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»Gewissermaßen. Der gehört zu dem Filmteam, das sich neulich den Cellokasten ausgeliehen hat.«

»Aha. Na, vielleicht hast du da was liegen lassen.« »Ja, kann sein.«

Das glaube ich persönlich kaum. Schließlich war ich dabei und bin mir sicher, dass wir mit allen Sachen gegangen sind, mit denen wir auch gekommen sind. Also, außer dem Kasten natürlich, aber der ist in dem Päckchen garantiert nicht drin. Viel zu groß und riecht auch ganz anders. Längst nicht so lecker. Was ist da drin? Ich mache Männchen und komme somit immerhin auf Kniehöhe von Carolin. Die wundert sich.

»Hey, Süßer, was ist denn mit dir los? Du bist ja ganz wild.«

»Tja, vielleicht schickt dir dieser Jens ein Kilo Koks, und Herkules hat alle Anlagen zu einem Top-Drogenspürhund.«

Daniel grinst. »Man weiß ja, wie diese Filmtypen sind. Alles schlimme Finger.«

Carolin schüttelt den Kopf. »Ein Kilo Koks? Bisschen teuer, um es einer flüchtigen Bekannten zu schicken. Aber was kann es bloß sein?« Mit einem Messer löst sie den Klebestreifen von dem Deckel des kleinen Kartons. »Da liegt eine Karte bei. Mal sehen.«

Sie liest und fängt an zu grinsen. Daniel kommt zu ihrem Tisch und versucht, über Carolins Schulter mitzulesen. Die will einen Schritt von ihm weg machen, als er blitzschnell zugreift und ihr die Karte wegzieht.

»He, was soll das? Schon mal was vom Briefgeheimnis gehört? Das ist nicht für dich bestimmt.« Carolin klingt genervt, aber Daniel lacht nur.

»Tja, meine Liebe, für dich aber auch nicht. Hier steht eindeutig: Lieber Herkules!«

Was? Die Karte ist für mich? Sofort laufe ich zu Daniel hinüber. Ich habe noch nie im Leben eine Karte bekommen. Aufregend! Aber auch ein bisschen komisch, denn wer schreibt schon an jemanden, der gar nicht lesen kann? Ich setze mich vor Daniel und schaue ihn erwartungsvoll an. Der versteht den Wink und fängt an, vorzulesen.

»Lieber Herkules, ich hoffe sehr, dass es dir heute wieder besser geht. Um dir schnell auf die Beine zu helfen, habe ich für dich eine Spitzen-Hundewurst besorgt, die bestimmt sehr lecker ist. Meldet euch mal, wenn du wieder auf dem Damm bist. Viele Grüße, dein Jens.«

Wow, das muss ja doch ein wahnsinnig netter Mensch sein, trotz des Gewehrs. Ich bin begeistert! Kein Wunder, dass der Karton so gut riecht. Die Wurst muss ich sofort probieren.

»Wieso kommt dieser Jens auf die Idee, dass Herkules krank sein könnte?«

»Ah, er hatte wieder so einen Anfall.« Carolins Stimme klingt komisch.

»Während ihr in der Bank wart?«

»Ja, genau. Deswegen mussten die sogar den Dreh unterbrechen.«

He! Das stimmt doch gar nicht! Was erzählt Carolin denn da?

Daniel guckt besorgt. »Hm, das klingt nicht gut. Hast du noch mal mit Wagner gesprochen? Der wollte doch beim Züchter nachfragen.«

»Stimmt, das hatte ich gar nicht mehr auf dem Zettel. Ich rufe nachher in der Praxis an.«

Aha, von Dr. Wagners Rettungseinsatz will sie Daniel anscheinend auch nichts erzählen - das wird ja immer mysteriöser. Das waren zwei faustdicke Lügen in nur zwei Sätzen. So kenne ich Carolin gar nicht. Und dann auch noch Daniel gegenüber. Gut, sie will ihn offensichtlich nicht als Mann, aber er ist doch trotzdem ihr Freund! Warum macht sie das nur?

Bei dieser Gelegenheit fallen mir zahlreiche Vorträge des alten von Eschersbach zum Thema »Verlogenheit« ein. Verlogenheit war für ihn einer der größten Charaktermängel des Menschen, wenn nicht gar der größte. Lügen kam deutlich vor Verfressenheit und Kurzatmigkeit. Täuschung und Lüge sind ein Zeichen der Schwäche!, predigte er häufig. Der Mutige ist ehrlich, Verlogenheit die Schwester der Feigheit. Kurz und in schlichten Dackelworten zusammengefasst: Schlechte Menschen lügen, gute sagen die Wahrheit.

Wobei man den schlechten Menschen natürlich zugute halten muss, dass sie überhaupt auf die Idee kommen, bewusst die Unwahrheit zu erzählen. Das ist schon ziemlich schlau, und ich bin mir nicht sicher, ob mir so etwas von allein einfallen würde. Aber es hilft nichts: Verlogene Menschen mögen schlau sein, schlecht sind sie allemal. Gleichzeitig bedeutet das für mich, dass Carolin nicht richtig gelogen hat, denn es steht wohl außer Frage, dass sie ein toller Mensch ist. Aber wenn sie nicht gelogen hat, was war das dann? Vielleicht leidet sie an einer Krankheit und kann sich nicht mehr so recht erinnern, wie das wirklich mit Jens und Dr. Wagner war?

Bevor ich über dieses schwierige Thema allerdings noch weiter nachdenken kann, stellt mir Carolin eine Schüssel mit einem Haufen kleingeschnittener Hundewurst hin. Sofort schlinge ich los - göttlich! Diesen Jens sollten wir uns doch mal näher angucken. Vielleicht war es ein Fehler, die Verabredung zwischen ihm und Carolin so zu sabotieren. Er scheint immerhin ein großer Hundekenner zu sein, oder zumindest ein Hundefreund. Ich nehme noch zwei Stücke ins Maul. Lecker! Andererseits - hätten die beiden sich gestern Abend getroffen, hätte ich diese köstliche Wurst nicht bekommen. Es war also kein Fehler. Höchstens ein kleiner Umweg.

»Also, verstehe ich dich richtig: Die Sache mit Daniel ist endgültig gegessen, und der neue, hoffnungsvolle Kandidat heißt Jens und ist ein Hundekenner?« »Richtig.«

»Das beweist für mich höchstens eines.« »Was denn?

»Dass du käuflich bist. Eben jammerst du noch rum, von wegen Daniel ist dein Freund, und wir müssen ihm unbedingt helfen und so weiter und so fort. Und jetzt? Kaum schickt dir irgendein dahergelaufener Schauspieler einen Zipfel Wurst, schon ist Daniel Schnee von gestern. Wer hat eigentlich das Gerücht in die Welt gesetzt, dass Hunde treu wie Gold sind?« Herr Beck schüttelt verächtlich den Kopf. »Ich dachte, du wolltest mir von einem tollen Plan berichten, stattdessen muss ich mir diesen Hundewurst-Mist anhören. Dafür ist mir meine Zeit zu schade.«

»Aber, aber«, stottere ich kleinlaut, »du hast doch selbst gesagt, du glaubst nicht, dass es mit Daniel und Carolin etwas wird, und da wollte ich dir eben erzählen, dass du völlig Recht hattest. Warum bist du denn jetzt so sauer auf mich?«

»Vielleicht bin ich ja enttäuscht, dass ich Recht habe? Vielleicht hatte ich irgendwo gehofft, dass du Recht behältst und ein Kater und ein Dackel doch mehr ausrichten können, als ich je gedacht hätte. Irgendwie hast du mich mit deinem Optimismus mitgerissen. Ich hätte mich auch gefreut, wenn es mit den beiden geklappt hätte. Und jetzt das!«

Ich lasse den Kopf sinken. »Tut mir leid«, flüstere ich.

»Versteh mich nicht falsch - du kannst nichts dafür, dass aus Daniel und Carolin nichts wird. Aber dass du gleich zu diesem Jens überläufst!«

»Ist ja gut! Ich habe mich eben gefreut, dass er sich Sorgen um mich gemacht hat. Und es ist das erste Mal in meinem Leben, dass mir ein Mensch einen Brief schreibt!«

»Gute Güte, bist du naiv! Der hat sich doch keine Sorgen um dich gemacht! Der wollte Carolin beeindrucken! Mehr nicht. Und damit gleich die nächste Verabredung rausschlagen.«

»Meinst du?«

»Das ist doch wohl offensichtlich. Was hat denn Daniel dazu gesagt? Ist bestimmt auch nicht gerade toll, wenn man selbst einen Korb bekommt und schon steht der Nächste auf der Matte. Muss ihn doch getroffen haben zu erfahren, dass Carolin gestern eigentlich schon mit Jens ausgehen wollte.«

»Tja, das war in der Tat komisch: Carolin hat Daniel gar nicht erzählt, dass sie eigentlich mit Jens verabredet war und die Sache wegen meiner Krankheit geplatzt ist. Sie hat behauptet, ich sei schon in der Bank umgekippt, und das habe Jens mitbekommen.«

»Aha, eine kleine Notlüge.«

»Notlüge?«

»Schätze mal, Carolin wollte Daniel mit dieser Hundewurst-Geschichte nicht auch noch kränken. Er ist schließlich ihr bester Freund.«

»Und dann darf man lügen? Obwohl Verlogenheit so etwas Schlechtes ist? Sagte jedenfalls mein altes Herrchen immer.«