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ZWANZIG

Aus dem Park heraus, die kleine Straße ganz bis zum Ende. Dann links herüber, zu dem großen Baum an der Ecke, der so eindrucksvoll nach dem schwarzen Dobermann riecht, den ich schon oft aus der Ferne bewundert habe. Eine größere Straße überquert, um diese Zeit ohne Autos. Ich laufe, so schnell ich kann, ohne die Orientierung zu verlieren. An der nächsten Ecke bin ich erst unsicher, aber dann nehme ich den Geruch der Bäckerei auf, an der ich auch mit Daniel und Carolin vorbeigekommen bin. Genau, hier bin ich noch richtig. Diese Straße ist ziemlich lang, ich muss ihr bis zu einer scharfen Kurve folgen. Als sie endlich kommt, hängt mir die Zunge schon aus dem Hals.

Und endlich rieche ich den fast vertrauten Gestank einer Reinigung. Ich bin am Ziel - schräg gegenüber ist die Praxis von Wagner. Deren Fenster sind natürlich dunkel - aber die Wohnung im Stockwerk darüber ist zum Glück hell erleuchtet. Dr. Wagner scheint da und wach zu sein. Ohne zu zögern, hocke ich mich auf den Bürgersteig vor dem Haus und beginne, laut zu bellen. Ununterbrochen. Irgendwann wird mich schon jemand hören. Jetzt nicht aufgeben. Das bin ich Willi einfach schuldig.

Es dauert nicht einmal sonderlich lang: Bald geht ein Fenster auf, leider im zweiten Stock, und eine Frau schaut heraus.

»Was ist denn das für ein gottverdammter Lärm! Blöder Köter, scher dich gefälligst weg!«

Unbeeindruckt belle ich weiter, langsam schon etwas heiser.

»Hau ab, oder ich rufe die Polizei!«

Mir doch egal. Zur Abwechslung heule ich nun ein bisschen. Die Frau macht das Fenster wieder zu. Eine Weile passiert nichts. Egal. Durchhalten, Carl-Leopold, durchhalten. Es geht um Willi!

Da klappert es, und die Haustür öffnet sich. Die Frau kommt auf die Straße - und sie hat Dr. Wagner dabei! Sie sprechen miteinander, während sie auf mich zugehen.

»Ich weiß zwar nicht, wie Sie darauf kommen, dass das ein Patient von mir sein könnte, aber ich gucke mal, wo das Problem ist.«

»Na ja, warum sonst sollte sich ein Hund hier so aufführen? Also danke, dass Sie mal schauen.«

Die beiden bleiben vor mir stehen. Wagner starrt mich an. Ich starre zurück. Hoffentlich erkennt er mich. Sonst rufen sie wohlmöglich wirklich noch die Polizei.

»Tatsächlich. Ich kenne das Tier. Es gehört einer Freundin von mir.«

Na, also das stimmt so nun gar nicht. Carolin ist nicht deine Freundin! Aber in dieser Situation will ich mal nicht so sein. Stattdessen springe ich an Wagner hoch und begrüße ihn schwanzwedelnd. Wagner streichelt mich kurz und guckt mich dann nachdenklich an.

»Was ist denn wieder los bei euch, Herkules?«

Wenn ich das einfach erzählen könnte, müsste ich hier nicht so einen Zinnober veranstalten. Ich springe noch einmal an ihm hoch und zerre dabei an seinem Ärmel. Die Frau, die eben noch auf hundertachtzig war, schaut amüsiert.

»Sieht so aus, als sollten Sie mitkommen.«

»Ja, könnte man glauben, nicht? Ist etwas mit Carolin?«

Ich springe auf und ab. Gut, das ist zwar gelogen, aber Hauptsache, er kommt erst einmal mit. Und da locke ich ihn mit Carolin wahrscheinlich eher. Dass es nicht um eine hübsche junge Frau, sondern um einen wohl eher hässlichen alten Mann geht, wird er noch früh genug selbst sehen.

»Wo ist Carolin denn? Zu Hause?«

Ich laufe drei Schritte vor, dann drehe ich mich wieder zu Wagner um und wedele mit dem Schwanz. Wagner schüttelt staunend den Kopf, dann zieht er ein Handy aus seiner Hosentasche und tippt eine Nummer ein. Er hält das Handy an sein Ohr und lauscht hinein. Nach einer Weile nimmt er es wieder herunter und steckt es zurück in die Tasche. »Hm, ich erreiche sie nicht, geht nur der Anrufbeantworter ran. Okay, Herkules, dann muss ich dir wohl folgen. Warte einen Moment, ich hole kurz meine Jacke.«

Die Frau schaut Wagner völlig perplex an.»He, das war eben ein Scherz! Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass der Hund Sie gerade bittet, ihn zu begleiten?«

»Doch, das glaube ich, Frau Loretti. Dieser Hund scherzt nicht. Der meint es bitterernst.«

Dann dreht er sich um und geht wieder ins Haus. Ich bin begeistert. Wagner mag ein Idiot sein. Aber mit Hunden kennt er sich einfach aus.

Einen Augenblick später steht er wieder neben mir.

»Gut, Herkules. Ich bin wirklich sehr gespannt, was der Grund für deinen bühnenreifen Auftritt ist.«

Ich wedele wieder mit dem Schwanz und trabe los, ein kurzer Blick über die Schulter: Wagner kommt brav hinterher. Auf dem Rückweg muss ich nicht mehr überlegen, wo ich eigentlich hinwill, das erleichtert die Sache enorm. Schon bald kommen wir an Carolins Haus vorbei, und Dr. Wagner will in Pachtung Hauseingang abbiegen. Ich belle kurz - nix da!

»Aha, da also nicht. Sondern?« Wagner schaut mich fragend an, ich laufe weiter Pachtung Park. Jetzt nicht schlappmachen, wir haben es gleich geschafft. Schließlich steure ich direkt auf Herrn Beck zu, der auftragsgemäß neben Willi sitzt. Willi liegt immer noch so im Gras, wie ich ihn verlassen hatte. Herr Beck starrt mich an.

»Du meine Güte, das ist wirklich eine brillante Idee: Du hast den Tierarzt geholt.«

Nun kommt auch Wagner auf uns zu. »Was ist denn hier passiert? Habt ihr den Mann hier gefunden? Und mich als Hilfe geholt? Das ist einfach unglaublich.« Er kniet sich neben Willi. »Hallo? Können Sie mich hören? Hallo?«

Willi reagiert nicht. Wagner schiebt seinen Pullover hoch und legt sein Ohr auf Willis Brust. Dann beginnt er, ihn zu massieren. Nein, eigentlich eher, auf ihn einzuschlagen. Das sieht ziemlich brutal aus. Ich hoffe, Wagner weiß, was er tut! Nach einer ganzen Weile voll massieren und schlagen legt Wagner wieder sein Ohr auf die Brust. Offenbar scheint irgendetwas wieder besser zu funktionieren, denn jetzt lächelt Wagner zufrieden. Er setzt sich auf und kramt sein Handy hervor. Dann tippt er eine Nummer ein.

»Hallo, hier ist Marc Wagner. Ich habe soeben im Helvetia-Park eine bewusstlose männliche Person gefunden, Alter zwischen fünfzig und sechzig Jahre. Eine genauere Untersuchung ist schwierig, aber ich schätze, es könnte ein Herzinfarkt sein. Herzschlag war jedenfalls sehr unregelmäßig, scheint nach Herzmassage jetzt besser zu sein.«

Er lauscht wieder. Jemand am anderen Ende der Leitung scheint ihn etwas zu fragen.

»Na, nicht so direkt. Ich bin Tierarzt. Ich habe ihn jetzt in die stabile Seitenlage gebracht, Herzmassage ist wohl nicht mehr nötig. Sie finden uns rechts von dem Kinderspielplatz. Bis gleich!«

Wagner legt auf, dann guckt er Herrn Beck und mich ernst an. »Ich glaube, dieser Mann hatte einen Herzinfarkt. Auf alle Fälle scheint es etwas Ernstes zu sein. Es ist gut, dass ihr Hilfe geholt habt.« Er streichelt erst mich, dann Herrn Beck über den Kopf. »Gut gemacht!« Er schweigt einen Moment. »Obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass mir niemand diese abgefahrene Geschichte glauben wird. Wahrscheinlich am wenigsten dein Frauchen, Herkules. Wo steckt die eigentlich? Und warum rennst du nachts allein im Park herum?« Er mustert mich nachdenklich. »Schade, dass du nicht sprechen kannst.«

Er nimmt wieder das Handy und tippt eine Nummer ein. »Hallo, Nina, hier ist Marc. Sag mal, hast du vielleicht die Handynummer deiner Freundin Carolin? Hm. Ja.«

Wie schlau von Wagner - er hat offensichtlich Nina angerufen.

»Nein, ich wollte ihr lediglich etwas erzählen, was eventuell von Interesse für sie sein könnte. Also, wenn du mir den Gefallen tun würdest ...«, wieder Schweigen. »Ach hallo, Carolin! So ein Zufall - du bist bei Nina. Tja, das klingt jetzt erst mal seltsam, aber ich sitze hier mit Herkules im Helvetia-Park. Willst du vielleicht vorbeikommen?«

Die Rettungssanitäter wuchten Willi auf eine Trage. Wagner unterhält sich noch kurz mit dem Menschenarzt, der Willi gerade untersucht hat.