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Ich muß immer husten, wenn ich irgend etwas nicht sagen kann, hatte Ann ihm einmal gestanden. Was hatte sie damals nicht sagen können? fragte er mürrisch die Schornsteinaufsätze gegenüber. Connie konnte es sagen, Martindale konnte es sagen; warum nicht! auch Ann?

»Es sind drei und Alleline«, murmelte Smiley laut. Die Möwen waren weggeflogen, alle auf einmal, als hätten sie einen besseren Platz erspäht. »Sagen Sie ihnen, sie wollen sich mit Falschgeld einkaufen.« Wenn aber die Banken dieses Falschgeld annehmen? Wenn die Experten es für echt erklären und Bill Haydon es in den Himmel lobt? Und die Akten des Ministers voll sind des Beifalls für die wackeren neuen Männer des Circus, die endlich den Bann gebrochen haben?

Er nahm sich Esterhase als ersten vor, denn Toby verdankte ihm seine Karriere. Smiley hatte ihn in Wien angeworben, wo Toby als halbverhungerter Student in den Ruinen eines Museums lebte, dessen Kurator sein verstorbener Onkel gewesen war. Smiley war also zur Laundry nach Acton gefahren, wo er ihm am Walnuß-Schreibtisch mit der Reihe elfenbeinfarbener Telefone gegen­übersaß. An der Wand Anbetung der Könige, dubioser Italiener, 17. Jahrhundert. Vor dem Fenster ein umfriedeter Hof, voll­gestellt mit Autos, Lieferwagen und Motorrädern, und Ruhe­baracken, wo die Aufklärer-Teams ihre Freizeit totschlugen. Zuerst fragte Smiley nach Tobys Familie: er hatte einen Sohn in Westminster und eine Tochter an der medizinischen Fakultät, erstes Semester. Dann hielt er Toby vor, daß die Aufklärer mit ihrem Arbeitsplan zwei Monate in Verzug waren, und als Toby Ausflüchte gebrauchte, fragte er geradeheraus, ob die Jungens in letzter Zeit Sonderaufträge erfüllt hätten, entweder im Lande oder auswärts, die Toby aus verständlichen Sicherheitsgründen in seinen Meldungen nicht habe erwähnen können. »Für wen sollte ich das tun, George?« fragte Toby mit ausdruckslosem Blick. »Sie wissen, daß das nach meinem Kanon völlig illegal wäre.« Und in deinem Kanon, Toby, bist du eine wahre Kanone. »Nun, ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, daß Sie es für Percy Alleline tun«, schlug Smiley vor und lieferte ihm damit eine Ausrede. »Schließlich, wenn Percy Sie anweisen würde, ir­gend etwas zu tun und es nicht in die Meldung aufzunehmen, wären Sie in einer heiklen Lage.«

»Was für eine Art von irgend etwas zum Beispiel, George?«

»Im Ausland einen Briefkasten leeren, ein >sicheres Haus < trim­men, jemanden beschatten, in einer Botschaft Meisen kleben. Percy ist schließlich oberster Einsatzleiter. Sie könnten annehmen, er handle auf Befehl der obersten Etage. Ich kann mir so etwas ohne weiteres vorstellen.«

Toby blickte Smiley aufmerksam an. Er hielt eine Zigarette in der Hand, die er angezündet hatte, aber nicht rauchte. Es war eine Selbstgedrehte, aus einem silbernen Etui, sie brannte, aber er führte sie nicht ein einziges Mal an die Lippen. Sie kreiste, manch­mal vor ihm, manchmal zur Seite; zuweilen schien es, als wagte sie den Sprung, aber es kam nie so weit. Unterdessen hielt Toby seine Rede: eine von Tobys persönlichen Verlautbarungen, die seinen endgültigen Standpunkt in dieser Lebensphase ausdrückte. Toby liebte seine Arbeit, sagte er. Er wolle sie gern behalten. Sie sei sein Leben. Er hänge an ihr. Er habe noch andere Interessen, die ihn jederzeit ganz in Anspruch nehmen könnten, aber seine Arbeit sei ihm am liebsten. Sein einziger Kummer, sagte er, sei die Beförderung. Nicht daß er aus ehrgeizigen Gründen danach strebe. Er würde sagen, seine Gründe seien sozialer Natur. »Wissen Sie, George, ich habe so viele Dienstjahre hinter mir, daß es mir richtig peinlich ist, wenn diese jungen Burschen ver­langen, ich solle von ihnen Aufträge entgegennehmen. Sie ver­stehen, was ich sagen will? Acton sogar: Allein der Name Acton klingt für sie lächerlich.«

»Oh«, sagte Smiley milde. »Was sind das für junge Burschen?« Aber Esterhases Interesse war erloschen. Das Gesicht nahm nach dem Abschluß seiner Verlautbarung wieder den gewohnten leeren Ausdruck an, die Puppenaugen hefteten sich auf einen Punkt in mittlerer Entfernung.

»Meinen Sie Roy Bland?« fragte Smiley. »Oder Percy? Ist Percy jung? Wer, Toby?«

Es war sinnlos, bedauerte Toby: »George, wenn man überfällig ist für eine Beförderung und sich krumm schuftet, dann kommt einem jeder jung vor, der eine Sprosse höher auf der Leiter steht.«

»Vielleicht könnte Control Sie ein Stück nach oben hieven«, meinte Smiley und fand seine Rolle wenig sympathisch. Esterhases Erwiderung traf den Nerv. »Ach, wissen Sie, George, ich bin nicht so sicher, daß er im Moment dazu in der Lage ist. Ich möchte Ihnen etwas für Ann mitgeben« - er zog eine Schub­lade auf -, »als ich erfuhr, daß Sie kommen würden, rief ich ein paar Freunde an, etwas Schönes, sage ich, etwas für eine ideale Frau, wissen Sie, ich kann sie nicht mehr vergessen, seit wir uns einmal bei Bill Haydons Cocktail begegneten.« Und so trug Smiley den Trostpreis davon - ein kostbares Parfüm, vermutlich von einem heimkehrenden Aufklärer eingeschmug­gelt - und sagte bei Bland sein Sprüchlein auf. Damit, das wußte er, kam er einen Schritt näher an Haydon heran.

Smiley nahm wieder am Tisch des Majors Platz und suchte unter Lacons Akten, bis er auf einen schmalen Band mit der Aufschrift Operation Witchcraft, direkte Zuweisungen stieß, worin die er­sten, während der Laufzeit von Quelle Merlin angefallenen Aus­gaben verzeichnet waren. »Aus Sicherheitsgründen wird vorge­schlagen«, schrieb Alleline in einem weiteren persönlichen Me­morandum an den Minister, datiert mit dem 8. Februar vor zwei Jahren, »die Finanzierung für Witchcraft absolut getrennt von allen anderen Circusmitteln zu führen. Bis passende Deckung gefunden werden kann, ersuche ich um direkte Subventionen aus dem Etat des Schatzamtes anstelle bloßer Zuschüsse an die Ge­heime Bewilligung, die zweifellos in angemessener Zeit ihren Weg in die generelle Rechnungslegung des Circus finden würden. Ich werde Ihnen persönlich Rechenschaft ablegen.«

»Genehmigt«, hatte der Minister eine Woche später geschrieben, »vorbehaltlich...«

Es gab keine Vorbehalte. Ein Blick auf die erste Zahlenreihe zeigte Smiley alles, was er wissen mußte: Bereits bis Mai jenes Jahres, um die Zeit jenes Gesprächs in Acton, hatte Toby Esterhase persönlich nicht weniger als acht Reisen auf Rechnung des Witch­craft-Budgets unternommen, zwei nach Paris, zwei nach Den Haag, eine nach Helsinki und drei nach Berlin. In jedem Fall war als Zweck der Reise kurz und bündig »Produkt-Beschaffung« angegeben. Zwischen Mai und November, als Control in der Versenkung verschwand, unternahm er weitere neunzehn. Eine davon führte ihn nach Sofia, eine andere nach Istanbul. Keine erforderte eine Abwesenheit von mehr als drei vollen Tagen. Die meisten fanden an Wochenenden statt. Auf mehreren Reisen wurde er von Bland begleitet. Milde ausgedrückt, hatte Toby Esterhase, wie Smiley nie ernstlich bezweifelte, in seinen Hals ge­logen. Es machte Spaß, daß die Akte diesen Eindruck bestätigte.

Smiley hegte damals Roy Bland gegenüber zwiespältige Gefühle. Als er sie jetzt prüfte, fand er, daß sich daran nichts geändert hatte. Ein Universitätslehrer hatte ihn gemeldet, Smiley hatte ihn angeworben; auf erstaunlich ähnliche Weise war Smiley selber ins Netz geraten. Doch zu Roy Blands Zeiten fachte keine deut­sche Bestie die patriotische Flamme an, und antikommunistische Motive hatte Smiley immer ein bißchen störend empfunden. Wie Smiley hatte auch Bland keine richtige Kindheit gehabt. Sein Vater war Dockarbeiter, leidenschaftlicher Gewerkschafter und Mitglied der Kommunistischen Partei. Die Mutter starb, als Bland noch klein war. Der Vater haßte Bildung, wie er Autorität haßte, und als Bland ein gescheiter Junge wurde, setzte sein Vater sich in den Kopf, er habe seinen Sohn an die verhaßte herrschende Klasse verloren und prügelte ihn halb tot. Bland kämpfte sich trotzdem aufs Gymnasium durch, und in den Ferien schuftete er sich krumm, wie Toby sagen würde, um das Schulgeld zu ver­dienen. Als Smiley ihn in seiner Tutorenwohnung in Oxford kennenlernte, wirkte er so ausgepowert wie jemand, der gerade von einer schlimmen Reise zurückgekehrt. Smiley kümmerte sich um ihn und brachte ihm im Lauf mehrerer Monate be­hutsam einen Vorschlag nahe, den Bland annahm, vorwiegend, wie Smiley vermutete, aus Haß auf seinen Vater. Danach war er Smileys Obhut entzogen. Bland lebte nun von namenlosen Zuwendungen, arbeitete in der Marx Memorial Library und schrieb linksgerichtete Artikel für winzige Gazetten, die längst eingegangen wären, wenn der Circus sie nicht unterstützt hätte. An den Abenden debattierte er bei verräucherten Meetings in Wirtshäusern und Turnsälen. Den Urlaub verbrachte er in der Nursery, wo ein Fanatiker namens Thatch Mannequin-Kurse für Tiefenagenten im Auslandseinsatz abhielt, mit jeweils einem Schüler pro Kurs. Thatch trainierte Bland in allen Disziplinen und lotste seine progressiven Ansichten behutsam näher an das marxistische Lager seines Vaters. Genau drei Jahre nach seiner Anwerbung bekam er, teils wegen seines proletarischen Stamm­baums und des väterlichen Einflusses, in King Street einen Einjahresvertrag als Hilfslektor für Wirtschaftswissenschaften von der Universität Poznan. Damit war er lanciert. Von Polen aus bewarb er sich erfolgreich für eine Stelle an der Akademie der Wissenschaften in Budapest, und in den folgenden acht Jahren lebte er das Nomadendasein eines kleinen Links- intellektuellen auf der Suche nach dem wahren Licht, gewann Sympathien, niemals Vertrauen. Er hielt sich in Prag auf, kehrte nach Polen zurück, lehrte zwei höllische Semester in Sofia und sechs in Kiew, wo er einen Nervenzusammenbruch erlitt, den zweiten in zwei Monaten. Wiederum nahm die Nursery ihn auf, dieses Mal um ihn »auszutrocknen«. Er wurde als sauber entlassen, seine Netze bekamen andere Außenagenten, und Roy selber wurde in den Circus versetzt, wo er, im wesentlichen vom Schreibtisch aus, die Netze führte, die er draußen angeworben hatte. In jüngster Zeit, so schien es Smiley, hatte Bland sich sehr an Haydon angeschlossen. Wenn Smiley unangemeldet bei Roy auftauchte, um mit ihm zu plaudern, so fand er mit ziemlicher Sicherheit Bill im Sessel lungern, umgeben von Papieren, Karten und Zigarettenrauch; kam er in Bills Büro, so bedeutete es keine Überraschung, wenn er Bland im durchgeschwitzten Hemd gewichtig auf dem Teppich hin und her stapfen sah. Bill bearbeitete Rußland, Bland die Satelliten; doch schon in jenen frühen Tagen von Witchcraft war der Unterschied nahezu verschwunden.