»Alles in Ordnung mit Ihnen, Doktor?« fragte Bach. Die Sorge in seiner Stimme klang echt. Aber er trat nicht zu Hertzog hin, um ihm zu helfen, sondern behielt weiter den Kühlschrank im Auge. Der Lärm darin hatte nicht aufgehört.
»Nein«, antwortete Hertzog mühsam. »Nichts ist in Ordnung, Sie ...«
»Soll ich einen Arzt rufen?« fragte Bach gelassen.
Hertzog ächzte. »Ich bin der Arzt hier.«
Bach lächelte flüchtig und wandte den Kopf, aber er sah nicht Hertzog an, sondern mich. »John?«
»Ich bin okay«, antwortete ich. Es war eine Lüge. Ich war ganz und gar nicht okay. Nichts war okay, weder ich, noch Bach oder Hertzog, oder gar das Ding dort im Kühlschrank. Und Bach sah mir das natürlich an.
»Sie lügen, John«, sagte er. »Tun Sie das nicht. Ich mag es nicht, wenn man mich anlügt.«
Ich sagte einige Sekunden lang gar nichts, aber dann deutete ich auf den Kühlschrank und fragte: »Dieses ... Ding dort drinnen, Captain.«
»Der Ganglion?«
»Nennt man sie so?«
»Ich nenne sie so«, antwortete Bach. Er zuckte die Achseln. »Ich habe mir die Freiheit genommen, unseren Feinden einen Namen zu geben. Ich fand die Bezeichnung passend.«
»Und besonders originell dazu«, sagte Hertzog.
Bach ignorierte ihn. »Es ist leichter, einen Feind zu bekämpfen, wenn er einen Namen hat«, fuhr er fort.
»Das heißt, es ist nicht das erste Mal, dass Sie so ein ... Ding sehen«, stellte Hertzog fest. Er hatte die Augen wieder geöffnet und massierte mit den Fingerspitzen seinen Kehlkopf. Spätestens Morgen würde er einen gewaltigen Bluterguss haben, dachte ich. Es grenzte an ein Wunder, dass er überhaupt noch lebte.
»Es ist das erste Mal, dass wir eines lebend erwischen«, antwortete Bach.
Die Tür wurde geöffnet, und Walt, Steel und der dritte Majestic-Agent, der mit uns in Ohio gewesen war, traten ein. Steel trug einen rechteckigen Aluminiumkoffer in beiden Händen, der sehr schwer zu sein schien. Ächzend lud er ihn auf dem Tisch ab, trat einen Schritt zurück und öffnete ihn dann, als Bach ihm einen entsprechenden Wink gab. Weißer Dampf entwich zischend aus dem Deckel, und ich spürte eine Welle intensiver Kälte, obwohl ich mindestens drei oder vier Schritte entfernt stand.
»Nehmen Sie es heraus, Lieutenant«, sagte Bach.
Steel nickte nervös, sah sich einen Moment suchend um und nahm ein Paar schwarzer Gummihandschuhe von einem Regal, das er sorgsam überstreifte. Bach runzelte die Stirn, sagte aber nichts. Steel beugte sich über den Koffer, griff hinein und zog einen Glasbehälter heraus, der in Grösse und Form dem ähnelte, in den wir den Ganglion gesperrt hatten, aber wesentlich dickwandiger war. Hastig stellte er ihn auf den Tisch, trat zurück und riss sich die Handschuhe herunter. Er sagte nichts, aber sein Gesicht zuckte. Normale Gummihandschuhe waren offensichtlich kein hinlänglicher Schutz gegen die enorme Kälte, die das Glas ausstrahlte.
Niemand von uns sprach ein Wort, während wir darauf warteten, dass sich die dünne Reifschicht auflöste und das Glas durchsichtig wurde. Es dauerte lange; mehrere Minuten. Aber ich wusste schon lange vorher, was wir sehen würden. Ich konnte es spüren. Trotzdem begann mein Herz schneller zu schlagen, als ich den toten Ganglion sah, der in einer gelblichen Konservierungsflüssigkeit im Inneren des Glases schwamm.
Das Geschöpf war wesentlich größer als das, das wir in den Kühlschrank gesperrt hatten, und sah auch nicht ganz genauso aus. Auf eine schwer in Worte zu fassende Art wirkte es noch fremdartiger.
»Woher haben Sie das?« fragte Hertzog.
»Roswell«, antwortete Bach. »Es stammt aus einem der toten Grauen, die wir in dem Wrack gefunden haben.«
»Das ist fünfzehn Jahre her!« sagte Hertzog. »Warum hat mir niemand etwas davon gesagt? Wieso wusste ich nichts davon?«
»Weil Sie es nicht zu wissen brauchten«, antwortete Bach.
»Fantastisch!« sagte Hertzog wütend. »Ihre Geheimniskrämerei hätte mich fast umgebracht!«
»Sie leben ja noch, oder?« erwiderte Bach ruhig. »Außerdem wusste ich nicht, was passieren würde. Ich hatte keine Ahnung, dass sie ...« Er warf einen kurzen Blick auf Brandons Leichnam. »... Tote aufwecken können.«
Steel und Walt tauschten einen erstaunten Blick, aber Bach machte wie üblich keinerlei Anstalten, seine Worte zu erklären. »Wir wissen so wenig über sie«, murmelte er kopfschüttelnd. »Und sie wahrscheinlich so viel über uns ...«
»Roswell ...«, murmelte ich. Bach sah mich fragend an, und ich fuhr nach einer Sekunde fort: »Sie ... Sie haben dieses Ding in einem Alien gefunden?«
Bach nickte. Ich las in seinen Augen, dass er wusste, worauf ich hinauswollte. Er selbst stellte sich die gleiche Frage vermutlich schon die ganze Zeit. Vielleicht war es das, was ihm solche Angst machte.
»Und jetzt haben wir eines in einem Menschen gefunden«, fuhr ich fort. »Wie ... wie ist das möglich?«
»Das ist nicht die Frage, John«, sagte Bach leise. »Die Frage ist: Wie viele sind noch da draußen?«
Niemand antwortete. Bach sprach nicht weiter, aber ich konnte das, was er nicht mehr aussprach, deutlich in seinen Augen lesen: Wie viele sind mitten unter uns?
Ich musste keine Müdigkeit heucheln, als ich die Treppe zu unserem Apartment hinaufhumpelte und in meiner Manteltasche nach dem Schlüssel grub. Ich fand ihn nicht auf Anhieb, und nachdem ich ihn endlich herausgezogen hatte, hatte ich Mühe das Schloss zu öffnen. Draußen wurde es allmählich hell; wir hatten noch mehr als zwei Stunden zusammengesessen und diskutiert - natürlich ohne zu irgendeinem Ergebnis zu kommen - und ich war mittlerweile seit fast dreißig Stunden ununterbrochen auf den Beinen. Ich wollte nur noch schlafen. Trotzdem hatte ich einen Umweg von einer guten halben Stunde gemacht, ehe ich nach Hause gegangen war. Ich wollte Kim nicht begegnen. Nicht jetzt. Bach hatte mir noch einmal die Geschichte eingeschärft, die er ihr erzählt hatte - sie war simpel und gerade deshalb überzeugend -, aber ich war nicht sicher, ob ich überzeugend war. Nicht in dem Zustand, in dem ich mich befand. Übermüdung und Nervosität sind nicht unbedingt hilfreich dabei, den Menschen zu belügen, der einem auf der ganzen Welt am meisten bedeutet. Ich war nicht einmal sicher, dass es mir am Abend gelingen würde, wenn Kim zurückkam.
Ich warf die Tür hinter mir zu, schälte mich aus dem Mantel - und blieb überrascht stehen. Die Wohnung war nicht dunkel. Das Radio lief. In der Küche brannte Licht, und Kimberley saß am Tisch, rauchte eine Zigarette und hielt eine Tasse Kaffee in der linken Hand. Sie musste mich gehört haben; schließlich hatte ich mir keine Mühe gegeben, sonderlich leise zu sein. Trotzdem sah sie nicht einmal hoch, als ich die Küche betrat.
»Guten Morgen, Schatz«, sagte ich.
Sie hob nun doch den Blick, lächelte mir müde und nicht sonderlich überzeugend zu und nippte an ihrem Kaffee. Mir fiel auf, dass sie sich ziemlich herausgeputzt hatte: Sie trug ihr bestes Kostüm, war offensichtlich beim Frisör gewesen und hatte sich sorgfältig geschminkt. Was nicht dazu passte, war der übervolle Aschenbecher auf dem Tisch vor ihr, die schlechte Luft im Raum und ihr müder Gesichtsausdruck. Vielleicht war ich nicht der einzige, der in der vergangenen Nacht nicht besonders viel Schlaf bekommen hatte.
»Was ist los?« fragte ich geradeheraus.
Kimberley nahm einen Zug aus ihrer Zigarette, inhalierte tief und starrte auf einen Punkt irgendwo hinter mir. »Ich dachte, das könntest du mir sagen.«
»Ich?« Ich versuchte zu lachen, aber das Geräusch, das ich zu Stande brachte, hörte sich wohl mehr nach dem Gegenteil an. »Es tut mir leid, dass ich nicht angerufen habe. Aber ich musste ganz überraschend weg - hast du meine Nachricht nicht bekommen?«