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«Ich werde General Popow beauftragen, eine Sonderabteilung nach Puschkin zu schicken und das Bernsteinzimmer auszubauen. «Schukows Mitleid wuchs, als er sah, wie es um Wo-roschilows Lippen zuckte.»Wir werden zwölf Divisionen aus dem Baltikum zusammenziehen und daraus die 42. und 48. Armee bilden. Da werden wir doch eine kleine Sondereinheit abzweigen können.«

«Wenn die Deutschen nicht vorher in Puschkin sind.«

«Das weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, daß wir uns an jedem Meter Erde festkrallen werden. Leningrad ist ein Fanal. Wir werden es den Deutschen nie, nie überlassen, auch wenn Stalin sagt, es sei eine fast hoffnungslose Lage. Fast hoffnungslos. An diesem fast halte ich fest.«

Aber auch Schukow sah in den nächsten Tagen ein, daß es unmöglich war, das Bernsteinzimmer noch rechtzeitig nach Leningrad zu bringen. Die in drei Schichten arbeitenden Frauen im Katharinen-Palast von Puschkin, dem ehemaligen Zarskoje Selo, seit Peter dem Großen Sommersitz der Zaren, bekamen daher die Order, das kostbare Zimmer vor Zerstörung zu schützen. Sie stellten große Holztafeln als Splitterschutz vor den Bernsteinwänden auf und beklebten die großen, in der Sonne in allen Gelbtönen funkelnden Flächen mit Papier. Damit wollte man verhindern, daß Erschütterungen die Mosaiken sprengten und die Bernsteinstücke von den Paneelen platzten. Schließlich trugen die Frauen alle beweglichen Kunstschätze wie Büsten aus Bernstein, einen großen Bernsteinsekretär, Tische aus Bernstein und zierliche Schränkchen zu den letzten Lastwagen, die von der Armee zum Transport von Lebensmitteln, Munition, Geschützen, Z5-ment, Eisengeflechte und neuen Regimentern dringender gebraucht wurden als zur Rettung von Kunstschätzen.

«Ich habe auch Hunderttausende von Männern, Frauen und

Kindern zu retten!«sagte Schukow einmal in jenen Tagen zu General Sinowjew, der bei einer Lagebesprechung die Aufgabe der Kunstwerke bedauerte.»Edelsteinbesetzte Tabakdosen können nicht schießen! Jammern Sie nicht länger über einen goldenen Stuhl, jammern Sie mehr über die Menschen.«»Die Faschisten werden alles wegschleppen. Stehlen werden sie unersetzbare Gemälde, Skulpturen, Bücher. Rußland wird, auch wenn wir den Krieg gewinnen, ein armes Land sein. «Sinowjew holte einen Zettel aus seiner Uniformtasche. Er war ein großer Kunstliebhaber, der stundenlang in einem Museum vor einem Rembrandt sitzen konnte oder in der Eremitage von Leningrad durch die zahllosen Räume wanderte. Einmal war er drei Tage lang hintereinander dort gewesen, um das Museum der wertvollsten Kunstschätze der Welt, nur vergleichbar mit dem Pariser Louvre, in seiner ganzen Pracht zu erleben, und war am Ende schier trunken von dem Gesehenen nach Hause gekommen.»Ich habe Informationen von unseren Spionen. Überall, wo die Deutschen Städte und Schlösser eroberten, ist gleich nach den kämpfenden Truppen ein sogenanntes Sonderkommando am Ort, um alle Kunstgegenstände abzutransportieren. Die Deutschen haben bisher geraubt in 427 Museen, 1670 russischorthodoxen und 237 römischkatholischen Kirchen, 69 Kapellen, 532 Synagogen, 258 anderen kirchlichen Gebäuden, 334 Hochschulen und 43 000 ö-fentlichen Bibliotheken. Was dort alles weggeschleppt wurde, werden wir nie wiedersehen.«

«Fleißige Spione, wirklich fleißig«, sagte Schukow mit einem spöttischen Unterton. Er nahm Sinowjew den Zettel aus der Hand, zerknüllte ihn in seiner Faust und warf das Knäuel dann unter den Kartentisch.»Und was melden Ihre fleißigen Spione über die Truppenstärke der Deutschen, ihre Bewaffnung, ihre Ziele, ihren Nachschub, ihre Stimmung, ihre wirklichen Verluste?«

General Sinowjew schwieg. Wie recht hat er, der Marschall, dachte er. Man sollte ihn nicht weiter reizen. Immer enger wird die Umklammerung Leningrads, unser Widerstand ist heldenhaft, ja, das ist das richtige Wort, heldenhaft, aber die Deutschen rücken weiter vor, sind nicht aufzuhalten. In zehn oder vierzehn Tagen werden sie durch die Straßen der Stadt marschieren, mit Fahnen und dröhnender Musik, wie vor einem Jahr durch Paris. Und sie werden überall plündern, die Kunst der ganzen Welt werden sie besitzen, den Louvre in Paris und die Eremitage, die Schatzkammer Rußlands. Ich bin noch einer, der an Gott glaubt. Also, Gott im Himmel, laß es nicht zu! Schütze unser Leningrad, auch wenn es nach dem Mann genannt wurde, der sagte:»Religion ist Opium fürs Volk. «Vergiß nicht, Herr, daß diese Stadt einmal Sankt Petersburg hieß. Eine heilige Stadt. Strecke deine Hand aus und halte die Deutschen auf. Schenk uns ein neues Wunder.

«Woran denken Sie, Witalij Bogdanowitsch?«riß ihn Schu-kows Stimme in die Wirklichkeit zurück.»Ihr Blick ist weit weg…«

«An ihre Worte denke ich, Genosse Marschall. «General S-nowjew beugte sich über die große Karte von Leningrad und Umgebung. Eine vorzügliche Karte. Jeder Bach war eingezeichnet, jeder Fabrikschornstein, jeder Tümpel, jeder schmale Waldweg. Und auch Zarskoje Selo, das heute Puschkin hieß, der Katharinen-Palast mit dem Bernsteinzimmer.»Nachschub ist wichtiger als ein Gemälde von Tintoretto.«

An diesem 12. September 1941 nun hielt die kleine Kolonne mit Unterleutnant Wechajew auf der glitschigen Waldstraße westlich von Puschkin, und Lew Semjonowitsch stieß so wilde, unanständige, ja schweinische Flüche aus, daß seine Rotarmisten ins Staunen kamen. Ein so junger Kerl und solche Ausdrücke! Wo hat man so etwas schon gehört? Nennt de gebrochene Hinterachse eine vertrocknete Hure, die der Satan fickt, und den unschuldigen Fahrer des Lastwagens, den Gefreiten Sliwka, beschimpft er als verblödeten Affen, der sich wohl während der Fahrt selbst befriedigt. Welch eine Rede, Genossen! Aber was half's? Die Achse war gebrochen, der Wagen lag fast auf der linken Seite, keinen Ersatz hatte man bei sich, wer denkt denn daran, daß so ein eisernes Mistding brechen kann, und mit Tauen zusammenbinden konnte man es auch nicht, zum Haareraufen war es, und außerdem wußte niemand, wie es nun weiterging. Ließ man den Wagen einfach liegen und fuhr weiter, oder holte man Hilfe von der nächsten Militärwerkstatt? Neun Werst war sie entfernt, das bedeutete, daß es Stunden dauern würde, ehe man eine neue Hinterachse bekam.

Wechajew entschied, sich erst einmal am Waldrand hinzusetzen, eine Scheibe nassen Brotes mit einem Aufstrich aus Zwiebeln und Lebermus zu essen, eine Papyrossa zu rauchen und dann erst zu entscheiden, was man tun sollte. Seine Soldaten, im geheimen froh über diese Unterbrechung, denn keine Freude ist's, in einem engen Fahrerhaus stundenlang zu hocken und über holprige Straßen zu hüpfen, bis einem jeder Stoß vom Hintern längs durch den Körper bis unter die Hirnschale fährt, schwärmten aus, knöpften ihre Hosenschlitze auf oder zogen die Hose ganz herunter und hockten sich an Bäumen oder Büschen hin, um sich zu erleichtern.

Auch der Soldat Viktor Janissowitsch Solotwin, ein junges Bürschchen, das sogar noch rot werden konnte, wenn die anderen rauhen Kerle schmatzend berichteten, wie und was sie mit ihrer Olga oder Warwa gemacht hatten, in der Scheune, im Stroh, hinter einer Heupuppe oder sogar — welch ein Schwein, dieser Nikita — auf der großen Hobelbank in der Schreinerwerkstatt seines Vaters, verspürte ein Drängen in den Därmen und ging tiefer als die anderen in den Wald hinein, eben weil er so schüchtern war und nicht gern sein nacktes Hinterteil zeigte.

Langsam, die Finger schon am Gürtelschloß, suchte er einen guten Platz, möglichst hinter einem dichten Gebüsch, als er plötzlich etwas sah, das nicht in diesen Wald gehörte.

Erde. Blanke Erde, wie sie bei einer Grabung ausgehoben wird. In einem Umkreis von etwa drei Metern lag sie über den Waldboden verteilt, und sie war festgestampft und geebnet worden. So etwas konnte weder von einem Hasen noch von einem Fuchs stammen, auch Marder, Nerze oder Waschbären verteilten nicht so korrekt die für ihre Höhlen ausgeworfene Erde. Hier war von einem Menschen gegraben worden, für