«Das ist zu hoch für mich, Professor. Was meinst du damit?«
«Terroristen werden nicht geboren, Johnny, sie werden gemacht. Sie werden ausgebildet. Sie werden Meister ihres Fachs. Es gibt viele Gründe, warum sie sind, was sie sind — die eine gerechte Sache oder die psychopathische Großmannssucht eines Schakals sein können. Doch unabhängig davon läuft das Spiel immer weiter, weil sie sich selber spielen.«
«So?«St. Jacques runzelte verwirrt die Stirn.
«Du kontrollierst deine Figuren, sagst ihnen, was sie tun sollen, aber nicht, warum.«
«Das ist es, was wir hier tun und was Henry draußen rund um die Insel tut.«
«Tut er? Tun wir?«
«Zum Teufel, ja.«
«Ich dachte auch, es wäre so einfach. Aber das war ein Fehler. Ich habe ein großes, kluges Kind überschätzt, das einen einfachen, harmlosen Job machen sollte und jetzt in Lebensgefahr schwebt, und einen schlichten, verängstigten Priester, der dreißig Silberlinge entgegennahm, habe ich unterschätzt.«
«Wovon redest du eigentlich?«
«Samuel muß Zeuge der Folterung gewesen sein.«
«Was?«
«Das Entscheidende ist, daß wir die Spieler eigentlich nicht richtig kennen. Die Wachen zum Beispiel, mit denen du zur Kapelle gekommen bist…«
«Ich bin kein Idiot, David«, protestierte St. Jacques.»Als du uns gerufen hast, nahm ich nur zwei Leute mit, die einzigen, denen ich total vertraue. Sie sind meine wichtigsten Männer, und die ganze Sicherheit hier liegt in ihren Händen.«
«Und Henry, ist er ein guter Mann?«
«Manchmal geht er einem auf die Nerven, aber er ist der beste Mann auf den Inseln.«
«Und der Gouverneur?«
«Ist ein Arsch.«
«Weiß Henry das?«
«Sicher weiß er es. Er ist bestimmt nicht Stabsoffizier geworden, weil er so gut aussieht. Er ist nicht nur ein guter
Soldat, sondern auch ein guter Verwaltungsbeamter. Ich verdanke ihm viel.«
«Und du bist sicher, daß er nicht mit dem Gouverneur in Verbindung gestanden hat?«
«Er hat mir gesagt, er würde mich kontaktieren, bevor er den aufgeblasenen Idioten anruft. Und ich glaube ihm.«
«Ich hoffe, du hast recht — weil dieser aufgeblasene Idiot der Kontaktmann des Schakals in Montserrat ist.«
«Was? Das glaube ich nicht!«
«Glaub's nur. Es stimmt.«
«Das ist nicht wahr!«
«Doch. Das ist die Methode, nach der der Schakal arbeitet. Er findet eine wunde Stelle, und er kauft sich die Leute. Es gibt viele Grauzonen, und es gibt wenige, die man nicht kaufen könnte.«
Verblüfft lief St. Jacques zur Balkontür.»Ich glaube, das erklärt einiges. Der Gouverneur gehört zum konservativen Landadel. Sein Bruder ist ein hohes Tier im Außenministerium und steht dem Ministerpräsidenten nahe. Die Frage war, warum er in seinem Alter und bei seinen Beziehungen hierhergeschickt wurde, warum er es akzeptiert hat. Man sollte denken, daß er wenigstens die Bermudas oder die Virgin-Inseln hätte haben wollen. Plymouth kann ein Sprungbrett sein, aber nicht die Endstation.«
«Er wurde verbannt, Johnny. Carlos fand wahrscheinlich vor langer Zeit heraus, warum. Und hatte ihn damit auch schon auf seiner Liste. Die meisten Leute lesen Zeitungen und Bücher und Zeitschriften zur Ablenkung. Der Schakal verschlingt Geheimreports aus jeder nur denkbaren Quelle, die er anzapfen kann, und er hat mehr angezapft, als die CIA, der KGB, MI-Five und Six, Interpol und ein Dutzend anderer Geheimdienste es sich überhaupt vorstellen können… Die vier oder fünf
Wasserflugzeuge, die gelandet sind, seitdem ich von Blackburne zurück bin, wer ist mit ihnen gekommen?«
«Piloten«, antwortete St. Jacques und drehte sich um.»Sie brachten Leute weg, nicht her. Das habe ich doch schon gesagt.«
«Ja. Aber hast du es auch genau beobachtet?«
«Beobachtet, was?«
«Jedes Flugzeug, als es landete?«
«Mann! Du hast mich mit einem Dutzend verschiedener Jobs in Trab gehalten.«
«Was ist mit den beiden Schwarzen, die, denen du so sehr traust?«
«Sie kontrollierten und postierten die anderen Wachen, um Himmels willen.«
«Dann wissen wir also nicht sicher, wer mit den Flugzeugen gekommen ist. Vielleicht wurde jemand ins Wasser runtergelassen über die Schwimmer, in der Einfahrt zwischen den Riffen, vielleicht vor der Sandbank.«
«Aber ich sage dir doch, David, ich kenne diese Burschen seit vielen Jahren. Sie würden so etwas niemals zulassen. Kommt überhaupt nicht in Frage!«
«Du meinst also, es sei völlig ausgeschlossen?«
«Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.«
«Wie für den Kontaktmann des Schakals in Montserrat, den Gouverneur.«
Der Besitzer des Tranquility Inn starrte seinen Schwager an.»In welcher Welt lebst du eigentlich?«
«In einer Welt, die ich sehr gut kenne. Und ich bedaure sehr, daß du jemals da reingeraten bist. Aber so ist es nun einmal, und du wirst die Regeln beachten, meine Regeln. «Ein Licht, ein Blitz, ein winziger Streifen tiefroten Lichts in der Dunkelheit draußen! Mit ausgebreiteten Armen hechtete Borowski auf St.
Jacques, riß ihn aus dem Gleichgewicht, weg von der Balkontür.»Weg da!«brüllte er, dann krachten sie zu Boden. Dreimal kurz hintereinander hörten sie es über sich zischen, und die Kugeln bohrten sich in die hintere Wand.
«Was, zum Teufel… «
«Er ist da draußen und will, daß ich es weiß!«keuchte Borowski, schob seinen Schwager in Deckung und kroch neben ihn. Er griff in die Tasche seines Hemdes.»Er weiß, wer du bist, also sollst du die erste Leiche sein. Er weiß, daß mich das wahnsinnig machen würde, weil du Maries Bruder bist — du gehörst zur Familie, und das läßt er wie ein Damoklesschwert über meinem Kopf schweben. Meine Familie!«
«Was sollen wir tun?«
«Ich tu was!«erwiderte Jason und zog die zweite Leuchtrakete aus der Tasche.»Ich schicke ihm eine Botschaft. Eine Botschaft, die ihm sagen wird, warum ich am Leben bin und warum ich es noch sein werde, wenn er schon tot ist. Bleib, wo du bist!«Borowski zündete die Leuchtrakete an. Geduckt machte er zwei Schritte zur Balkontür und schleuderte die zischende, blendende Lichtgarbe in die Dunkelheit. Zwei Blitze. Zwei Kugeln zischten. Eine ging in die Decke und die andere in den Spiegel auf dem Toilettentisch.»Er hat eine MAC-10 mit einem Schalldämpfer«, sagte Delta, rollte sich an die Wand und griff nach seinem verwundeten Hals.»Ich muß hier raus!«
«David, du bist verletzt!«
«Gut beobachtet. «Borowski kam auf die Beine, rannte zur Tür und stürzte ins nächste Zimmer, wo ihm der stirnrunzelnde kanadische Arzt gegenüberstand.
«Ist alles in Ordnung?«
«Ich muß weg hier. Auf den Boden!«
«Aber sehen Sie nur! Blut auf Ihrer Bandage, die Nähte…«
«Mit dem Arsch auf den Boden!«
«Sie sind keine einundzwanzig mehr, Mr. Webb…«
«Das ist mein Leben!«schrie Borowski. Er rannte zum Eingang, stürzte hinaus, schoß über den erleuchteten Weg zum Eingang des Hauptgebäudes und bemerkte jetzt erst die betäubende Blasmusik, die über mehrere Lautsprecher, die in den Bäumen hingen, über das ganze Grundstück dröhnte.
Die rhythmische Kakophonie war überwältigend. Keineswegs ein Nachteil, dachte Jason. Angus McLeod hatte sein Wort gehalten. In dem riesigen, gläsernen Speisesaal saßen die noch verbliebenen Gäste, um die sich einige Angestellte kümmerten. Das bedeutete, daß das Chamäleon seine Farbe wechseln mußte. Er kannte den Schakal so gut wie sich selbst, und er wußte, daß sein Gegner genau das tun würde, was auch er unter diesen Umständen täte.
Der hungrige, geifernde Schakal würde direkt in die Höhle seiner verwirrten, angeschlagenen Beute schleichen und sich das beste Stück Fleisch herausholen. Aber auch er, Borowski, würde zu einem Raubtier werden, zu einem noch gefährlicheren — sagen wir, zu einem bengalischen Tiger —, der einen Schakal mit seinen Zähnen zerreißen konnte… Warum dachte er in solchen Bildern? Warum waren sie wichtig? Warum? Er wußte, warum, und es erfüllte ihn mit einem Gefühl der Leere, einer Sehnsucht nach dem, was er hinter sich gelassen hatte — er war nicht mehr Delta, der gefürchtete Guerillero der Medusa. Er war auch nicht mehr der Jason Borowski, der er in Paris und im Fernen Osten gewesen war. Der ältere, viel ältere David Webb drängte sich in ihm vor und versuchte, inmitten von Irrsinn und Gewalt einen Sinn zu finden.