»Hatte Poljakow einen Kurier?« fragte Smiley. »Wozu? Er ist Kulturmanager. Die brauchen keine Kuriere.«
»Komarow in Tokio hat einen gehabt. Das sagten Sie.«
»Komarow war Militär«, erwiderte sie mürrisch. »Poljakow auch. Sie haben seine Orden gesehen.« Er hielt ihre Hand und wartete. Lapin, der Hase, sagte sie, Bürodiener, Chauffeur an der Botschaft, Mädchen für alles. Anfangs war sie nicht aus ihm klug geworden. Sie vermutete, er sei ein gewisser Iwlow alias Brod, aber sie konnte es nicht nachweisen, und es half ihr ja auch keiner. Bummelte die meiste Zeit bloß durch London, guckte nach den Mädchen, wagte aber nicht, eine anzusprechen. Aber nach und nach bekam sie die Fäden zu fassen. Poljakow gab einen Empfang, Lapin, der Hase, half beim Servieren der Getränke. Poljakow wurde spätnachts zur Botschaft beordert, und eine halbe Stunde später tauchte auch Brüderchen Lapin dort auf, vermutlich um ein Telegramm zu entziffern. Und als Poljakow nach Moskau flog, übersiedelte Lapin regelrecht in die Botschaft und schlief auch dort, bis Poljakow zurückkam. »Er war mit von der Partie«, sagte Connie entschieden. »Sah man von weitem.«
»Und Sie haben auch das berichtet?«
»Natürlich.«
»Und was geschah?«
»Connie wurde geschaßt und Meister Lampe hoppelte nach Hause«, sagte Connie und kicherte. Sie gähnte. »Heia hoh«, sagte sie. »Halkyonische Tage. Hab' ich den Erdrutsch ausgelöst, George?«
Das Feuer war erstorben. Irgendwo oben hörte man einen Plumps, vielleicht war es Janet mit ihrem Liebhaber. Langsam begann Connie zu summen und sich dann zu ihrer eigenen Musik zu wiegen. Er gab ihr noch mehr zu trinken, und endlich erwachte sie wieder zum Leben.
»So«, sagte sie, »jetzt will ich Ihnen meine verdammten Orden zeigen.«
Erneutes Getümmel im Schlafgemach. Sie hatte sie in einer abgeschabten Diplomatenmappe, die Smiley unter dem Bett hervorziehen mußte. Zuerst einen richtigen Orden in einem Etui und eine maschinengeschriebene Belobigung, die auf ihren Arbeitsnamen Constance Salinger lautete und sie auf die Empfangsliste des Ministerpräsidenten setzte.
»Weil Connie ein so braves Mädchen war«, erläuterte sie und schmiegte ihre Wange an die seine. »Und sie liebte alle ihre Prachtjungens.«
Dann Fotos ehemaliger Mitglieder des Circus; Connie in der Uniform des weiblichen Hilfscorps, die zwischen Jebedee und dem alten Bill Magnus, dem Funker, stand, irgendwo in England aufgenommen. Connie mit Bill Haydon auf der einen und Jim Prideaux auf der anderen Seite, die Männer im Kricket-Dreß und alle drei schauten typisch »bitte recht freundlich« drein, wie Connie sich ausdrückte. Das Bild war während eines Sommerkurses in Sarratt aufgenommen, hinter ihnen lagen die Kricketplätze, gemäht und sonnenhell, und die Seitenabschirmungen glänzten. Daneben ein riesiges Vergrößerungsglas, auf dessen Linse Autogramme eingeritzt waren: von Bill und Percy, von Toby und vielen anderen. »Für Connie mit allen guten Wünschen, und, wer weiß, auf Wiedersehen!«
Schließlich eine Karikatur Connies, wie sie über ganz Kensington Palace Gardens hingestreckt liegt und mit einem Teleskop die sowjetische Botschaft beobachtet: »Mit allen guten Wünschen und lieben Erinnerungen, liebe, liebe Connie.«
»Man erinnert sich hier noch immer an ihn, wissen Sie. Der Goldjunge. Christ Church besitzt ein paar von seinen Bildern, Sie werden ziemlich oft ausgestellt. Neulich hielt Giles Langley mich auf der Straße an: ob ich gelegentlich von Haydon hörte? Weiß nicht, was ich sagte: Ja. Nein. Betreut Giles' Schwester immer noch >sichere Häuser<, wissen Sie das zufällig?« Smiley wußte es nicht. »>Sein Flair fehlt uns sehr< sagt Giles, >diese Züchtung gibt es heutzutage nicht mehr.< Giles sagt, er sei Bills Lehrer in Neuer Geschichte gewesen, damals, als Empire noch kein Schimpfwort war. Fragte auch nach Jim. >Sein alter ego, sozusagen, hem, hem, hem, hem. < George, Sie haben Bill nie gemocht, wie?« Connie plapperte weiter, während sie alles wieder in Plastiktüten und Lappen verpackte. »Ich habe nie rausbekommen, ob Sie auf ihn eifersüchtig waren oder er auf Sie. Zu attraktiv, nehme ich an, Sie haben dem Äußeren immer mißtraut. Nur bei Männern, wohlgemerkt.«
»Meine liebe Connie, wie kommen Sie auf diesen Unsinn«, protestierte Smiley, ausnahmsweise unvorsichtig. »Bill und ich waren immer gute Freunde. Was um alles in der Welt bringt Sie auf solche Gedanken?«
»Nichts.« Sie hatte es schon fast vergessen. »Ich habe mal gehört, er habe mit Ann eine Runde im Park gedreht, das ist alles. Ist er nicht ein Vetter von ihr oder so was ? Ich habe mir immer gedacht, Sie und Bill hätten ein so gutes Team abgegeben, wenn es geklappt hätte. Ihr beide hättet den alten Geist wieder zurückgebracht. Statt dieses schottischen Fatzkes. Bill erbaut ein neues Camelot« - wieder das Märchentanten-Lächeln- »und George . . .«
»George sammelt die Brosamen auf«, sagte Smiley, indem er auf ihren Ton einging, und sie lachten beide, Smiley gezwungen. »Geben Sie mir einen Kuß, George. Geben Sie Connie einen Kuß.«
Sie begleitete ihn durch den Küchengarten hinaus, den Weg, den ihre Mieter benutzten, sie sagte, das würde ihm lieber sein als der Anblick der gräßlichen neuen Bungalows, den die Harrison-Schweine im Garten nebenan errichtet hatten. Leichter Regen fiel, die Sterne standen groß und bleich im Nebel, auf der Landstraße donnerten Lastwagen nordwärts durch die Nacht. Plötzlich wurde Connie von Furcht erfaßt und klammerte sich an ihn. »Sie sind abscheulich, George. Hören Sie? Sehen Sie mich an. Sehen Sie nicht dort hinüber, da gibt's nur Neonlampen und Sodom. Küssen Sie mich. Auf der ganzen Welt sind garstige Menschen am Werk, die uns die Zeit stehlen, warum müssen Sie ihnen helfen? Warum?«
»Ich helfe ihnen nicht, Connie.«
»Natürlich tun Sie's. Sehen Sie mich an. Es war eine gute Zeit, hören Sie? Eine echte Zeit. Damals konnten die Engländer stolz sein. Lassen Sie ihnen jetzt diesen Stolz.«
»Das liegt nicht ganz in meiner Macht, Connie.« Sie zog sein Gesicht zu sich herab, also küßte er sie auf den Mund. »Die armen Lieben.« Sie keuchte schwer, nicht aus einer bestimmten Erregung, sondern aus einem Durcheinander von Erregungen, das in ihr herum schwappte wie verschiedene Sorten Alkohol. »Die armen Lieben. Für das Empire erzogen, erzogen, um die Meere zu beherrschen. Alle dahin. Alle fort. Gute Nacht, schöne Welt. Sie sind der letzte, George, Sie und Bill. Und ein bißchen auch der gräßliche Percy.« Er hatte gewußt, daß es so enden würde; aber doch nicht ganz so schlimm. Er hatte die gleiche Geschichte mit ihr bei jeder der kleinen Weihnachtsfeiern erlebt, die im Circus in stillen Winkeln abgezogen wurden. »Sie kennen Millponds nicht, oder?« fragte sie jetzt. »Was ist Millponds?«
»Da wohnt mein Bruder. Schönes klassizistisches Haus, reizende Umgebung, in der Nähe von Newbury. Dann haben sie eine Straße gebaut. Krach. Bumm. Autostraße. Das ganze Grundstück dahin. Ich bin dort aufgewachsen, verstehen sie. Sarratt ist nicht verkauft worden, oder? Ich habe es immer befürchtet.«
»Nein, ganz bestimmt nicht.«
Er hätte sich gern von ihr freigemacht, aber sie klammerte sich noch verzweifelter an ihn, und er fühlte, wie ihr Herz pochte. »Wenn es schlimm ist, dürfen Sie nicht wiederkommen. Versprechen Sie's? Ich bin zu alt, ich kann nicht mehr umdenken. Ich möchte euch alle so in der Erinnerung behalten, wie ihr damals wart. Liebe, liebe Jungens.«