«In seinem Appartement. Er muß aus seinem Sicherheitsbereich in Virginia rausgeflogen sein. Mo Panov erreich ich auf jeden Fall. Gehen wir.«
Sie fuhren wieder nach Süden in die kleine Stadt Corbeil-Essonnes, wo es einige Kilometer westlich von der Autobahn ein großes, neues Einkaufszentrum gab — ein Fluch für die französische Landschaft, aber ein willkommener Anblick für die Flüchtenden. Jason parkte den Wagen, und wie alle Eheleute, die spätnachmittags zum Einkaufen gingen, spazierten sie durch die Haupthalle, wobei sie verzweifelt nach einem öffentlichen Telefon Ausschau hielten.
«Verflucht, an der Autobahn war schon keins!«sagte Borowski durch zusammengebissene Zähne hindurch.»Was meinen die eigentlich, was die Leute tun sollen, wenn sie einen Unfall oder eine Panne haben?«
«Auf die Polizei warten«, antwortete Marie.»Und außerdem gab es ein Telefon, nur war es kaputt. Da, da ist eins.«
Wieder unterwarf sich Jason der ärgerlichen Prozedur mit der Telefonistin, die keine rechte Lust hatte, ihn nach Übersee durchzustellen. Wieder Fehlanzeige, auch unter Alex' alter Privatnummer.
«Hier spricht Alex«, sagte die aufgezeichnete Stimme in der Leitung.»Ich werde eine Weile weg sein und einen Ort aufsuchen, wo in Grabesstille ein schwerer Fehler begangen wurde. Ruf mich in fünf oder sechs Stunden an. Jetzt ist es neun Uhr dreißig morgens, Eastern Standard Time. Out, Juneau.«
Verblüfft, mit rasenden Gedanken im Kopf, legte Borowski den Hörer auf und starrte Marie an.»Irgendwas ist passiert, und ich muß rausfinden, was dahintersteckt. Seine letzten Worte sind: Out, Juneau.«
«Juneau?«Marie blinzelte, ihre Lider sperrten das Licht aus ihrem Kopf aus, dann öffnete sie die Augen und sah ihren Mann an.»Alpha, Bravo, Charlie«, begann sie leise und fügte hinzu:»Alternierende Militäralphabete?«Dann sagte sie eilig:»Foxtrott, Gold… India, Juneau! Juneau steht für J, und J steht für Jason!.. Wie war der Rest?«
«Er ist irgendwohin gefahren…«
«Komm, laß uns gehen«, unterbrach sie ihn, als sie die neugierigen Gesichter zweier Männer bemerkte, die darauf warteten, das Telefon benutzen zu können. Sie packte ihn beim Arm und zog ihn von der Zelle weg.»Nichts Deutlicheres?«fragte sie, als sie sich in den Strom der Menge einfügten.
«Es war eine Aufzeichnung:… wo in Grabesstille ein schwerer Fehler begangen wurde.«
«Was?«
«Er sagte, ich solle in fünf oder sechs Stunden wieder anrufen, er wolle einen Ort besuchen, wo in Grabesstille Gräber? — , mein Gott, es ist Rambouillet!«
«Der Friedhof…?«
«Wo er vor dreizehn Jahren versucht hat, mich umzubringen. Das ist es! Rambouillet!«
«Nicht in fünf oder sechs Stunden«, hielt Marie dagegen.»Egal, wann er die Botschaft hinterlassen hat: Er kann nicht in fünf Stunden nach Paris fliegen und dann nach Rambouillet fahren. Er war in Washington.«
«Natürlich kann er. Das haben wir beide schon gemacht. Von der Andrews Air Force Base aus, unter diplomatischem Schutz. Peter Holland hat ihn rausgeworfen, aber er hat ihm ein Abschiedsgeschenk gemacht. Sofortige Trennung, aber einen Bonus dafür, daß er ihm Medusa gebracht hat. «Plötzlich riß Borowski das Handgelenk hoch und sah auf seine Uhr.»Auf den Inseln ist es gerade erst Mittag. Laß uns ein anderes Telefon suchen.«
«Johnny? Tranquility? Du denkst wirklich…«
«Ich kann nicht aufhören zu denken!«unterbrach Jason sie, hetzte voran und hielt Marie an der Hand, während sie stolpernd mit ihm Schritt hielt.»Eis«, sagte er und warf einen Blick nach rechts.
«Eiskrem?«
«Da drinnen ist ein Telefon, da drüben«, antwortete er, wurde langsamer und näherte sich den riesigen Fenstern einer Patisserie, die eine große Fahne über der Tür hatte, die eine Eistheke mit mehreren Dutzend Geschmacksrichtungen versprach.»Bring mir Vanille mit«, sagte er, als er sie beide in den überfüllten Laden schob.
«Vanille womit?«
«Irgendwas.«
«Du wirst nichts hören können…«
«Er wird mich hören können, das ist alles, was zählt. Laß dir Zeit, gib mir Zeit. «Borowski ging zum Telefon hinüber und verstand im gleichen Augenblick, warum es nicht besetzt war. Der Lärm im Laden war fast unerträglich.
«Mademoiselle, s'il vous plit, c'est urgent!« Drei Minuten später, die Handfläche gegen sein linkes Ohr gepreßt, hatte Jason das unerwartete Vergnügen, den lästigsten Angestellten des Tranquility Inn am Apparat zu haben.
«Hier spricht Mr. Pritchard, stellvertretender Manager des Tranquility Inn. Meine Telefonzentrale hat mich darüber in Kenntnis gesetzt, daß Sie einen Notfall haben, Sir. Darf ich mich nach dem Gegenstand Ihres…«
«Sie können den Mund halten!«rief Jason aus dem lärmenden Eiscafe in Corbeil-Essonnes in Frankreich.»Holen Sie John St. Jacques ans Telefon, sofort. Hier ist sein Schwager.«
«Oh, was für eine Freude, von Ihnen zu hören, Sir! Soviel ist passiert, seit Sie uns verlassen haben. Ihre lieben Kinder sind bei uns, und der hübsche Junge spielt am Strand — mit mir, Sir —, und alles ist…«
«Mr. St. Jacques, bitte. Sofort!«
«Natürlich, Sir. Er ist oben…«
«Johnny?«
«David, wo bist du?«
«Das ist jetzt egal. Verschwindet von da, wo ihr seid. Nimm die Kinder und Mrs. Cooper und hau ab!«
«Wir wissen Bescheid, Dave. Alex Conklin hat vor ein paar Stunden angerufen und gesagt, jemand namens Holland würde Kontakt aufnehmen… Ich schätze, er ist der Oberguru von eurem Nachrichtendienst.«
«Das ist er. Hat er?«
«Ja, ungefähr zwanzig Minuten nachdem ich mit Alex gesprochen hatte. Er sagte, wir würden gegen zwei Uhr heute nachmittag mit einem Hubschrauber ausgeflogen. Er braucht die Zeit, um die Fluggenehmigung für eine Militärmaschine zu bekommen. Mrs. Cooper war meine Idee. Dein zurückgebliebener Sohn sagt, er weiß nicht, wie Windeln gewechselt werden, mein Lieber… David, was ist denn bloß los? Wo ist Marie?«
«Es geht ihr gut. Ich werde dir später alles erklären. Tu, was Holland sagt. Hat er gesagt, wohin ihr gebracht werdet?«
«Das wollte er absolut nicht. Aber kein Scheiß-Amerikaner kommandiert mich und deine Kinder rum — die kanadischen Kinder meiner Schwester —, und das hab ich ihm auch gesagt…«
«So ist's recht, Johnny. Freunde dich ruhig mit dem Chef der CIA an.«
«Darauf kann ich scheißen. Bei uns glaubt man, die Abkürzung steht für Chaoten in Aktion. Hab ich ihm auch gesagt!«
«Das wird ja immer besser… Was hat er geantwortet?«
«Er hat gesagt, wir werden in ein sicheres Haus in Virginia gebracht, und ich hab gesagt, meins hier unten ist auch verdammt sicher, und wir haben ein Restaurant und Zimmerservice und einen Strand und zehn Wachen, die ihm auf zweihundert Meter die Eier abschießen können.«
«Du bist äußerst taktvoll. Und dann?«
«Ehrlich gesagt, er hat gelacht. Dann hat er erklärt, daß sein Laden zwanzig Wachen hat, die mir meinen Sack auf vierhundert Meter abschießen können, dazu gibt es eine Küche und sonst noch allerlei Dinge, mit denen ich wahrscheinlich nicht mithalten könne.«
«Das ist ziemlich überzeugend.«
«Und dann ist da etwas, womit ich wirklich nicht mithalten kann. Er hat gesagt, niemand habe Zutritt zu diesem Haus und daß es ein altes Anwesen in Fairfax ist, das ein reicher Botschafter der Regierung überschrieben hat, der mehr Geld besitzt als ganz Ottawa, mit eigener Flugzeuglandebahn und einer Zufahrt, die vier Meilen vom Highway bis zum Haus führt.«
«Ich kenne das Haus«, sagte Borowski.»Der TannenbaumLandsitz. Er hat recht.«
«Ich hab dich eben schon gefragt, wo ist Marie?«
«Sie ist bei mir.«
«Sie hat dich gefunden!«
«Später, Johnny. Ich rufe dich in Fairfax an. «Jason legte auf, als sich seine Frau etwas unbeholfen ihren Weg durch die Menge bahnte und ihm einen rosafarbenen Plastikbecher mit einem blauen Plastiklöffel gab, der in einem dunkelbraunen Klumpen steckte.