeln anbelangt, und an diesen merkwürdigen neuen Namen muss ich mich auch erst mal gewöhnen. Ein Händchen für die richtige Wohngegend hat sie aber auf alle Fälle. Tatsächlich scheint das Haus, in dem ich jetzt wohne, fast so groß wie Schloss Eschersbach zu sein. Mein Gefühl, dass Carolin aus den besten Verhältnissen stammt, scheint also zu stimmen. Auch die Nachbarn residieren nicht gerade in bescheidenen Hütten. Direkt hinter unserem Haus beginnt ein Park. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob der Carolin allein gehört, denn er ist wirklich riesig. Als wir dort einen kurzen Spaziergang machen, kann ich überhaupt nicht erkennen, wo der Park endet - toll!

Und er ist nicht nur groß, es wartet auch das Abenteuer in ihm. Schon nach ein paar Schritten wittere ich die ersten Kaninchen und Eichhörnchen. Sofort will ich loslaufen, da erinnert mich ein unsanfter Ruck im Nacken daran, dass Carolin etwas für mich besorgt hat, was für mich völlig ungewohnt ist: eine Art Strick, den sie an meinem Halsband festgemacht hat. Aua! Was soll das denn? Ich drehe mich um, nehme das Ding in die Schnauze und zerre ein bisschen daran. Carolin kniet sich zu mir herunter.

»Na, Herkules? Magst du deine neue Leine nicht? Oder bist du noch nie so spazieren gegangen? Ich bin mir gar nicht sicher, ob so ein kleiner Hund wie du das gleich kann. An der Leine gehen, meine ich. Aber leider herrscht hier Leinenzwang, und ich kann dich nicht einfach herumlaufen lassen.«

Bei dem Wort »Leinenzwang« muss ich noch ein bisschen wilder auf dem Strick herumbeißen. Ich weiß zwar nicht genau, was das bedeutet, aber es klingt definitiv wie etwas, was sich gegen Hunde richtet.

»Ts, ts!«, sagt Carolin und dann streichelt sie mir ganz zärtlich über den Kopf. Ich lasse die Leine los und schaue sie an.

»Ich muss mir wohl ein Buch über Hundeerziehung kaufen. Oder vielleicht ein paar Stunden beim Hundetrainer buchen? Du bist nämlich mein allererster Hund überhaupt. Aber gestern hatte ich auf einmal das Gefühl, es wäre nett, so ein freundliches, treues Wesen um mich zu haben.«

Okay, das mit der Erziehung ist natürlich überflüssiger Unsinn, und ich hoffe, Carolin kommt noch von allein drauf. Aber das mit dem freundlichen, treuen Wesen trifft hundertprozentig auf mich zu. Wie auf alle von Eschersbach'schen Dackel. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass wir dafür berühmt sind. Ein von Eschersbach verlässt seinen Menschen nie. Nie! Merk dir das, Carl-Leopold!, höre ich Opili sagen. Was aber ist, wenn der Mensch auf einmal den Dackel verlässt? Dazu wäre Opili bestimmt auch nichts eingefallen, füge ich in Gedanken finster hinzu. Einen Moment will sich schlechte Laune bei mir breitmachen, aber da raschelt Carolin mit irgendwas in ihrer Tasche. Hmh, nicht mit irgendetwas - den Geruch kenne ich doch! Es ist Fleischwurst. Sie hält mir tatsächlich ein Stück davon unter die Nase.

»Hier, mein Schatz. Beginnen wir doch unsere erste Trainingseinheit in Sachen Spaziergang mit etwas Erfreulichem. Ich hoffe, du magst das.«

Ich schnappe mir den Wurstzipfel und springe gleich mal begeistert auf und ab. Carolin soll doch wissen, dass das auf alle Fälle die richtige Idee war.

»Das freut dich, nicht wahr? Vielleicht lassen wir das Leinentraining auch erst mal und besuchen stattdessen Daniel. Wird Zeit, dass du den kennenlernst. Um diese Uhrzeit ist er bestimmt gerade fleißig und vielleicht für ein bisschen Abwechslung dankbar.«

Schade, ich wäre gerne noch im Park geblieben. Auch mit Leine. Vielleicht hätten wir noch einen anderen Hund getroffen, den ich ein bisschen über die Nachbarschaft hätte ausquetschen können. Man will ja schließlich wissen, mit wem man es zu tun hat. Aber wenn dieser Daniel so wichtig ist - bitte, von mir aus!

Carolin geht genau den Weg zurück, den wir gerade gekommen sind, und ich gebe mir Mühe, brav an der Leine hinter ihr herzutrotten. Vielleicht kriege ich noch ein Stück Wurst, wenn ich ihr jetzt ein pädagogisches Erfolgserlebnis verschaffe. Tatsächlich dreht sie sich kurz zu mir um.

»Braver Herkules! Du lernst aber schnell!«, lobt sie mich. Leider ohne noch einmal in ihre Tasche zu greifen. Sei's drum, Hunger habe ich ja eigentlich keinen.

Mittlerweile stehen wir wieder vor unserem Haus. Ob dieser Daniel auch hier wohnt? Carolin beugt sich zu mir und nimmt mich auf den Arm.

»So, ab in die Werkstatt!«