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Viktor Janissowitsch trat hinter seinem Baumstamm hervor, das Taschenmesser noch immer in der Hand, schüttelte den

Kopf und wartete, bis dieses deutsche Rätsel drei Schritte vor ihm stehenblieb. Wieder musterte er die Gestalt von oben bis unten, erkannte ein blauweiß gestreiftes Kleid mit einer weißen, jetzt aber völlig verdreckten Schürze und vorn am Hals eine runde Brosche mit einem deutlichen roten Kreuz darauf.»Na, sieh einer an!«sagte Solotwin und senkte sein Taschenmesser.»Ein schmutziges Schwänchen! Und russisch kann es! Und als Schwester verkleidet es sich! Ihr seid schon eine Bande, ihr deutschen Spione!«

«Ich bin kein Spion«, sagte das Mädchen in einem guten Russisch.

Solotwin grinste breit und nickte mehrmals.»Aber man spricht, als habe man russische Muttermilch getrunken. Was machst du da in der Erdhöhle? Warum hast du sie gegraben?«

«Ich warte auf die Deutschen, Rotarmist.«

«Aha! Aha!«Solotwin war zufrieden. Ein Geständnis war das. Eine Spionin hatte er entdeckt und gefangengenommen. So einfach im Vorübergehen, bei der Suche nach einem guten Platz zum Scheißen. Die Augen muß man offenhalten, wo immer man geht. Das ist es, Genossen. Jetzt wird es eine Belobigung geben, vielleicht sogar einen Orden oder eine Beförderung zum Gefreiten. Es kam darauf an, wie wichtig dese Spionin für die Sowjetunion war.

Unterleutnant Wechajew machte ebenfalls große runde Augen, als Viktor Janissowitsch mit einem deutschen Soldaten aus dem Wald kam, schrie sofort:»Feind bei uns!«und griff nach seiner Pistole. Aber schneller als Solotwin sah er Kleid und Schürze, erkannte daran eine Frau und zeigte mit geballter Faust auf sie.

«Was ist das?«brüllte er.

«Eine deutsche Spionin!«meldete Solotwin stramm.»In einer Erdhöhle hauste sie. Entdeckt habe ich sie in einem Graben…»Und sie lebt noch, ty maschonka?!«

Soll man das übersetzen? Besser nicht. Wer hätte von Wechajew je etwas anderes als ein übelstes Schimpfwort erwartet?

Solotwin errötete leicht, schämte sich vor dem Mädchen, auch wenn es eine Feindin war, und senkte den Kopf.

«Waffenlos bin ich, Genosse«, sagte er bedrückt.»Hab nur ein Taschenmesser bei mir.«

«Und das genügt nicht, ty wetry?« Viktor Janissowitsch errötete noch mehr, als er sich jetzt einen Furz genannt hörte.»Und mit zehn Fingern kann man würgen, Soldat Solotwin! Geht mit einer deutschen Spionin spazieren, was sagt man dazu? Will sie wohl haben und abreiben und dann ticken?«Er holte tief Atem, ignorierte, daß das Mädchen aus einem Riß über der linken Schläfe blutete, den sie sich beim Hinauskriechen aus der Höhle geholt hatte, und sagte dann grob, seine Pistole aus dem Futteral holend:»Kein Grund, lange zu diskutieren…«»Ich bin keine Spionin«, sagte das Mädchen noch einmal. Mit weiten Augen starrte sie in die Mündung von Wechajews Pistole, die genau auf ihre Stirn zielte. Nur ein leichtes Fingerkrümmen trennte sie jetzt noch von der ewigen Nacht.»Einen Offizier will ich sprechen.«

«Einen Offizier!«äffte Wechajew ihr nach.»So einfach einen Offizier sprechen, als kaufe man ein auf dem Markt. Was soll's denn sein, mein Täubchen, vielleicht einen Major oder einen Oberst oder gar einen General? Alles haben wir im Körbchen. Bedien dich.«

«Ein General wäre das richtige«, antwortete sie.»Bringt mich zu eurem General.«

«Welch ein Glück, daß wir einen General sogar in der Nähe haben. «Eisiger Spott beherrschte Wechajews Stimme.»Wünschen das Hürchen eine gutgefederte Limousine? — Umdrehen! Umdrehen, sag ich!«

Das Mädchen blieb so stehen, wie es war. Umdrehen… das bedeutete nichts anderes als einen Genickschuß. Die sicherste Methode der Hinrichtung.

Sie wischte sich mit der Hand über ihr Gesicht, schob die Zotteln zur Seite und sah Wechajew in die kalten, gnadenlosen Augen. Er würde sie auch in die Stirn schießen, das erkannte sie an seinem Blick.

«Ich bin keine Deutsche«, sagte sie laut, aber ihre Stimme war tonlos vor Angst.»Ich bin eine Russin. Eine Genossin…«»Das trifft sich gut!«Wechajew verzog den Mund wie vor Ekel.»Ich bin der jüngste Bruder von Stalin. Nur glaubt er es nicht, so wenig wie ich dir glaube. Wenn wir schon lügen, dann glaubhaft. Umdrehen!«

«Ich komme aus Puschkin, Genossen.«

«In einer deutschen Uniform?! Soll man dich anspucken, du Verräterin?! Wir fahren nach Puschkin, und sie kommt von dort und vergräbt sich im Wald. Spionin! Ekelhafte Spionin!«»Einen Auftrag habe ich! Bringt mich zu eurem General. Schnell! In zwei Tagen hat der Deutsche Puschkin besetzt. Ihre Artillerie schießt schon in die Stadt. Alles kann ich erklären. Daß der Rotarmist — «sie zeigte auf Solotwin —»mich entdeckt hat, war nur ein Zufall. Ich muß zu eurem General!«»Was du mußt, bestimme ich!«Wechajews Stimme bekam jetzt einen metallischen Klang.»Umdrehen! Kein Wort weiter! Für mich ist ein Spion kein Mensch mehr — «

General Witalij Bogdanowitsch Sinowjew hatte wieder mit Puschkin telefoniert. Der Major und Kunstexperte berichtete, daß die Deutschen bereits in die Stadt schossen, daß ihre Flugzeuge den Katharinen-Palast bombardiert und schwer beschädigt hätten und daß es völlig ausgeschlossen sei, jetzt noch das Bernsteinzimmer auszubauen und zu retten.

«Wir werden heute noch Puschkin verlassen müssen«, sagte der Major gepreßt. Im Telefon hörte Sinowjew die Detonationen der deutschen Granaten. Von der Front hatte er keine Meldung bekommen, kopflos schien man dort zu sein.»Die Faschisten rücken unaufhaltsam vor. Eine SS-Division soll direkt auf Puschkin vorstoßen.«

«Das weiß ich alles!«Sinowjew streifte mit einem Blick die Landkarte, die vor ihm auf dem Tisch ausgebreitet war. Er hatte sich in einem kleinen Landschloß, das zur Zarenzeit einem reichen Bojaren gehört hatte, einem Fürsten Wladimir Nikolajewitsch Tschepikow, sein Hauptquartier eingerichtet und wußte, daß er das ganze Gebiet in spätestens drei Tagen räumen mußte. Der Stab packte bereits. General Popow, der mit schnell zusammengezogenen zwölf Divisionen die Stadt verteidigen sollte, erwartete ihn in Leningrad. Von Schukow kam die Nachricht, unverzüglich abzuziehen: Für die Verteidigung der Stadt brauchte man jetzt jeden Mann. Ein geordneter Rückzug — wie triumphal wäre er, wenn im Troß der Division auf zehn Lastwagen das Bernsteinzimmer nach Leningrad mitfuhr und so gerettet wurde.»Eine Kolonne ist unterwegs, Genosse Major.«

«Zu spät, Genosse General.«

«Es ist nie zu spät!«schrie Sinowjew. Fast wie ein Aufschrei klang es.»Und wenn wir Puschkin fünf Minuten vor dem Einmarsch der Deutschen verlassen!«

«Wir schaffen es nicht. Ein fachgerechter Ausbau dauert mindestens drei oder vier Tage. Diese Zeit haben wir nicht mehr. In drei Stunden verlassen wir den Katharinen-Palast. Das Herz blutet mir, Genosse General, aber damit kann ich die Deutschen nicht aufhalten.«

Sinowjew legte auf. Sein Adjutant Kowaljow kam ins Zimmer und meldete Besuch an.

«Ein Mädchen«, sagte er und schüttelte dabei den Kopf.»Trägt einen deutschen Militärmantel und die Tracht einer Rote-Kreuz-Schwester. Wurde im Wald in einer Erdhöhle gefunden, spricht russisch und verlangt, den Genossen General zu sprechen.«

«Eine Spionin, Igor Iwanowitsch?«General Sinowjew drückte das Kinn an seinen Uniformkragen.»Warum bringt man sie hierher? Wo ist sie?«

«Vor der Tür wartet sie.«

«Erschießen!«

«Sie will vorher Sie sprechen, Genosse General. Sie weiß, was sie erwartet. Aber — «

«Lassen Sie sie eintreten, Igor Iwanowitsch.«

Draußen im Wald, kurz bevor Unterleutnant Wechajew seine Pistole abdrücken wollte und der Schuß den Kopf des Mädchens zertrümmert hätte, war etwas Unerwartetes geschehen. Die Spionin sagte nämlich:»Ich komme vom Bernsteinzimmer«, und dieser kurze Satz veränderte die Situation vollkommen. Lew Semjonowitsch ließ die Pistole sinken, schluckte mehrmals, als habe sich seine Kehle verengt. Dann schielte er zu Solotwin und den anderen Rotarmisten, die einen Kreis um sie bildeten und auf die Hinrichtung warteten, und er beschloß, sich keine Blöße zu geben und vor allem kein Erbarmen zu zeigen.