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»Außerdem alle Briefe, die für ihn kommen«, sagte der Inspektor. »Briefmarken und Poststempel, wenn irgend lesbar, notieren, aber nicht dran rumpfuschen oder zurückhalten. Außerdem seine Sa­chen.« Er ließ einen Engel durch den Raum schweben, während er den mächtigen Safe betrachtete, der einen so wesentlichen Be­standteil des Mobiliars darstellte. »Hin und wieder wird er etwas hinterlegen wollen. Es werden hauptsächlich Papiere sein, manch­mal Bücher. Außer ihm darf nur ein einziger Mensch auf der Welt diese Dinge zu Gesicht bekommen« - er ließ ein kurzes See­räubergrinsen aufblitzen -, »ich. Verstanden? Niemand sonst darf auch nur wissen, daß sie hier sind. Und murksen Sie nicht dran herum, er merkte es, er ist ein scharfer Hund. Es müßte meister­haft gemurkst sein. Mehr sage ich nicht«, schloß Mendel. Smiley gegenüber bemerkte er nach seiner Rückkehr aus Somerset, wenn der Preis nicht höher sei als zwanzig Lappen, dann seien Norman und seine Herrin die billigsten Babysitter in der Branche. Worauf er zu Unrecht stolz war, verzeihlicherweise, denn er konnte schließlich nicht wissen, daß Jim den gesamten Automo­bilclub eingespannt hatte; und ebensowenig konnte er wissen, auf welche Weise es Jim in der Folge möglich war, den Pfaden von Mendels mißtrauischen Nachforschungen zu folgen. Und weder Mendel noch irgend jemand sonst ahnte das Ausmaß elektrisierter Alarmbereitschaft, in die der Zorn, die Anspannung des Wartens und vielleicht ein kleiner Knacks Jim versetzt haben mochten.

Zimmer acht lag im obersten Stock. Das Fenster ging auf die Dachbrüstung hinaus. Gegenüber, in einer Seitenstraße, war eine zweifelhafte Buchhandlung und ein Reisebüro mit dem Namen »Weite Welt«. Im Handtuch war Swan Hotel Marlow eingewebt. Lacon kam noch am gleichen Abend mit einer dicken Akten­mappe angestelzt, die eine erste Portion Papiere aus seinem Büro enthielt. Zu ihrer Unterredung setzten sie sich nebeneinander aufs Bett, und Smiley ließ ein Transistorradio spielen, um ihre Stim­men zu übertönen. Lacon nahm das ungnädig auf, irgendwie schien er zu alt für solche Scherze. Anderntags holte Lacon auf dem Weg zum Dienst die Papiere wieder ab und gab die Bücher zurück, mit denen Smiley die Mappe ausgestopft hatte. In dieser Rolle war Lacon miserabel. Er gab sich gekränkt und zerfahren und machte kein Hehl daraus, daß er diese Unregelmäßigkeit haßte. Die Röte, die sein Gesicht in der Kälte annahm, schien nicht mehr weichen zu wollen. Aber bei Tag konnte Smiley die Papiere nicht lesen, da sie Lacons Mitarbeitern jederzeit zugäng­lich sein mußten, und ihr Verschwinden hätte Staub aufgewirbelt. Er hätte es auch nicht gewollt. Er wußte besser als jeder andere, daß die Zeit verzweifelt drängte. In den nächsten drei Tagen än­derte sich sein Programm nur sehr wenig. Allabendlich lieferte Lacon auf dem Weg zum Bahnhof Paddington seine Papiere ab, und allnächtlich meldete Mrs. Pope Graham Mendel verschwöre­risch, daß der lange Griesgram wieder dagewesen sei, der Nor­man immer so scheel ansehe. Allmorgendlich, nach drei Stunden Schlaf und einem widerlichen Frühstück aus halbgaren Würsten und zerkochten Tomaten - etwas anderes war nicht zu haben - wartete Smiley auf Lacons Kommen, dann floh er dankbar hinaus in den kalten Wintertag, um seinen Platz in der menschlichen Ge­sellschaft wieder einzunehmen.

Es waren schon außergewöhnliche Nächte für Smiley, so allein dort oben im Dachgeschoß. Wenn er später nach einer Zeit, die ebenso erfüllt und nach außen hin weit ereignisreicher war, an sie zurückdachte, so erschienen sie ihm wie eine einzige Reise, fast wie eine einzige Nacht. Ich kann ihm doch sagen, daß Sie es über­nehmen, hatte Lacon schamlos im Garten geflötet. Vorwärts, zurück ? Während Smiley Pfad um Pfad in seine eigene Vergangen­heit zurückwanderte, verschwand dieser Unterschied: Vorwärts oder rückwärts, es war die gleiche Reise, und sein Ziel lag vor ihm.

Nichts in diesem Zimmer, kein einziger Gegenstand in diesem Sammelsurium schäbigen Hotelkrams, trennte ihn von den Zim­mern seiner Erinnerung. Er war wieder in der obersten Etage des Circus, in seinem eigenen schäbigen Büro mit den Drucken von Oxford, genau wie er es vor einem Jahr verlassen hatte. Jenseits der Tür war das niedrige Vorzimmer, wo Controls grauhaarige Damen, die Mütter, leise tippten und Anrufe beantworteten; wäh­rend hier im Hotel ein unentdecktes Genie ein paar Türen weiter Tag und Nacht geduldig auf einer alten Schreibmaschine klap­perte. Am anderen Ende des Vorzimmers - in Mrs. Pope Grahams Haus befand sich dort ein Badezimmer mit einem Schild, das die Benutzung verbot - war die verbotene Tür zu Controls Allerheiligstem: ein Schlauch von Zimmer, mit alten Stahlschränken und alten roten Büchern, einem Geruch nach süßem Staub und Jas­mintee. Hinter dem Schreibtisch Control persönlich, damals schon nur mehr ein Gerippe von Mann, mit seinem schütteren grauen Stirnhaar und dem warmen Lächeln eines Totenschädels. Diese geistige Verwandlung war so vollständig, daß Smiley, als sein Telefon klingelte - der Anschluß war eine zusätzliche Lei­stung und in bar zu bezahlen - sich erst wieder erinnern mußte, wo er war. Andere Geräusche übten eine ähnlich verwirrende Wirkung auf ihn aus, zum Beispiel das Scharren von Tauben auf dem Dach, das Knarren der Fernsehantenne im Wind, und bei Regen der gurgelnde Bach in der Dachrinne. Denn auch diese Geräusche gehörten zu seiner Vergangenheit und waren in Cam­bridge Circus nur in der fünften Etage zu vernehmen gewesen. Das war wohl der Grund, warum sein Ohr sie nun heraushörte: Sie waren die Geräuschkulisse seiner Vergangenheit. Als Smiley einmal frühmorgens im Hotelkorridor Schritte hörte, ging er tat­sächlich zur Tür, weil er mit dem Chiffreur vom Nachtdienst rechnete. Er war gerade in Guillams Fotos vertieft und versuchte, an Hand viel zu spärlicher Informationen das Verfahren auszu­tüfteln, nach dem eingehende Telegramme aus Hongkong unter dem Circus-Lateralismus bearbeitet werden mochten. Aber anstatt des Chiffreurs hatte er Norman vorgefunden, der barfuß im Schlafanzug vor der Tür stand. Über den Läufer waren Konfetti verstreut, und vor der Tür gegenüber standen zwei Paar Schuhe, ein Paar Damen- und ein Paar Herrenschuhe, obwohl kein Mensch im Islay, am allerwenigsten Norman, sie jemals putzen würde.

»Laß das Spionieren und geh zu Bett«, hatte Smiley gesagt. Und als Norman ihn nur anglotzte; »Ach, so geh doch, ja?« - und bei­nahe, aber er hielt sich zurück- »Du schmieriger Knirps.«

»Operation Witchcraft« lautete der Titel des ersten Bands, den Lacon ihm an diesem Sonntag brachte. »Vorschriften zur Vertei­lung besonderer Produkte.« Der übrige Einband war mit Warn­zetteln und Benutzungsanweisungen vollgeklebt, darunter eine, die mit entzückender Naivität dem zufälligen Finder nahelegte: »Diese Akte ungelesen zurück an den Chefarchivar im Kabi­nettsbüro.«

»Operation Witchcraft« stand auf dem zweiten Band. »Antrag auf zusätzliche Mittel an Schatzamt, Wohnmöglichkeit in London, be­sondere Zahlungsvereinbarungen, Prämie etc.«

»Quelle Merlin«, stand auf dem dritten, der mittels einer rosa Kordel mit dem ersten zusammengebunden war. »Auswertung durch Konsumen­ten, Kosteneffektivität, weitere Auswertung, siehe auch geheimer Anhang.« Aber der geheime Anhang war nicht angehängt, und als Smiley nach ihm fragte, schlug ihm ein Eishauch entgegen. »Der Minister verwahrt ihn in seinem Privatsafe«, knurrte Lacon. »Kennen sie die Kombination?«

»Wo denken Sie hin!« erwiderte Lacon wütend. »Wie lautet der Titel des Anhangs?«

»Das kann für Sie von keinerlei Interesse sein. Ich begreife nicht, warum Sie Ihre Zeit überhaupt damit vergeuden sollen, hinter diesem Material herzujagen. Es ist streng geheim, und wir haben alles Menschenmögliche getan, um den Leserkreis auf ein Mini­mum zu beschränken.«

»Auch ein geheimer Anhang muß einen Titel haben«, sagte Smiley milde.