Ich war immer noch vollkommen fassungslos - allerdings nicht unbedingt aus den Gründen, die Kimberley vermuten mochte. Plötzlich verspürte ich ein eisiges Frösteln, und für eine Sekunde glaubte ich wieder Bachs Stimme zu hören, so deutlich, als stünde er hinter mir und wiederhole seine Worte von gerade noch einmal. Ich hoffe, Sie finden Gefallen an unserem kleinen Geschenk.
»Was ist los?« fragte Kimberley blinzelnd. »Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen. Und ich dachte, du freust dich.«
»Aber das tue ich«, sagte ich hastig. »Ich ... ich war nur so überrascht, das ist alles. Wie ... wie bist du denn ...?«
»Das Wohltätigkeitsessen, vorgestern Abend«, antwortete Kimberley aufgeregt. »Du erinnerst dich? Ich habe dir doch erzählt, dass wir hohen Besuch erwarten.«
»Jackie?«
»Die First Lady«, verbesserte mich Kimberley betont. »Mit ihrem ganzen Stab. Sie waren wirklich begeistert von dem Fest - und vor allem von meinem Zwiebelkuchen.«
»Und da hat sie dich vom Fleck weg als Köchin engagiert«, vermutete ich.
Kimberley lachte. »Wir kamen ins Gespräch. Sie ist eine wirklich nette Frau, weißt du? Wir haben über dies oder das gesprochen. Über das College, über dich - da wusste ich noch nicht, dass du neuerdings als Aushilfs-Mafioso für Pratt arbeitest - über mich und meine Arbeit ...«
Sie fuhr fort, so hastig auf mich einzureden, dass die Worte nur so aus ihr heraussprudelten. Wahrscheinlich hatte sie den ganzen Tag über Höllenqualen ausgestanden, mir ihre große Neuigkeit nicht mitteilen zu können. Trotzdem hatte ich Mühe, ihren Worten zu folgen. Ich hoffe, Sie finden Gefallen an unserem Geschenk ...
»Hörst du mir eigentlich zu?« fragte Kimberley plötzlich. Ich schrak ein wenig zusammen. Tatsächlich war ich zwei oder drei Sekunden so abgelenkt gewesen, dass ich nicht mehr gehört hatte, was sie sagte. »Natürlich«, sagte ich hastig. »Entschuldige bitte. Ich war nur so überrascht.«
»Na, und ich erst«, sagte Kimberley aufgeregt. »Ich habe es im ersten Moment gar nicht geglaubt, als der Anruf kam.«
»Welcher Anruf?«
»Aus ihrem Büro«, antwortete Kim. »Ein unglaublicher Zufall. Eine ihrer Sekretärinnen hat ganz plötzlich gekündigt, stell dir vor! Von einem Moment auf den anderen. Und da hat sie sich wohl an unser Gespräch erinnert und mich einfach fragen lassen, ob ich an dem Job interessiert wäre.«
»Du hast natürlich abgelehnt«, sagte ich.
»Natürlich«, antwortete Kimberley ernst. »Aber sie hat so gebettelt, dass mir fast das Herz gebrochen wäre. Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen.«
»Jackie Kennedy vor dir auf den Knien ...«
»... und in Tränen aufgelöst«, fügte sie nickend hinzu. »Es ist mir zwar schwer gefallen, aber schließlich habe ich nachgegeben.«
Sie beherrschte sich noch eine knappe Sekunde, aber dann prustete sie vor Lachen heraus, und auch ich sprang auf, lachte, so laut ich konnte, und schloss sie in die Arme. Ich freute mich so sehr für sie, dass es mir kaum möglich war, das Gefühl in Worte zu fassen.
Und trotzdem. In meinen Gedanken blieb etwas wie ein schlechter Nachgeschmack zurück. Ich hoffe, Sie finden Gefallen an unserem kleinen Geschenk. Plötzlich hatte ich wieder Angst vor Bach. Wozu um alles in der Welt war dieser Mann noch fähig?
Und plötzlich hatte ich das Gefühl, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben.
Damals wusste ich noch nicht, wie Recht ich mit diesem Gedanken hatte.
Aber es sollte nicht mehr lange dauern, bis ich es begriff.
Als ich am Montagmorgen - wie gewohnt pünktlich zehn Minuten vor Dienstbeginn - ins Büro kam, erlebte ich eine Überraschung: Mein Schreibtisch war nicht mehr da. Das hieß: Natürlich war er noch da; er stand, zerschrammt und unansehnlich wie eh und je an seinem Platz. Aber es war nicht mehr mein Schreibtisch. Jemand hatte ihn vollkommen leer geräumt. Sämtliche Schubladen standen auf, und auch das kleine Messingschildchen mit meinem Namen, das ich auf eigene Kosten angeschafft hatte und auf das ich so stolz gewesen war, war verschwunden.
Der Anblick traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich hatte gehofft, dass Bach Wort hielt und mich gegen Pratt in Schutz nahm; ich hatte mir sogar mit einigem Erfolg eingeredet, davon überzeugt zu sein, dass mir nichts passieren konnte - aber tief in mir war ich keineswegs überzeugt davon gewesen. Ich hätte nicht überrascht sein dürfen. Ich wäre es nicht einmal gewesen, hätte ich auf meinem Schreibtisch eine Notiz gefunden, dass ich mich unverzüglich bei Pratt zu melden hätte, oder möglicherweise auch gleich einen Briefumschlag mit meiner Kündigung. Ja, selbst Pratts Anblick, der mit vor der Brust verschränkten Armen an meinem Schreibtisch lehnte und bereits voller Ungeduld darauf wartete, mich vor versammelter Mannschaft in den Boden zu stampfen, hätte mich nicht so getroffen wie dieser leere Schreibtisch. Der Anblick hatte etwas Endgültiges, und was noch schlimmer war, er machte mir klar, wie bedeutungslos ich war. Pratt hatte es nicht nötig, mich zu sich zu zitieren. Er hatte Tatsachen geschaffen.
»John?«
Ich erkannte Marks Stimme, aber irgendwie hatte ich nicht die Kraft, mich zu ihm herumzudrehen, sondern starrte weiter den leer geräumten Schreibtisch an. »Was ... ist passiert?« fragte ich mühsam.
»Das fragst du mich?« Mark trat mit zwei schnellen Schritten an mir vorbei und sah abwechselnd mich und die leer geräumte Tischplatte an. »Verdammt, John, was um alles in der Welt hast du getan?«
Ich konnte immer noch nicht antworten. Ich verstand nicht einmal wirklich, was er meinte. »Ich nehme an, Pratt will mich sprechen«, sagte ich lahm.
Mark nickte. »Darauf kannst du Gift nehmen«, sagte er. »Verdammt, John, wo bist du gewesen? Was um alles in der Welt hast du angestellt? Pratt schäumt seit drei Tagen vor Wut! Ich habe ihn noch nie so außer sich erlebt. Wo bist du gewesen?«
»Darüber kann ich nicht reden«, antwortete ich lahm.
»Das wirst du aber müssen«, erwiderte Mark. In seinen Augen stand ein Ausdruck ehrlich empfundener Sorge. Wäre die Situation auch nur eine Winzigkeit anders gewesen, hätte ich sicher Dankbarkeit empfunden. Aber alles, was ich spürte, war Verwirrung.
»Weißt du, wohin sie meine persönlichen Sachen gebracht haben?« fragte ich.
»Da, wo auch alles andere ist.«
»In einem Pappkarton im Keller? Oder hat Pratt gleich alles verbrannt?«
»Das würde er wahrscheinlich liebend gerne tun«, sagte Mark. Er wirkte ein bisschen verwirrt, und er sah mich auf eine fragende Art an, die ich nicht verstand. »Ich soll ihm Bescheid sagen, sobald du da bist. Komm.«
Er wedelte aufgeregt mit beiden Händen, ihm zu folgen, und ich gehorchte ganz automatisch. Wie in Trance folgte ich ihm, wobei ich mich vergeblich bemühte, die neugierigen, aber auch mitleidigen Blicke zu ignorieren, die mir meine Kollegen zuwarfen. Falsch: nicht meine Kollegen. Meine Ex-Kollegen.
Mark führte mich auf den Gang hinaus, wandte sich aber nicht nach links, in die Richtung, in der Pratts Büro lag, sondern in die entgegengesetzte Richtung. »Wohin gehen wir?« fragte ich. »Ist das Erschießungskommando unten im Hof angetreten?«
Mark schien mit meinem Galgenhumor nicht allzu viel anfangen zu können, denn er antwortete gar nicht, sondern ging im Gegenteil ein wenig schneller. Vor einer geschlossenen Milchglastür am Ende des Korridors blieben wir stehen.
»Was sollen wir hier?« fragte ich.
Mark antwortete immer noch nicht, aber er deutete auf die Tür, und als ich seiner Geste folgte, hatte ich die Antwort.
Nicht, dass ich sie verstanden hätte.
Auf der Tür stand mein Name. Groß, deutlich lesbar und in tiefschwarzen, frisch aufgemalten Buchstaben: John Loengard.
»Ich hole jetzt Pratt«, sagte Mark. »Ich bin in zwei Minuten zurück. Und bis dahin solltest du dir ein paar gute Antworten einfallen lassen.«