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»Control wird kindisch«, erklärte Haydon voll Verachtung. »Und wenn ich nicht irre, dann stirbt er auch bald. Fragt sich nur, was ihn zuerst erwischt.«

Die Donnerstags-Besprechungen wurden eingestellt und Smiley wurde von Control pausenlos gepiesackt; entweder sollte er ir­gendeinen undurchsichtigen Auftrag im Ausland erledigen oder als Controls persönlicher Abgesandter die inländischen Nieder­lassungen aufsuchen, Sarratt, Brixton, Acton und so weiter. Er hatte immer stärker das Gefühl, Control wolle ihn aus dem Weg haben. Wenn sie miteinander sprachen, fühlte er die ungute Spannung des Verdachts zwischen ihnen, so daß Smiley sich al­len Ernstes fragte, ob Bill vielleicht doch recht habe und Control seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen sei.

Aus den Akten des Kabinettsbüros ging klar hervor, daß die Operation Witchcraft während der folgenden drei Monate blühte und gedieh, und zwar ganz ohne Controls Zutun. Die Berichte trafen in einer Frequenz von zwei oder sogar drei pro Monat ein und ihre Qualität war, nach Aussage der Konsumenten, nach wie vor ausgezeichnet, aber Controls Name wurde selten erwähnt, und er wurde nie aufgefordert, seinen Kommentar dazu zu geben. Gelegentlich stießen die Auswerter auf geringfügige Unstimmig­keiten. Weit öfter beklagten sie sich, daß eine Überprüfung un­möglich sei, da Merlin sie auf nicht erfaßte Gebiete führe: können wir nicht die Amerikaner um Nachprüfung bitten? Können wir nicht, sagte der Minister. Noch nicht, sagte Alleline, der in einer vertraulichen Notiz, die niemand zu Gesicht bekam, hinzufügte: »Wenn die Zeit reif ist, werden wir mehr tun, als unser Material für ihres eintauschen. Wir sind nicht an einem einmaligen Aus­tausch interessiert. Unsere Aufgabe ist es, Merlin völlig einwand­frei zu identifizieren. Wenn das geschafft ist, kann Haydon die Ware zu Markt tragen . . .« Es war kein Zweifel mehr möglich: unter der kleinen Elite, der die Gemächer der Adriatic Working Party (AWP) vorbehalten waren, war Merlin bereits der Favorit. Sein Material war exakt, wie andere Quellen oft im nachhinein bestätigten. Ein Witchcraft-Ausschuß mit dem Minister an der Spitze wurde gebildet. Alleline war zweiter Vorsitzender. Merlin war zu einer ganzen Industrie geworden, in der Control nicht einmal einen Arbeitsplatz hatte. Und deshalb hatte er in seiner Verzweiflung Smiley zum Klinkenputzen ausgeschickt: »Es sind drei und Alleline«, sagte er. »Quetschen Sie sie aus, stel­len Sie sie auf die Probe, drangsalieren Sie sie, geben Sie ihnen alles, was sie schlucken können.«

Auch von diesen Besprechungen wußten die Akten nichts zu be­richten, sie gehörten ausschließlich in die dunkelsten Bereiche von Smileys Erinnerung. Er hatte schon gewußt, daß bei Control nichts mehr zu holen war, was ihren Hunger stillen konnte. Es war März. Smiley kehrte aus Portugal zurück, wo er einen Skandal vertuscht hatte, und fand Control in einer belagerten Festung. Akten lagen auf dem Fußboden verstreut; neue Riegel waren an die Fenster montiert worden. Er hatte den Tee wärmer über sein einziges Telefon gestülpt, und von der Decke hing ein Unterbrecher gegen elektronische Abhörversuche, ein Ding wie ein elektrischer Ventilator, der ständig die Stellung änderte. In den drei Wochen von Smileys Abwesenheit war Control ein alter Mann geworden.

»Sagen Sie ihnen, wir sollen hier mit Falschgeld bestochen wer­den«, murmelte er und blickte kaum von seiner Lektüre auf. »Sagen Sie ihnen, was Sie wollen. Ich brauche Zeit.«

Es sind drei, wiederholte Smiley nun im stillen, als er am Spiel­tisch des Majors saß und Lacons Liste der Leute studierte, die zu Witchcraft Zugang hatten. Im Moment war dreiundsechzig Besuchern die Benutzung des Leseraums der Adriatic Working Party gestattet. Jeder hatte, wie in der Kommunistischen Partei, eine Nummer, entsprechend seinem Eintrittsdatum. Nach Con­trols Tod war die Liste neu erstellt worden; Smiley stand nicht darauf. Aber die Spitze hielten noch immer die gleichen vier Gründerväter: Alleline, Bland, Esterhase und Bill Haydon. Drei und Alleline, hatte Control gesagt. Plötzlich wurde Smileys Denken, das während des Lesens für jede Folgerung, jede Quer­verbindung empfänglich war, von einer ganz abwegigen Vision überfallen. Er sah sich selber und Ann vor einem Jahr in den Klippen Cornwalls wandern. Es war die Zeit unmittelbar nach Controls Tod; die schlimmste Zeit, an die Smiley sich in ihrer langen und wirren Ehe erinnern konnte. Sie waren hoch über der Küste, irgendwo zwischen Lamorna und Porthcurno, wohin sie zu einer unmöglichen Jahreszeit gefahren waren, unter dem Vor­wand, daß Ann in der Seeluft ihren Husten loswerden würde. Sie waren den Klippenweg entlanggegangen, jeder hing seinen Gedanken nach: sie dachte an Haydon, vermutete er, er selber dachte an Control, Jim Prideaux und Testify, und an das furcht­bare Durcheinander, das er bei seiner Pensionierung hinterlassen hatte. Zwischen ihnen herrschte kein Einklang. Sogar die Ruhe war dahin, die sie früher bei ihrem Beisammensein genossen hat­ten; sie waren einander ein Rätsel, und das harmloseste Geplauder konnte seltsame, unkontrollierbare Wege einschlagen. Ann hatte in London ein zügelloses Leben geführt und jeden genommen, der sich dazu bereit fand. Er wußte, daß sie etwas zu begraben versuchte, das sie sehr schmerzte oder beunruhigte; aber er fand den Zugang zu ihr nicht.

»Wenn ich gestorben wäre«, fragte sie plötzlich, »anstatt Con­trol, wie wäre dann deine Einstellung zu Bill?« Smiley überlegte sich noch immer eine Antwort, als sie fortfuhr: »Manchmal habe ich das Gefühl, ich beschönige deine Ansicht über ihn. Kann das sein? Daß ich euch beide irgendwie zusammen­halte?«

»Das kann sein.« Er fügte hinzu: »Ja, ich glaube, ich hänge in gewisser Weise auch an ihm.«

»Ist Bill im Circus noch immer ein wichtiger Mann?«

»Vermutlich mehr denn je.«

»Und er reist noch immer nach Washington, mauschelt mit ihnen und dreht sie um und um?«

»Ich nehme es an. Man sagt so.«

»Ist er so wichtig, wie du früher warst?«

»Wahrscheinlich.«

»Wahrscheinlich«, wiederholte sie. »Ich nehme es an. Man sagt so. Ist er also besser? Ist er tüchtiger als du, ein besserer Kenner der höheren Circus-Mathematik? Sag mir's. Bitte, sag mir's. Bitte.«

Sie war seltsam erregt. Ihre Augen, die vom Wind tränten, schim­merten verzweifelt, sie hatte beide Hände auf seinen Arm gelegt und zerrte an ihm wie ein Kind, das eine Antwort will. »Du hast immer zu mir gesagt, man solle Männer nicht verglei­chen«, erwiderte er unbeholfen. »Du hast immer gesagt, du däch­test nicht in Vergleichen.«

»Sag mir's!«

»Gut, wie du willst: Er ist nicht besser.«

»Genauso gut?«

»Nein.«

»Und wenn es mich nicht gäbe, was würdest du dann von ihm halten? Wenn Bill nicht mein Vetter wäre, nicht mein ein und alles? Sag mir's. Würdest du mehr von ihm halten oder weniger?«

»Weniger, nehme ich an.«

»Dann mußt du von jetzt an weniger von ihm halten. Ich ver­stoße ihn aus der Familie, aus unserem Leben, aus allem. Hier und jetzt. Ich werfe ihn ins Meer. Da. Begreifst du?« Er begriff nur eins: Geh zurück zum Circus und beende deine Arbeit. Es war eine der unendlich vielen Arten, auf die sie den gleichen Gedanken ausdrücken konnte.

Noch immer beunruhigt durch diesen Spuk stand Smiley ziem­lich erregt auf, trat ans Fenster und schaute hinaus, wie gewöhn­lich, wenn er aus dem Tritt gekommen war. Eine Reihe Möwen, ein halbes Dutzend, hatte sich am Dachrand niedergelassen. Er hatte wohl ihren Schrei gehört und sich an diese Wanderung nach Lamorna erinnert.