»Wer führt ihn, Bill?«
»Percy? Karla natürlich, wer sonst? Kleiner Pinscher mit höchster Protektion. Weiß sich Liebkind zu machen. Percy hat sich an Karla verkauft, ist die einzige Erklärung.« Er hatte schon vor langer Zeit die Kunst absichtlichen Mißverstehens entwickelt. »Percy ist unser Haus-Maulwurf«, sagte er.
»Ich meinte, wer führt Merlin? Wer ist Merlin? Was ist eigentlich los?«
Haydon verließ das Regal und machte einen Rundgang vor Smileys Bildern. »Ein Callot, wie?« - er hakte einen kleinen Goldrahmen ab und hielt das Bild ans Licht - »Hübsch.« Er kippte die Brille, um sie als Vergrößerungsglas zu benutzen. Smiley war überzeugt, daß er das Bild schon ein dutzendmal betrachtet hatte. »Sehr hübsch. Kommt niemand auf die Idee, daß ich dabei der Gelackmeierte bin? Mein Zielobjekt ist zufällig Rußland, wissen Sie. Hab' ihm meine besten Jahre geopfert, Netze eingerichtet, Talentsucher, sämtliche Verbindungsstellen. Ihr Leute im fünften Stock habt vergessen, was das heißt: Ein Einsatz, bei dem es drei Tage dauert, bis man einen Brief aufgeben kann, und man kriegt nicht mal Antwort für seine Mühe.«
Smiley, pflichtschuldigst: »Ja, das habe ich vergessen. Ja, ich kann's Ihnen nachfühlen. Nein, ich denke nicht die Bohne an Ann; wir sind schließlich Kollegen und Männer von Welt und sind hier beisammen, um über Merlin und Control zu sprechen.«
»Und dann kommt dieser Parvenü Percy des Wegs, dieser verdammte schottische Klinkenputzer, keine Spur von Klasse, und schleppt eine ganze Wagenladung russischer Leckerbissen an. Verdammt ärgerlich, finden Sie nicht?«
»Äußerst.«
»Der Haken ist, meine Netze sind nicht sehr gut. Viel einfacher, Percy auszuspionieren, als . . .« Er brach ab, als hätte er genug von seiner eigenen These. Seine Aufmerksamkeit hatte sich einem winzigen Van Mieris, einem Kopf in Kreide, zugewandt. »Und das hier mag ich sehr«, sagte er. »Hat Ann mir geschenkt.«
»Wiedergutmachung ?«
»Wahrscheinlich.«
»Muß eine recht schwere Sünde gewesen sein. Seit wann haben Sie es?«
Noch jetzt erinnerte Smiley sich, wie still die Straße gewesen war. Dienstag? Mittwoch? Und er erinnerte sich, daß er gedacht hatte: »Nein, Bill. Für dich habe ich bisher noch keinen Trostpreis bekommen. Bis zum heutigen Abend bist du nicht einmal ein Paar Pantoffeln wert.« Gedacht, aber nicht gesagt. »Ist Control krank oder was?« fragte Haydon. »Nur sehr beschäftigt.«
»Was tut er den ganzen Tag? Er lebt wie ein Einsiedler. Wie ein bekloppter Einsiedler kratzt er in dieser Höhle dort oben still vor sich hin. Diese ganzen verdammten Akten, die er durchschnüffelt, was um Gottes willen soll das sein? Eine sentimentale Reise durch seine unerfreuliche Vergangenheit, möcht ich wetten. Er sieht hundeelend aus. Daran ist wahrscheinlich auch Merlin schuld, wie?«
Wiederum sagte Smiley nichts.
»Warum kommt er nicht aus seinem Bau? Warum beschäftigt er sich nicht mit uns, anstatt dort oben nach Trüffeln zu wühlen? Wonach ist er aus?«
»Ich wußte nicht, daß er nach etwas aus ist«, sagte Smiley. »Ach, stellen Sie sich doch nicht so an. Natürlich ist er nach etwas aus. Ich hab eine Quelle dort oben, eine von den Müttern, wußten Sie das nicht? Liefert mir Indiskretionen gegen Schokolade. Control ackert die Personalakten der alten Circusrecken durch, klaubt den Dreck heraus, wer war rot? Wer war andersrum? Die Hälfte von ihnen liegt schon unter der Erde. Arbeitet an einer Zusammenstellung aller unserer schwachen Seiten: können Sie sich das vorstellen? Und weshalb? Weil wir Erfolg haben. Er ist verrückt, George. Nicht mehr alle Tassen im Schrank: Altersblödsinn, dürfen Sie mir glauben. Hat Ann Ihnen je vom bösen Onkel Fry erzählt? Der glaubte, die Diener würden die Rosen mit Mikros spicken, um rauszukriegen, wo er sein Geld versteckt hat? Gehn Sie weg von ihm, George. Der Tod ist eine Nervensäge. Reißen Sie sich los, ziehen sie ein paar Etagen weiter runter. Zum Fußvolk.«
Ann war noch nicht zurück, und so schlenderten sie nebeneinander die King's Road entlang und hielten nach einem Taxi Ausschau, während Bill seine jüngsten politischen Ideen zum besten gab und Smiley »ja, Bill« und »nein, Bill« sagte und überlegte, wie er es Control beibringen sollte. Vor einem Jahr war Bill überzeugter Falke gewesen. Er hatte die konventionellen Streitkräfte in Europa reduzieren und sie kurzerhand durch nukleare Waffen ersetzen wollen. Er war ungefähr der einzige Mensch in Whitehall gewesen, der noch an Englands unabhängige Abschreckungsmacht glaubte. In diesem Jahr war Bill, wenn Smiley sich recht erinnerte, Pazifist und wollte das Schwedenmodell ohne Schweden.
Kein Taxi kam, es war eine schöne Nacht, und wie alte Freunde wanderten sie Seite an Seite dahin.
»Übrigens, wenn Sie jemals diesen Mieris verkaufen wollten, lassen Sie mich's wissen, ja? Ich würde Ihnen einen anständigen Preis zahlen.«
Da er glaubte, Bill mache wieder einmal einen schlechten Witz, fuhr Smiley zu ihm herum und wollte ärgerlich erwidern. Haydon entging es völlig. Er spähte straßab und winkte einem nahenden Taxi.
»Herrgott, seh'n Sie sich das an«, rief er ungehalten. »Voller verdammter Juden, die zu Quag's zum Fressen fahren.«
»Bill muß schon lauter Schwielen am Hintern haben«, brummte Control am nächsten Tag und blickte kaum von seiner Lektüre auf. »Seit Jahren sitzt er bloß herum und wartet seinen Tag ab. Einen Augenblick starrte er Smiley verloren an, als ob er durch ihn hindurch auf ein anderes, weniger fleischliches Ziel sähe ; dann senkte er die Augen und schien sich wieder ans Lesen zu machen. »Ich bin froh, daß er nicht mein Vetter ist«, sagte er. Am folgenden Morgen hatten die Mütter überraschende Nachrichten für Smiley. Control sei nach Belfast zu Besprechungen mit der Army geflogen. Als Smiley später die Reisevorschüsse nachprüfte, entdeckte er die Lüge. Niemand aus dem Circus war in diesem Monat nach Belfast geflogen, aber es fand sich eine Belastung für ein Retourbillett erster Klasse nach Wien und als Antragsteller war Smiley angegeben. Haydon, der auch zu Control wollte, war wütend:
»Was, zum Teufel, ist denn in letzter Zeit los mit ihm? Er will wohl Irland kapern, die Organisation aufspalten. Herrjeh, der Mann ist eine Nervensäge.«
Das Licht im Kombiwagen erlosch, aber Smiley konnte den Blick noch immer nicht von dem buntscheckigen Dach abwenden. Wie leben sie? fragte er sich. Woher kriegen sie Wasser, Geld? Er versuchte, sich in die Logistik eines Klausnerdaseins in Sussex Gardens einzufühlen: Wasser, Dränage, Licht. Ann würde das ohne weiteres lösen, ebenso Bill. Tatsachen. Was waren die Tatsachen?
Tatsache war, daß ich eines linden Sommerabends vor der Witchcraft-Zeit unerwartet aus Berlin zurückkehrte, um Bill Haydon auf dem Teppich im Salon ausgestreckt zu finden, während Ann ihm auf dem Grammophon Liszt vorspielte. Ann saß am anderen Ende des Zimmers, im Neglige ohne Make-up. Es gab keine Szene, jeder benahm sich gequält natürlich. Bill war, laut eigener Aussage, soeben aus Washington gelandet und auf dem Weg vom Flugplatz kurz vorbeigekommen. Ann war schon im Bett gewesen, hatte es sich jedoch nicht nehmen lassen, aufzustehen und ihn willkommen zu heißen. Wir waren uns darüber einig, wie schade es sei, daß wir nicht gemeinsam ein Taxi von Heathrow genommen hatten. Bill ging wieder, ich fragte:
»Was wollte er?« und Ann sagte: »Sich an einer Schulter ausweinen.« Bill hatte Liebeskummer und wollte sein Herz ausschütten, meinte sie.
»In Washington sitzt Felicity und möchte ein Baby, und in London Jan, die eins kriegt.«