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»Abends«, bestätigte ich.

»Kein Wunder, dass ich mich wie gerädert fühle«, sagte sie. »Wie kann man nur so lange schlafen? Sei ein Schatz und koch uns noch einen Kaffee; den stärksten, den du zustande bringst.«

»Wir müssen uns wirklich unterhalten, Kim«, sagte ich ernst. Die Verlockung war groß, ihr Angebot anzunehmen. Es wäre leicht gewesen, es zu tun - Bachs Geheimnis weiter für mich zu behalten und Kim weiter in dem Glauben zu belassen, dass ich Tag für Tag ins Büro ginge, um dort langweilige Zahlenkolonnen aus verstaubten Akten abzuschreiben.

Aber das hieß auch, weiter mit einer Lüge zu leben.

Und das wollte ich nicht.

»Das werden wir«, antwortete Kim. »Nachdem du Kaffee gemacht und ich mich angezogen habe.«

Ich kapitulierte. Doch als ich aufstand und auch Kimberley sich erhob, fiel mir etwas auf. Auf ihrem Kopfkissen befand sich ein kleiner, kreisrunder Blutfleck.

»Was ist passiert?« Als sie mich nur fragend ansah, deutete ich mit einer Geste auf ihr Kissen. Kims Blick folgte der Bewegung. Sie fuhr erschrocken zusammen, hob die Hand an den Hinterkopf und blickte dann stirnrunzelnd auf ihre Fingerspitzen, an denen ebenfalls Blut klebte.

»Ich muss mich wohl gestoßen haben«, sagte sie. »Seltsam - ich kann mich gar nicht erinnern. Und es tut auch gar nicht weh.«

»Lass mich sehen«, verlangte ich, aber Kimberley wehrte ab.

»Es ist nichts«, sagte sie. »Ein Grund mehr, in Zukunft nach dem zweiten Martini Schluss zu machen - und einen starken Kaffee zu trinken.«

Das gefiel mir nicht. Es war wirklich nur ein winziger Blutfleck, vermutlich nicht mehr als ein einzelner Tropfen, aber dass sie sich nicht erinnerte, wo und wie sie sich diese Verletzung zugezogen hatte, irritierte mich. Wenn ihr so etwas passierte, musste sie mehr als nur ein bisschen betrunken gewesen sein. Aber ich wollte den gerade geschlossenen, noch empfindlichen Frieden nicht sofort wieder gefährden, drehte mich wortlos um und verließ das Schlafzimmer.

Ich kochte Kaffee, wie ich es Kim versprochen hatte, und danach kehrte ich ins Wohnzimmer zurück und begann, das herrschende Chaos zu beseitigen, so gut ich konnte. Besonders gut war es nicht. Ich habe niemals das Talent zum Hausmann besessen, und um ganz ehrlich zu sein: auch nicht den Ehrgeiz, es zu entwickeln. Aber ich bemühte mich, und als Kimberley - nach einer Ewigkeit, wie es mir vorkam - aus dem Schlafzimmer auftauchte, hatte ich die schlimmsten Folgen der vergangenen Nacht beseitigt. Was blieb, war eine schmierige Pfütze unter dem Fenster, von der ich annahm, es wäre Regenwasser, das vom Wind hereingeweht worden war.

Aber es war kein Regenwasser. Es war eine streng riechende, graugrüne Substanz von fast schleimiger Konsistenz.

»Was um Gottes willen ist denn das?« fragte ich angeekelt.

Kim kam neugierig näher und ging in die Hocke. Sie streckte die Hand nach der Pfütze aus, berührte sie aber nicht, sondern verzog ebenfalls angeekelt das Gesicht.

»Das muss die Katze gewesen sein«, sagte sie.

»Katze? Was für eine Katze?«

Kim blinzelte. »Ich ... erinnere mich jetzt«, sagte sie zögernd. »Eine Katze kam herein, weil das Fenster offen stand. Jetzt weiß ich es wieder: Ich wollte sie verscheuchen, weil sie diese Schweinerei angerichtet hat. Dabei habe ich mir den Kopf angestoßen.«

Zweifelnd blickte ich abwechselnd sie und die sonderbare Pfütze an. Das Zeug sah nicht so aus, als wäre es von einer Katze hinterlassen worden. Es roch auch nicht so.

»Vergiss das jetzt«, sagte Kimberley und stand auf. »Weißt du was? Ich wische das später weg. Jetzt ziehst du deinen Mantel wieder an, und ich lade dich zur Feier des Tages zum Abendessen ein. Du hattest mir doch von diesem kleinen italienischen Restaurant zwei Straßen weiter von hier erzählt.«

Während der nächsten Wochen geschah nichts Außergewöhnliches. In Wirklichkeit geschahen eine Menge außergewöhnlicher und bedrohlicher Dinge, aber ich bekam wenig davon mit; vielleicht wollte ich auch außerhalb meiner kleinen Welt nichts mehr sehen. Als ich begriff, was geschah, war es beinahe zu spät.

Die Dinge gingen ihren Gang, wie man so schön sagte. Kimberley und ich gingen tagsüber weiter ins Büro und taten unsere Arbeit, ich ging abends und an den Wochenenden zu Majestic, und sie stellte niemals auch nur eine einzige Frage, ganz wie sie es versprochen hatte. Und ich beließ es dabei. Im Nachhinein war ich ganz froh, dass sie mich davon abgehalten hatte, sie einzuweihen. Manchmal plagte mich immer noch mein schlechtes Gewissen, das größte und wichtigste Geheimnis meines Lebens ausgerechnet vor ihr verborgen zu halten, aber zugleich war ich auch fast erleichtert. Bach mochte wohl einen Narren an mir gefressen haben, wie Hertzog behauptete, aber ich bezweifelte, dass seine Großmut weit genug reichte, um mir einen Hochverrat zu verzeihen - und als nichts anderes hätte er es betrachtet, hätte ich Kim eingeweiht. Ganz gleich, aus welchen Gründen.

Was mich schließlich dazu brachte, es doch zu tun, das war ein Ereignis, das wohl jeder von Ihnen kennt, auch die, die damals noch gar nicht geboren waren; auch wenn die allerwenigsten von Ihnen wohl die wirklichen Hintergründe kennen. Ebenso wenig wie ich übrigens, damals.

Die Tage begannen wieder länger zu werden, und die Abende damit wärmer. Kim und ich hatten uns in letzter Zeit angewöhnt, fast regelmäßig auszugehen; ein Verhalten, das unseren Haushaltsetat ebenso strapazierte, wie es unserem Privatleben gut tat. Es war mir gleich. Kimberley und ich verstanden uns so gut wie seit Monaten nicht mehr, und wenn der Preis dafür darin bestand, dass ich zwei Jahre länger auf einen neuen Wagen sparen oder meinen Anzug ein Jahr länger tragen musste, dann war es mir recht.

Es war schon spät. Wir hatten italienisch gegessen und anschließend eine gute Flasche Wein getrunken, und ich war gerade weit genug beschwipst, um noch Herr meiner Sinne (und vor allem meiner Sprache) zu sein, mich aber auf einen romantischen Ausklang des Abends in unserem Schlafzimmer zu freuen. Auch das war etwas, das sich in den letzten Wochen geändert hatte: Heutzutage ist es vielleicht selbstverständlich, dass auch eine Frau sexuell aktiv wird und ihre Wünsche klar und deutlich formuliert, aber in den sechziger Jahren war dies ganz und gar nicht normal, aller Flower-Power-Romantik und Hippiebewegung zum Trotz. Nicht, dass ich mich über diese Veränderung beklagt hätte ...

Wir waren noch einen Block von Zuhause entfernt. Es war weit nach zehn, und die Straße hätte eigentlich so gut wie leer sein müssen. Trotzdem hatte sich vor einem Geschäft auf der anderen Straßenseite ein regelrechter Menschenauflauf gebildet.

»Was ist denn da los?« fragte Kim.

Ich sah nur flüchtig hin. Ein gutes Dutzend Menschen hatte sich vor dem Schaufenster eines Fernsehgeschäfts eingefunden, es war die Zeit, in der auch in Amerika nicht jeder Haushalt über einen eigenen Fernseher verfügte und in jedem Schaufenster einer oder auch mehrere Apparate liefen. Mich interessierte es im Moment nicht. Wir hatten einen eigenen Fernseher, und ich hatte für den Rest des Abends andere Pläne, als mir eine Soap-Opera anzusehen oder irgendeine Quiz-Show.

»Keine Ahnung«, sagte ich achselzuckend. »Lass uns nach Hause gehen. Ich möchte ins Bett.«

»Ich denke, du bist nicht müde.«

»Bin ich auch nicht«, antwortete ich grinsend.

Kimberley lachte, zog mich aber trotzdem mit schon etwas mehr als sanfter Gewalt quer über die Straße und auf das Schaufenster zu. Ich sträubte mich nicht. Ob wir ein paar Minuten früher oder später zu Hause ankamen, spielte keine Rolle.

Doch der Abend sollte einen radikal anderen Verlauf nehmen, als ich in diesem Moment ahnte.

Und mit ihm der Rest meines Lebens.

Dass irgendetwas nicht stimmte, fiel mir schon auf, bevor wir das Geschäft erreichten. Am Straßenrand parkte ein Wagen. Der Motor lief, und der Fahrer saß hinter dem Steuer und lauschte konzentriert der Stimme des Nachrichtensprechers, die aus dem Radio drang. Er sah sehr besorgt aus. Um nicht zu sagen: erschrocken. Das Fenster des Wagens stand offen, aber ich konnte nicht verstehen, was die Stimme aus dem Radio sagte. Doch ich fing einige Fetzen auf; vielleicht nur Bruchstücke von Worten, aber es waren Bruchstücke, die mich aufs höchste beunruhigten. Es waren Worte wie Nuklearsprengkopf, Ultimatum und Kernwaffeneinsatz.