Выбрать главу

Pah! Mir doch egal. Hättest mich ja bei Daniel parken können, wenn ich störe. Carolin überlegt einen Augenblick, dann kniet sie sich zu mir herunter.

»Herkules, Schätzchen, sei ein braver Hund und komm jetzt mit. Ich verspreche dir, es geht ganz schnell. Ich muss nur etwas abliefern, dann gehen wir wieder nach Hause zu Daniel. Bitte! «

Täusche ich mich, oder bekommt ihre Stimme bei dem Namen »Daniel« einen ganz warmen Klang? Ist vielleicht auch Wunschdenken, aber auf alle Fälle besänftigt mich der Gedanke an eine baldige Rückkehr. Ich gebe meinen Widerstand auf und trotte einen Schritt auf Carolin zu. Die krault mich kurz am Hals.

»Danke, Süßer. Ich beeile mich auch.«

Kurz darauf stehen wir vor der Drehtür eines großen Gebäudes.

»Willst du draußen warten?«

Ne, will ich nicht. Ich drücke mich ganz eng an Carolins Bein.

»Na gut, dann komm mit rein. Aber lass mich kurz die Leine abmachen, nicht, dass du dich noch in der Tür verhedderst.«

Sie bückt sich und hakt die Leine von meinem Halsband ab, dann wuchten wir uns mitsamt Kasten durch die Tür, was gar nicht so leicht ist. Schließlich bin ich zwar klein, aber lang, und eine Drehtür zu passieren, ohne sich den Schwanz einzuklemmen, ist eine gewisse Herausforderung. Menschen haben das Problem nicht, sonst wären sie nicht auf eine so blöde Konstruktion verfallen. Das Glas touchiert auch leicht die Spitze meiner Rute, aber dann sind wir drin. Vor uns liegt eine riesige Halle, in der ziemlich viele Menschen hin- und herlaufen. Links und rechts ist auf jeder Seite ein Säulengang, was der Halle gewisse Ähnlichkeit mit dem Ballsaal auf Schloss Eschersbach verleiht.

Ich bin mir sicher, dass ich hier noch nie war, und dennoch kommt mir dieser Ort bekannt vor. Nicht nur wegen Schloß Eschersbach - ich war mit Carolin schon in einem ähnlichen Raum. An den Seitenwänden stehen große Geräte, die aussehen wie eine Kombination aus einem Schrank und so einem Fernseher, wie ihn Carolin im Wohnzimmer hat. Wenn Menschen nun vor diesen Schränken stehen und etwas unter dem Fernseher eintippen, fangen die Schränke an zu rattern und spucken Papierscheine aus, die auch Carolin immer mit sich herumträgt. Dafür gibt es beim Schlachter Pansen und im Restaurant einen Kaffee, das habe ich schon herausgefunden.

Weiter vorn in der Halle stehen Menschen sowohl vor als auch hinter hohen Tischen und reden miteinander. Es scheint sich hier also um eine Art Begegnungsstätte zu handeln. Nur etwas Essbares habe ich noch nicht erschnüffelt, was sonderbar ist, denn normalerweise gibt es immer etwas zu essen, wenn Menschen sich gezielt treffen. Aber vielleicht ist das hier auch eher ein Ort, an dem sie zusammen spielen. Na ja, wenn Carolin sich an ihr Versprechen hält, sind wir sowieso bald wieder draußen, es lohnt sich also nicht, den genauen Zweck dieser Halle zu ergründen.

Während sich Carolin mit einem Mann weiter vorne in der Halle unterhält, stromere ich ein bisschen herum, schaue mir die Leute an und hocke mich schließlich an den Rand. Mir ist langweilig. Wenn Menschen sich unterhalten, verlieren sie offenbar völlig ihr Zeitgefühl. Ob ich mal zu Carolin trabe und sie ein bisschen am Hosenbein ziehe? Wobei - momentan sehe ich sie gar nicht mehr. Wo ist sie bloß hin? Vielleicht sollte ich sie suchen, sonst dauert das hier noch eine Ewigkeit.

In diesem Moment gibt es einen unglaublich lauten Knall. Ich quietsche vor Schreck und drücke mich an die Wand hinter mir. Was war das? Weiter vorne bei den hohen Tischen entsteht ein Stimmengewirr, Leute laufen durcheinander.

Dann knallt es noch mal und jemand raft: »Alle auf den Boden, aber sofort!«

Und wirklich, wie auf das Kommando »Platz« schmeißen sich die meisten Menschen sofort hin. So muss es auf dem Hundeübungsplatz zugehen, von dem mir meine Mutter ab und zu erzählt hat. Tolle Veranstaltung! Fragt sich nur, was das soll. Und - wo ist Carolin? Liegt sie hier auch irgendwo rum? Langsam schleiche ich weiter nach vorne, bemüht, diese Aufführung nicht zu stören. Am Kopfende der Halle scheint der Mann zu sein, der gerufen hat. Jedenfalls ist er der Einzige, der noch steht. Und nicht nur das - er hat auch irgendetwas in der Hand, mit dem er herumfuchtelt und weitere Kommandos zu geben scheint. Was ist das bloß? Ich versuche, seidich von ihm möglichst unauffällig näher zu schleichen, das muss ich mir mal genauer anschauen.

Als ich mich bis auf zwei Meter herangepirscht habe, dreht sich der Mann plötzlich in meine Richtung. Jetzt kann ich erkennen, was er in der Hand hält: Es ist ein Gewehr. Wie peinlich, das hätte ich doch schon am Knall erkennen müssen! Also wirklich - als Nachfahre berühmter Jagdhunde darf mir das eigentlich nicht passieren. Sinn und Zweck dieser ganzen Übung ist mir allerdings immer noch unklar, denn wie ein Jäger sieht der Mann nicht aus: Er ist ganz schwarz angezogen, zudem kann man sein Gesicht nicht erkennen, weil er auch eine schwarze Mütze trägt, die vom Scheitel bis zum Hals reicht und nur einen Schlitz für die Augen freilässt. Sehr seltsam.

Ich bin so abgelenkt von diesem interessanten Szenario, dass ich nicht merke, wie neben mir ein Mann ebenfalls nach vorne robbt. Erst als er aufspringt und sich direkt auf den Mann mit der schwarzen Mütze stürzt, bekomme ich davon etwas mit. Die beiden rangeln miteinander und gehen schließlich zu Boden, dort kämpfen sie weiter. Unglaublich! Hier passiert ja in fünf Minuten mehr als in Carolins Werkstatt in zwei Wochen. Der Mann ohne Mütze bemüht sich ganz offensichtlich, an das Gewehr zu kommen, während sich der Mützenträger nach Kräften wehrt. Die beiden kugeln hin und her, so verkeilt ineinander, dass man kaum sagen kann, zu wem die jeweiligen Arme und Beine gehören. Dann gibt es plötzlich wieder einen lauten Knall - offensichtlich hat sich ein Schuss gelöst. Der Mann ohne Mütze rollt laut stöhnend zur Seite, der andere steht auf und schüttelt sich. Dann nimmt er das Gewehr, das mittlerweile auf dem Boden liegt, geht damit auf seinen Angreifer zu und - zielt!

Ich weiß sofort, was das bedeutet: ein Fangschuss. Die Mütze will den anderen Mann töten! Nein!, will ich laut rufen. Das ist doch ein Mensch und kein Kaninchen! Mir wird heiß und kalt. Und dann, ohne weiter zu überlegen, gehe ich aus der Deckung und springe den Mann mit der Mütze an. Es ist fast, als würde ich mich dabei selbst beobachten, so unwirklich ist das alles: Ich springe hoch und verbeiße mich im Hosenbein des Mannes, ehe er noch abdrücken kann. Der schwarze Stoff der Hose ist nicht besonders fest, ich spüre sofort, wie er reißt. Und dann hänge ich mit meinen Zähnen auch schon im Bein. Der Mann zuckt heftig zurück, brüllt vor Schmerz und reißt sein Bein hoch. Ich lasse los und falle vor ihn hin. Er zieht sich die Mütze vom Kopf und starrt mich böse an.

»Was zum Teufel soll das? Kann mir jemand erklären, wo dieser Hund auf einmal herkommt?«

Plötzlich laufen von überall her Menschen auf uns zu, das Kommando, auf dem Boden zu liegen, scheint aufgehoben. Aber die größte Überraschung: Der angeschossene Mann, der sich eben noch in Qualen auf dem Boden wand, hat sich auf einmal aufgesetzt und schaut mitfühlend zu seinem Peiniger auf.

»Scheiße, Jens, tut's weh?«

»Und ob!« Der von mir Gebissene schiebt sein Hosenbein hoch, auf seiner Wade ist ein wunderschöner Gebissabdruck von mir zu bewundern. »Helen! Ich glaube, ich brauche ein Coolpad oder so was.«

Eine junge Frau mit blonden Haaren kommt hinter einer der Säulen hervor und aus einer Gruppe von Leuten löst sich ein älterer Mann mit silbernen Locken, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem alten Eschersbach hat. Die junge Frau kniet sich vor den Mann namens Jens und betrachtet den Biss, der ältere Herr dreht sich zu den anderen Menschen um.

»So, raus mit der Sprache: Wer hat den Hund mit ans Set gebracht?«

Schweigen.

»Wer?«, wiederholt Silberlocke.