«Wie Sie es auch ständig mit der Forschung tun!«rief ein kleiner, verschrobener, professorenhafter Mann. Die Unregelmäßigkeiten seines gestutzten Bartes waren trotz der dicken Brillengläser auf seiner Nase — zweifellos auf seine schwache Augenkraft zurückzuführen.»Gegenleistungen, in Ordnung! Und wie wäre es mit vernünftigen Zuteilungen?«
«Mehr als genug für Ihre Grundschulwissenschaftler. Unser Geld bringt weit mehr, wenn wir uns damit im Westen versorgen!«
«Hören Sie auf!«rief der Schakal und hob seine Arme wie ein Messias.»Wir sind nicht hier, um derartige Konflikte zwischen den unterschiedlichen Bereichen auszutragen. Ihr Aufstieg zur neuen Elite wird diese Probleme zweifellos lösen. Gemeinsam werden wir eine neue, gereinigte Ordnung unserer Revolution aufbauen! Die Zeit der Selbstgefälligkeit ist vorbei.«
«Es ist ein aufregendes Konzept«, sagte eine zweite Frau, eine Dame Anfang Dreißig in einem teuren plissierten Rock, deren gedrungene Gesichtszüge offensichtlich von den anderen als die einer bekannten Nachrichtensprecherin aus dem Fernsehen erkannt wurden.»Könnten wir dennoch wieder auf die Exaktheit der Dossiers zurückkommen?«
«Das ist geklärt«, sagte der dunkeläugige Carlos und sah jeden einzelnen der Reihe nach durchdringend an.»Wie sonst auch sollte ich das alles über Sie wissen?«
«Ich zweifle nicht an Ihren Worten«, fuhr die Nachrichtensprecherin fort,»aber als Journalistin muß ich immer nach einer zweiten Verifikationsquelle suchen, es sei denn, das Ministerium gibt andere Anweisungen. Da Sie nun aber nicht im Informationsministerium sitzen und in dem Wissen, daß alles, was Sie uns sagen, vertraulich bleiben wird: Können Sie uns eine zweite Quelle nennen?«
«Muß ich mich von manipulierten Journalisten hetzen lassen, wenn ich die Wahrheit sage?«Carlos schnappte wutentbrannt nach Luft.»Was ich Ihnen gesagt habe, ist die Wahrheit, und Sie wissen es.«
«Das waren die Verbrechen Stalins auch, und für dreißig Jahre wurden sie zusammen mit zwanzig Millionen Leichen begraben.«
«Sie wollen Beweise, Frau Journalistin? Ich gebe Ihnen Beweise. Ich habe die Augen und Ohren der Führer des KGB — namentlich des Generals Grigorij Rodtschenko. Ich sehe mit seinen Augen und höre mit seinen Ohren, und wenn Sie daran interessiert sind, die rauhe Wahrheit zu kennen: Er ist mir verpflichtet! Genau wie Sie!«Ein Rascheln ging durch das Publikum, ein kollektives Zögern, eine Welle von leisem Räuspern. Wieder sprach die Nachrichtenjournalistin, diesmal sanft, die großen, braunen Augen waren auf den Mann in der Priesterrobe gerichtet.
«Sie mögen sein, was Sie sagen«, begann sie.»Aber Sie scheinen kein Radio zu hören. Vor etwa einer Stunde meldete Radio Moskau, daß General Rodtschenko heute morgen von ausländischen Kriminellen erschossen wurde… Es wurde außerdem gemeldet, daß alle hohen Offiziere des Komitet zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen werden, um die
Umstände des Mordes am General näher zu besprechen. Die Einschätzungen gehen dahin, daß es außergewöhnliche Gründe dafür gegeben haben muß, daß ein Mann wie General Rodtschenko von ausländischen Kriminellen in eine Falle gelockt wurde.«
«Sie werden seine Akten zerfetzen«, fügte der vorsichtige Bürokrat hinzu und hob sich steif auf die Füße.»Sie werden alles unter das KGB-Mikroskop legen und nach diesen außergewöhnlichen Gründen< suchen. «Der Beamte sah den Killer im Priestergewand an.»Vielleicht wird man auch Sie finden. Und Ihre Dossiers.«
«Nein«, sagte der Schakal, dem der Schweiß auf die Stirn getreten war.»Nein! Das ist unmöglich, ich habe die einzigen Kopien dieser Dossiers — es gibt keine anderen!«
«Wenn Sie das glauben, Priester«, sagte der korpulente Mann vom Ministerium für militärische Versorgung,»dann kennen Sie das Komitet nicht.«
«Es kennen?«rief Carlos, ein Zittern in der linken Hand.
«Ich besitze seine Seele! Vor mir gibt es keine Geheimnisse, denn ich bin der Verwalter seiner Geheimnisse! Ich besitze Bände über die Regierungen überall, über die Führer, ihre Generäle, ihre höchsten Beamten — ich habe Quellen auf der ganzen Welt!«
«Rodtschenko haben Sie nicht mehr«, fuhr der schwarzgekleidete Mann von der militärischen Versorgung fort, und auch er erhob sich von seinem Stuhl,»und wenn ich genauer darüber nachdenke… Es hat Sie im Grunde gar nicht überrascht.«
«Was?«
«Für die meisten von uns ist das Anstellen des Radios das erste, was wir am Morgen tun. Es ist immer das gleiche, doch ich nehme an, gerade darin liegt ein Trost. Die meisten von uns wußten von Rodtschenkos Tod… Nur Sie nicht, und als unsere verehrte Dame vom Fernsehen es Ihnen gesagt hat, da waren Sie weder erstaunt noch schockiert — nein. Sie waren nicht einmal überrascht.«
«Natürlich war ich das!«rief der Schakal.»Was Sie nicht verstehen, ist meine Selbstkontrolle. Deshalb vertraut man mir, brauchen mich die Führer des Weltmarxismus!«
«Das klingt leicht abgestanden«, murmelte die graublonde Frau mittleren Alters, deren Sachgebiet die persönlichen Akten waren. Auch sie stand auf.
«Was sagen Sie da?«Carlos' Stimme war jetzt ein scharfes, mißbilligendes Flüstern, das schnell an Intensität und Lautstärke zunahm.»Ich bin der Monseigneur von Paris. Ich habe Ihnen das Leben weit über Ihre trostlosen Erwartungen hinaus bequemer gestaltet, und jetzt stellen Sie mich in Frage? Wie sollte ich die Dinge wissen, die ich weiß? Wie hätte ich meine Energie und meine Mittel in Sie investieren können, wenn ich nicht einer der Meistprivilegierten in Moskau wäre? Denken Sie daran, wer ich bin!«
«Aber genau das ist es: Wir wissen nicht, wer Sie sind«, sagte ein anderer Mann. Auch sein Anzug war ordentlich, dunkel und gut gebügelt, nur daß er besser geschnitten war, als würde sein Besitzer seinem Äußeren einige Aufmerksamkeit widmen. Auch sein Gesicht war anders. Er war blasser, seine Augen waren durchdringender, irgendwie aufmerksamer, und sie vermittelten den Eindruck, daß er seine Worte mit großer Sorgfalt abwägte.
«Abgesehen von dem klerikalen Titel, den Sie sich angeeignet haben, haben wir keinerlei Information zu Ihrer Identität, und Sie haben ganz offensichtlich nicht die Absicht, diese weiter zu enthüllen. Was das betrifft, was Sie wissen: Sie haben die offenkundigen Schwächen und die daraus folgenden Ungerechtigkeiten unseres Systems angesprochen, aber das ist überall das gleiche. Sie hätten ebensogut von völlig anderen
Bereichen sprechen können — die Klagen wären die gleichen gewesen. Nichts Neues… «
«Wie können Sie es wagen?«schrie Carlos, der Schakal, mit hervortretenden Venen an seinem Hals.»Wer sind Sie, daß Sie mir solche Dinge sagen dürfen? Ich bin der Monseigneur von Paris, ein wahrer Sohn der Revolution!«
«Und ich bin Gerichtsrat am Justizministerium, Genosse Monseigneur, und ein sehr viel jüngeres Produkt dieser Revolution. Vielleicht kenne ich die Obersten des KGB nicht, von denen Sie behaupten, es wären Ihre Lakaien, aber ich kenne die Strafen dafür, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen und unseren Vorgesetzten persönlich unter vier Augen — gegenüberzutreten, anstatt etwaige Unregelmäßigkeiten direkt dem entsprechenden Büro zu melden. Es sind Strafen, denen ich mich lieber nicht gegenüb ersehen möchte, ohne weit gründlicheres Beweismaterial als obskure Dossiers aus unbekannten Quellen, möglicherweise erfunden von unzufriedenen Beamten noch unterhalb unseres Ranges… Ehrlich gesagt, möchte ich sie gar nicht sehen, um so einer möglichen Kompromittierung aus dem Wege zu gehen, die meiner Stellung schaden könnte.«
«Sie sind nichts als ein unbedeutender Anwalt!«brüllte Carlos und ballte wiederholt seine Hände zu Fäusten, die Augen blutunterlaufen.»Sie sind allesamt Rechtsverdreher! Sie sind eingeschworene Verbündete im herrschenden Wind der Bequemlichkeit!«