«Was soll ich denn tun, Sir?«fragte der Kellner. Er stand auf und folgte Jason.
«Hör zu«, sagte Borowski.»Geh vor mir her in die Lobby, zum Vordereingang. Leer die Aschenbecher aus oder tu sonstwas, aber sieh dich um. Ich komme in ein paar Minuten nach und geh zu St. Jacques, der da unten mit vier Priestern spricht…«
«Priester?«unterbrach der erstaunte Ishmael.»Gleich vier? Was wollen die denn hier, Monsieur? Werden noch mehr schlimme Dinge passieren? Der Obeah?«
«Sie sind hier, um zu beten, damit die schlimmen Dinge aufhören — nicht noch mehr Obeah. Aber für mich ist wichtig, daß ich mit einem von ihnen allein sprechen kann. Wenn sie die Lobby verlassen, wird der, den ich sprechen muß, versuchen, sich von den anderen zu trennen, um allein zu sein… oder auch nach jemand Ausschau zu halten. Glaubst du, daß du ihm folgen kannst, ohne daß er dich sieht?«
«Findet mein Boß das richtig?«
«Ich werde ihm sagen, er soll zu dir rüberschauen und dir zunicken.«
«Dann kann ich es machen. Ich bin schneller als die Mondgans und kenne jeden Pfad auf der Insel. Er geht den einen Weg, und ich weiß schon, wohin er will, und werde lange vor ihm dasein… Aber wie weiß ich denn, welcher Priester es ist? Vielleicht ist er nicht der einzige, der allein weggeht.«
«Ich werde mit jedem von ihnen sprechen. Mit ihm zuletzt.«
«Dann weiß ich Bescheid.«
«Du bist ganz schön fix«, sagte Borowski.
«Ich kann denken, Monsieur. Ich bin der Fünftbeste in meiner Klasse, in der Technical Academy von Montserrat. Die vier vor mir sind Mädchen, die müssen aber auch nicht nebenher arbeiten. In fünf oder sechs Jahren hab ich das Geld zusammen, dann geh ich auf die Universität von Barbados!«
«Vielleicht schon früher. Mach jetzt. Geh runter in die Lobby und bleib in der Nähe der Tür. Und du verfolgst ihn. Später komme ich dann auch raus und sehe nach dir, allerdings nicht mehr in Uniform. Wenn ich dich nicht finden kann, treffen wir uns in einer Stunde. Nur wo? Kennst du einen ruhigen Ort?«
«Die Kapelle, Sir. Oben im Wald, östlich der Bucht. Niemand geht jemals da hin, nicht mal an Sonntagen.«
«Gute Idee.«
«Da ist noch eine Sache, Sir…«
«Hier sind fünfzig Dollar, amerikanische.«
«Danke, Sir!«
Jason wartete etwa neunzig Sekunden an der Tür zur Lobby und öffnete sie dann einen Spalt. Ishmael war an seinem Platz, und er konnte Johnny rechts neben dem Empfang mit den vier Priestern reden sehen. Borowski zupfte an seiner Jacke, nahm eine militärische Haltung an und ging auf die Priester und seinen Schwager zu.»Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen«, sagte er zu den Predigern. John schien etwas überrascht und betrachtete ihn neugierig.»Ich bin neu hier auf der Insel, und ich muß sagen, daß ich beeindruckt bin. Die Regierung ist außerordentlich zufrieden, daß Sie dazu beitragen, die beunruhigten Gemüter zu besänftigen«, fuhr Jason fort, seine Hände fest hinter dem Rücken verschränkt.»Für Ihr Bemühen hat der Gouverneur den verehrten Mr. St. Jacques beauftragt, einen Scheck in Höhe von hundert Pfund für Ihre Kirche auszuschreiben — der natürlich von uns erstattet wird.«
«Das ist eine sehr großzügige Geste, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, meinte der Vikar aufrichtig und mit hoher Stimme.
«Sagen Sie mir doch, wer diese glänzende Idee hatte«, fuhr das Chamäleon fort.»Rührend, wirklich rührend.«
«Oh, das ist nicht mein Verdienst, Sir«, antwortete der Vikar und deutete auf den vierten Mann.»Es war Samuels Idee. Ein guter, anständiger Hirte seiner Herde.«
«Perfekt, Samuel. «Borowski sah den vierten Mann kurz und durchdringend an.»Aber ich möchte jedem von Ihnen einzeln danken und Ihre Namen erfahren. «Jason ging die Reihe entlang, schüttelte Hände und tauschte Höflichkeiten aus. Er kam zum letzten der Prediger, der seinem Blick auswich.
«Natürlich, ich weiß schon Ihren Namen, Samuel«, sagte er mit leiser, kaum hörbarer Stimme.»Und ich wüßte gern, wessen Idee es war, bevor Sie die Ehre hatten.«
«Ich verstehe nicht«, flüsterte Samuel.
«Sicher verstehen Sie — so ein guter und anständiger Mensch —, Sie müssen schon eine andere, auch sehr großzügige Spende erhalten haben.«
«Sie müssen mich verwechseln, Sir«, murmelte der Priester, und in seinen dunklen Augen flackerte die Angst.
«Ich mache keine Fehler, Ihr Freund weiß das. Ich kriege Sie, Samuel. Vielleicht nicht heute, aber sicher morgen oder übermorgen. «Borowski hob seine Stimme, als er die Hand des Priesters losließ.»Nochmals, herzlichen Dank. Die Regierung ist Ihnen sehr verbunden. Und jetzt muß ich gehen. Einige dringende Telefonate… Ihr Büro, St. Jacques?«
«Ja, natürlich, General.«
Im Büro riß sich Jason die Uniform herunter, holte die Automatic heraus und griff zu den Kleidern, die Maries Bruder für ihn gekauft hatte. Graue Bermudashorts, ein rot-weißgestreiftes Guayabera-Hemd und einen Strohhut mit breitem Rand. Er zog Socken und Schuhe aus, schlüpfte in die Sandalen, stand auf und fluchte.»Verdammt!«Er schleuderte die Sandalen fort und zog sich wieder seine Schuhe mit den Gummisohlen an. Er untersuchte die verschiedenen Kameras und ihr Zubehör, wählte die leichteste, aber komplizierteste und hängte sie sich vor die Brust. John St. Jacques kam ins Zimmer. Er trug ein kleines Funkgerät.
«Wo kommst du her, aus Miami Beach?«
«Etwas weiter nördlich, sagen wir Pompano. Ganz so geschmacklos bin ich nicht. Das würde ich nicht aushalten.«
«Da hast du recht. Man könnte schwören, daß du ein verkalkter Daddy aus Key West bist. Hier ist das Funkgerät.«
«Danke. «Jason steckte das kleine Gerät in die Brusttasche.
«Wohin jetzt?«
«Hinter Ishmael her. Der Junge, dem du zugenickt hast.«
«Ishmael? Ich habe Ishmael nicht zugenickt, du hast nur gesagt, ich solle in Richtung Eingang nicken.«
«Ist dasselbe. «Borowski steckte sich die Automatic unters Hemd in den Gürtel und schaute sich die Sachen aus dem Seglerladen an. Die Schnur und das Schuppmesser steckte er ein, öffnete dann eine leere Kameratasche und verstaute darin zwei Notsignalraketen. Er hätte noch ein paar andere Dinge gebrauchen können, aber was er hatte, war nicht schlecht. Vor dreizehn Jahren… und selbst damals war er schon nicht mehr ganz jung gewesen. Sein Verstand mußte besser und schneller sein als sein Körper…
«Dieser Ishmael ist ein guter Junge«, sagte Maries Bruder.»Er ist intelligent — und stark wie ein preisgekrönter Stier aus Saskatschewan. Ich denke, ich könnte ihn in etwa einem Jahr zum Wächter machen. Mit besserem Lohn.«
«Schick ihn lieber nach Harvard oder Princeton, wenn er seinen Job heute nachmittag gut macht.«
«Hallo, das ist ein guter Tip. Sein Vater war übrigens Preisringer.«
«Ich muß los«, sagte Jason und stürzte zur Tür.»Du bist auch nicht mehr gerade achtzehn«, fügte er noch hinzu, bevor er die Tür öffnete.
«Hab ich nicht behauptet. Was hast du für Probleme?«
«Vielleicht die Sandbank, die du nie bemerkt hast, Mr. Security.«
Borowski ließ die Tür hinter sich ins Schloß fallen.
«Empfindlich, empfindlich. «St. Jacques schüttelte langsam den Kopf und betrachtete seine Faust. Die Faust eines Fünfunddreißigjährigen.
Beinahe zwei Stunden waren bereits vergangen, und Ishmael war noch nicht wieder aufgetaucht. Mit steifem Bein, als wäre er ein Krüppel, humpelte Jason überzeugend von einem Ende vom Tranquility Inn zum anderen, sah durch die Spiegellinse seiner Kamera, sah alles, aber keine Spur vom jungen Ishmael. Zweimal war er den Weg in den Wald hinauf zu der einsamen, grasgedeckten und mit bunten Glasfenstern geschmückten Kapelle gegangen. Das Sanktuarium des Ferienortes schien weniger als Ort der Meditation, denn wegen seiner verrückten Bauweise berühmt zu sein. Doch wie Ishmael gesagt hatte, wurde die Kapelle kaum besucht, auch wenn sie in allen Broschüren von Tranquility abgebildet war.