Выбрать главу

Wagner hat eine Tasche dabei, die er neben mir abstellt. »Hm, dann wollen wir mal sehen, was wir da machen können.«

Er setzt sich neben mich auf den Boden und greift sich eine Art dicken Stift aus seiner Tasche. Mit diesem zielt er direkt auf meine Augen - ein heller Lichtstrahl blendet mich.

»Pupillenreflexe sind normal.« Er richtet sich wieder auf. »Also, es sieht nicht so aus, als hätte Herkules gerade einen epileptischen Anfall gehabt. Dann müssten seine Pupillen nämlich weitgestellt sein und würden sich bei einem Lichteinfall nicht verengen. Gut, Sicherheit hätten wir nur bei einem EEG, aber ich glaube nicht, dass das nötig ist. Was auch immer Herkules hatte - es scheint irgendetwas anderes zu sein. Eine Idee habe ich aber noch.«

Er kramt wieder in seiner Tasche, dann holt er ein Metallding mit zwei Strippen und einer Art Zange heraus und setzt sich wieder neben mich. Die Zange stöpselt er sich in die Ohren, das runde Metallding legt er auf meine Brust. Er scheint auf irgendetwas zu lauschen.

»Tja, das Herz klingt aber auch ganz normal. Sein Herzrhythmus scheint völlig unbeeinträchtigt.« Er stöpselt das Dings wieder aus seinen Ohren. »Herzrhythmusstörungen können nämlich auch Anfälle auslösen. Das muss man sich so vorstellen, dass die Rhythmusstörung zu einem Blutdruckabfall im Hirn führt und daraufhin kann es zu einer Ohnmacht mit Zuckungen kommen.« Er streichelt mich. »Gut, der Anfall ist natürlich schon vorbei, aber in der Regel dauert es schon eine Weile, bis der Rhythmus wieder komplett in Ordnung ist. Herkules, was machst du nur für Sachen?«

Carolin mustert mich besorgt. »Vielleicht hat er ja irgendeine andere schlimme Krankheit?«

Carolins Stimme klingt so nervös, dass ich mich entschließe, jetzt wieder gesund zu sein. Ich will es auch nicht übertreiben, also stehe ich wieder auf und schüttle mich kurz.

»Frau Neumann, so wie Herkules jetzt aussieht, wirkt er auf mich völlig gesund. Sicher, wir können ihn nächste Woche in meiner Praxis mal von Kopf bis Fuß durchchecken, aber irgendetwas sagt mir, dass es hier kein gesundheitliches Problem gibt. Nennen Sie es meinetwegen Tierarztinstinkt, aber ich glaube, Herkules geht es gar nicht so schlecht, wie wir denken. Vermutlich machen Sie sich gerade völlig unnötig Sorgen.«

Grrr, du Verräter - hör bloß auf, in die Richtung weiterzuforschen! Carolin ist bestimmt sauer, wenn sie merkt, dass das alles nur Show ist. Ich beschließe, die Nummer mit dem Anfall einzumotten. Ich glaube, Wagner ist mir schon zu dicht auf den Fersen.

»Aber sagten Sie nicht, Sie kennen die Zucht, aus der Herkules stammt? Es würde mich doch sehr beruhigen, wenn Sie dort noch mal nachfragen.«

»Ja, gut, dass Sie mich erinnern. Ich bin nächste Woche sowieso da, dann werde ich mich erkundigen. Aber trotzdem sollten Sie jetzt erst mal davon ausgehen, dass Herkules nichts Ernstes hat.« Er steht wieder vom Boden auf und schnappt sich seine Tasche. »So, dann werde ich mal wieder losdüsen. Sie haben heute sicher auch noch etwas vor. Sie sehen nämlich irgendwie ganz so aus, als hätten Sie hier gerade eine kleine Kostümprobe veranstaltet.«

Carolin lacht und steht ebenfalls auf. »Da haben Sie Recht. Aber wenn Sie möchten, dann bleiben Sie doch noch auf ein Glas Wein. Schließlich haben Sie Ihren Feierabend für uns geopfert, dafür würde ich mich gerne bedanken.«

Wagner zögert. Los, Junge, zieh ab - Carolin will nur höflich sein. In Wirklichkeit legt hier niemand auf deine Anwesenheit wert!

»Aber Sie sind doch noch verabredet, da will ich nicht stören.«

Messerscharf erkannt, Wagner. Auf Wiedersehen!

»Im Gegenteil! Ich freue mich, wenn Sie noch bleiben. Und meine Abendverabredung hatte ich sowieso schon wegen Herkules abgesagt.«

»Dann freue ich mich, wenn ich einspringen darf.«

Och nö! Kaum sind wir den einen los, haben wir den nächsten an der Hacke! Nun gut, wenigstens ist Wagner keine Gefahr für Daniel, aber das ist auch schon sein einziger Vorteil. Carolin lächelt ihn an. »Ich heiße übrigens Carolin.«

»O ja. Danke! Ich bin Marc.«

Carolin nickt. »Ich weiß.«

Sie lachen beide - etwas schüchtern, wie ich finde.

»Gehen Sie, äh, gehst du schon vor ins Wohnzimmer? Es ist gleich gegenüber der Eingangstür. Ich ziehe mir nur schnell etwas anderes an.«

»Von mir aus nicht nötig - ich finde, du siehst bezaubernd aus.«

Carolin lacht verlegen. »Na gut, wenn du mich in Jeans und Schlabberpulli erträgst, dann bleibe ich so.« »Sehr gerne, kein Problem.«

Und anstatt dass sich Wagner seinen blöden Koffer schnappt und sich verkrümelt, sitzt er keine zwei Minuten später auf unserer Wohnzimmercouch. Schlecht gelaunt lege ich mich direkt davor und beobachte, wie Carolin zwei Gläser aus dem Schrank holt. Sie ist einfach zu nett. Warum hat sie Wagner nicht fahren lassen? Stattdessen geht jetzt wieder diese »Weintrinken-Geschichte« los. Ich sage es wirklich nur ungern - aber manchmal sind Menschen einfach uferlos langweilig. Zum Beispiel beim Weintrinken: Gleich wird Carolin wieder die eine in die andere Flasche gießen. Dann werden sie das Zeug von der zweiten Flasche in zwei Gläser füllen. Wenn ich Glück habe, trinken sie dann einfach schnell aus, und wir sind Dr. Wagner bald los. Diese Entwicklung ist leider extrem unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass die beiden eine Ewigkeit auf dem Sofa sitzen und über die Dinge schwadronieren, die im Leben angeblich wichtig sind. Stichwort: reden statt machen. Wäre Dr. Wagner Nina, ginge es dann fast nur um Männer. Das wäre für mich wenigstens einigermaßen interessant, denn vielleicht würde ich noch etwas über Daniels Chancen bei Carolin erfahren. Aber mit Wagner redet sie wahrscheinlich eher über das andere Thema, das Menschen so gerne beschäftigt: die Arbeit. Oder auch beliebt: vergangene Zeiten. Gähn. Oder auch ein Favorit: die Kombination aus beidem. Arbeit und Vergangenheit. Allein die Frage, wer gerne was als Kind geworden wäre und warum das dann nicht geklappt hat, füllt locker eine Stunde. Es ist mir unbegreiflich, wie man sich so ausgiebig mit Dingen befassen kann, die nicht mehr zu ändern sind. Aber darin sind Menschen ohnehin wahre Meister. Was wäre wenn? Eine Frage, die sich kein vernünftiger Hund jemals stellen würde. Anders gesagt: Weintrinken ist offenbar ein Synonym für eine besonders ineffiziente Methode, einen Abend totzuschlagen, wenn man, wie die meisten Menschen, einfach zu bequem ist, eine ordentliche Runde durch den nächsten Park zu rennen.

Ich seufze innerlich und lege den Kopf auf meine Vorderläufe. Während die Stimmen von Carolin und Wagner zu einem leichten Hintergrundrauschen verschwimmen, überlege ich, wie ich die Sache mit Daniel dingfest machen kann. Könnte ich die beiden irgendwie in eine Art Hinterhalt locken, so dass sie endlich einmal allein sind? Dann ergibt sich der Rest vielleicht von selbst. Aber wie?

Ich muss dringend wieder mit Herrn Beck konferieren. Katzen sind ja als Meisterstrategen bekannt, und er hat bestimmt eine Idee, wie das gehen könnte. Es ist schon tragisch - erst neulich waren die beiden so nah dran! Wenn Nina nicht gekommen wäre, könnten sie schon längst ein Paar sein. Aber seit diesem Abend haben sich Daniel und Carolin kaum gesehen, nur kurz in der Werkstatt, und fast immer waren irgendwelche Kunden dabei. So wird das natürlich nichts. Denn eine Sache habe ich mittlerweile gelernt, auch ohne Unterricht von Herrn Beck: Was die Paarung anbelangt, scheinen Menschen eine wirklich scheue Gattung zu sein. Jedenfalls verflüchtigt sich diese prickelnde Spannung zwischen Daniel und Carolin sofort, wenn andere Menschen dazukommen. Im Park habe ich die gleiche Beobachtung gemacht: Die Pärchen, die sich küssen, stehen meist ein wenig abseits oder sitzen auf einer Bank, auf der sonst niemand ist. In Autos küssen sich Menschen gerne, im Supermarkt fast nie. Im Frühstückscafe, in dem Carolin und Nina sich oft treffen und das immer bis auf den letzten Platz voll ist: Fehlanzeige in puncto knutschende Paare. Vielleicht mal ein Küsschen hier oder da, aber definitiv nichts, was nach echter Paarung aussieht, so wie Beck und ich es damals bei Thomas und der anderen Frau beobachtet haben. Da sind wir Hunde schon deutlich forscher. Ein Dackelrüde, der auf der anderen Straßenseite seine Herzensdame entdeckt, wird sich jedenfalls durch ein paar Spaziergänger von nichts abhalten lassen. Seltsam eigentlich. Schließlich neigt der Mensch an sich nicht gerade zur Schüchternheit.