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«Was sagt der Clown?«Der Hauptmann warf einen verächtlichen Blick auf Wechajew.

«Keine Ahnung. «Der Major winkte nach hinten. Ein zweiter Kübelwagen fuhr heran.»Wegbringen, die Kerle. Zu den anderen. Feststellen, von welcher Einheit.«

Ein Feldwebel, der dem zweiten Kübelwagen entstiegen war, winkte Wechajew energisch zu.»Los!«brüllte er.»Nicht den Schlappschwanz spielen! Hopp, hopp nach hinten!«Und dann schrie er das Wort, das jedem Russen in die Knochen fuhr: »Dawaij! Dawaij! Bjeschat'!« (Renn!)

Und Wechajew setzte sich in Bewegung, rannte die Straße hinunter zu der anrückenden Marschkolonne der Infanterie, rannte an ihr vorbei, und seine Soldaten folgten ihm mit hochgestreckten Armen und keuchenden Lungen, den Blick starr geradeaus, bis jemand rief: »Stoj!« und sie stehenblieben.

Nun waren sie Gefangene, zu Ende war für sie der Krieg. Sie konnten ihn vielleicht überleben, aber trotzdem liefen ihnen die Tränen über die verschmutzten Gesichter, und ihre Kehlen waren wie zugeschnürt.

Aus den deutschen Wehrmachtsberichten:

Sonntag, den 14. September 1941.

Im Osten bahnen sich durch den günstigen Verlauf der Operationen neue Schlachtenerfolge an.

Nachdem starke deutsche Kräfte in die Befestigungsfront von LENINGRAD eingebrochen sind, wird die enge Einschließung der Stadt trotz erbitterter Gegenwehr unaufhaltsam fortgesetzt…

Montag, den 15. September 1941.

Im Osten sind große Angriffsoperationen im erfolgreichen

Fortschreiten.

Die Einschließung von LENINGRAD wurde in zähem Kampf um die neuzeitlich ausgebauten Befestigungsanlagen weiter verengt. Wiederholte, von schweren Panzern unterstützte Gegenangriffe des Feindes brachen zusammen…

Michael Wachter kroch aus dem sicheren, zwei Etagen unter der Erde liegenden Keller und bahnte sich einen Weg durch die Trümmer und Steinhaufen. Überall lagen zerbrochene Möbel, Decken hingen herunter, und in den Fußböden klafften große Risse. Mit klopfendem Herzen erreichte er den Saal, den man das Bernsteinzimmer nannte.

Es hatte den Bombenangriff ohne Schaden zu nehmen überlebt. Kaum hatten die deutsche Flugzeuge über Puschkin wieder abgedreht, waren auch die aus der Stadt

zusammengeholten Frauen aus dem Keller gekommen, um die unersetzlichen Kunstwerke im Schloß zu sichern. Fieberhaft arbeiteten sie, in Kittelkleidern, ihr Haar mit einem Kopftuch zurückgehalten und immer wieder in die Ferne

lauschend, ob nicht wieder eine Welle des Todes aus der Luft über Puschkin erschien.

An einen Abtransport der noch im Katharinen-Palast vorhandenen Schätze war nicht mehr zu denken. Die 1. Panzerdivision stand wenige Kilometer von Zarskoje Selo entfernt und bereitete sich auf den entscheidenden Angriff vor. Die SS-Polizei-Division marschierte vor dem Nordteil von Puschkin auf, Panzerspitzen schossen bereits in die Stadt. Zu retten war nichts mehr. Jetzt konnten die Schätze nur noch vor der Zerstörung geschützt werden.

Die Frauen deckten die wertvollen Intarsienböden mit einer dicken Sandschicht ab, füllten die großen China-Vasen mit Wasser, verklebten die mit Seide und Brokat bespannten Wände mit Pappe, zogen Stoffbezüge über die historischen Möbel und verhängten die Regale und Schränke der einmaligen Zarenbibliotheken. Sowjetische Offiziere, die sich auf dem Rückzug kurz in einigen Sälen aufhielten und von hier aus mit den kämpfenden Truppen in Telefonverbindung standen, hetzten durch Zimmer und Gänge, bereit, sofort in die vor dem Palast wartenden Wagen zu springen und sich nach Leningrad zurückzuziehen.

Aufatmend lehnte sich Michael Wachter an eine der holzverschalten Wandtafeln des Bernsteinzimmers und sah den Frauen zu, wie sie den Sand auf den herrlichen Böden verteilten. Morgen, dachte er. Oder übermorgen… länger wird's nicht dauern. Dann stehen hier deutsche Soldaten, werden die Deckengemälde begaffen und die Holztafeln herunterreißen, um zu sehen, was sich dahinter verbirgt. Und sie werden sprachlos vor dieser Pracht aus Bernstein stehen, vielleicht einen Augenblick von Ergriffenheit gefangen sein, aber dann wird das große Plündern beginnen, die Vernichtung des schönsten Saales, den die Welt bisher kannte.

Wachter war ein mittelgroßer, etwas dicklicher Mann von beinahe 55 Jahren, das Haar war dunkelblond ohne einen Schimmer Grau. Den muskulösen Oberkörper umspannte ein blauweiß gestreiftes Hemd, dessen Ärmel er bis über die Ellbogen hochgekrempelt hatte, und wenn er deutsch sprach, klang es sehr hart wie bei vielen Menschen, die im Osten aufgewachsen waren und deren zweite Muttersprache das Russische war.

Noch in der Betrachtung der Deckengemälde versunken, schrak er zusammen, als ihn auf russisch eine Stimme ansprach.

«Sie wollen tatsächlich hier bleiben, Michail Igorowitsch?«Wachter nickte stumm. Vor ihm stand Oberst Nikolaj Michaj-lowitsch Limonow, der Kommandeur der Brigade, die den Auftrag hatte, den Rückzug der sowjetischen Truppen aus dem Raum Puschkin nach Leningrad zu decken. Seine Rotarmisten waren eine verlorene Truppe, ausgelaugt von den schweren Abwehrkämpfen, Mensch gegen deutsche Panzer, Panzerabwehrkanonen und Minen gegen stählerne Ungeheuer. Aber sie wußten, daß nur ihr Opfer die Stadt retten konnte. Jeder Tag, jede Stunde waren wertvoll. Hunderttausende bauten um Leningrad die neuen Gräben und Bunker, Panzerfallen und

Artilleriestellungen, drei Verteidigungsringe hintereinander, in denen sich die Deutschen festbeißen würden. Es war September, der 15. im Jahre 1941, und die Menschen starrten in den Himmel und beteten stumm: Herr, laß es regnen. Früher als sonst. Warte nicht mehr bis Oktober, bis der große Regen alle Wege und Straßen unpassierbar macht, die Fuhrwerke im tiefen Morast steckenbleiben und selbst die Panzer mit ihren breiten Ketten sich nur in den Schlamm wühlen und in ihm versinken. Dann gibt es kein Vorwärts mehr, dann werden die Aggressoren Leningrad nicht mehr erreichen, und nach dem Regen wird der Winter kommen, die Schneestürme werden über das Land heulen, vereist werden sie, die deutschen Armeen, kämpfend gegen einen unbesiegbaren Gegner: die Natur. Leningrad wird gerettet sein… laß es regnen, Herr, öffne die Wolken, laß die Deutschen ertrinken! Jetzt bitte, jetzt und nicht erst im Oktober. Hilf uns, Gott!

«Meine Pflicht ist es, Genosse Oberst«, antwortete Wachter und stieß sich von der Bretterwand ab.»Bei meinem Bernsteinzimmer muß ich bleiben.«

«Man wird Sie ohne zögern erschießen.«

«Warum? Ich kann nachweisen, daß ich ein Deutscher bin.«»In russischen Diensten?«

«Viele Deutsche haben in den vergangenen Jahrhunderten den Zaren gedient. Generäle, Admiräle, Forscher, Philosophen, Ärzte und politische Berater waren Deutsche… so wie meine Vorfahren. Mit dem Bernsteinzimmer zog 1716 einer meiner Ahnen, Friedrich Theodor Wachter, nach Sankt Petersburg. Seitdem ist immer ein Wachter bei dem Bernsteinzimmer geblieben, hat es gepflegt und beschützt und neben dieser Aufgabe nur eine zweite gehabt: einen Sohn zu zeugen. So wurde das Erbe weitergereicht von Generation zu Generation.«

«Und nun glauben Sie, Michail Igorowitsch, daß das Bernsteinzimmer und Sie überleben. Eine Illusion ist das! Sie sind der letzte Wachterowskij.«