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«Sind wir soweit?«

«Wir sind soweit«, antwortete der Franzose und lächelte der beeindruckenden jungen schwarzen Frau zu.»Was werden Sie mit all dem Geld tun, was Sie heute nacht verdienen werden, meine Liebe?«

Das Mädchen kicherte schüchtern, und ihr breites Lächeln enthüllte leuchtend weiße Zähne.»Ich habe einen guten Freund, und ich werde ihm ein schönes Geschenk kaufen.«

«Wie schön. Wie heißt Ihr Freund?«

«Ishmael, Sir.«

«Gehen wir«, sagte Jason entschlossen.

Der Plan war einfach, wie die meisten guten Strategien. Der Spaziergang des alten Fontaine durch das Gelände von Tranquility war präzise geplant. Es begann damit, daß Fontaine und die schöne Schwarze zu seiner Villa zurückkehrten, als wollten sie nach seiner kranken Frau sehen, bevor er seinen ärztlich verordneten Abendspaziergang begann. Ab und zu blieben sie auf dem beleuchteten Hauptweg stehen, spazierten ein wenig über den von Flutlichtern erhellten Rasen, immer sichtbar, ein gebrechlicher alter Mann, der herumspazierte, wie es ihm gerade einfiel, zum Unmut seiner Begleiterin.

Die beiden schwarzen Wachen, denen St. Jacques am meisten vertraute — der eine ziemlich klein, der andere recht groß — hatten eine Reihe von Stationen festgelegt, zwischen denen der Franzose und seine» Krankenschwester «kehrtmachen und in eine andere Richtung gehen sollten. Von jedem dieser Punkte aus konnte die jeweils nächste Wegstrecke überwacht werden, und sobald einer der beiden Bewacher einen Kontrollpunkt erreicht hatte, ging der andere zum nächsten, auf dunklen, geheimen, unzugänglichen Trampelpfaden. Die Wachen bewegten sich wie riesige Spinnen im Dschungel scheinbar mühelos, über Steine, Wurzeln und Ranken, wobei sie immer mit ihren Schützlingen Schritt hielten. Borowski folgte dem zweiten Mann, sein Funkgerät auf Empfang gestellt, aus dem Fontaines Worte klangen:»Wo ist die Schwester, die sich um meine Frau gekümmert hat? Wo ist sie? Ich habe sie den ganzen Tag nicht gesehen?«

Plötzlich rutschte Jason aus. Er saß fest! Er befand sich hinter der Mauer, die das Gelände umschloß, und sein linker Fuß war in Ranken verheddert. Verdammt! Er machte eine ungestüme Bewegung und spürte sofort wieder im Nacken die heißen Pfeile des Schmerzes. Er reißt, etwas reißt!.. Seine Lungen zerplatzten fast, das Blut durchdrang jetzt sein Hemd, aber er befreite sich und kroch weiter. Plötzlich Lichter, farbige Lichter. Fontaine hatte die Kapelle erreicht, und das rote und blaue Flutlicht drangen bis dorthin, wo Jason kauerte, hinter der Mauer, die in der Nähe der Kapelle verlief. Hier war der Wendepunkt, an dem Fontaine zu seiner Villa zurückkehren sollte. Der alte Mann sollte ein wenig Atem schöpfen. St. Jacques hatte eine Wache an der Kapelle aufgestellt, damit niemand das beschädigte Gebäude betrat. Dort würde also kein Kontakt stattfinden… Doch dann hörte Borowski über Funk das Zeichen, daß der Verbindungsmann des Schakals aufgetaucht sei:»Lassen Sie mich in Ruhe!«rief Fontaine.»Ich will Sie nicht! Wo ist die andere Schwester?«

Die beiden Schwarzen hatten sich, Seite an Seite, an der Mauer niedergeduckt. Jetzt drehten sie sich um und sahen zu Jason hinüber. Ihr Ausdruck in dem geisterhaften Licht sagte ihm, was er nur zu gut wußte. Von diesem Augenblick an lagen alle Entscheidungen bei ihm. Sie hatten ihn geführt, ihn zu seinem Feind eskortiert. Der Rest war seine Sache.

Unerwartetes verwirrte Borowski selten; jetzt aber doch. Hatte Fontaine einen Fehler gemacht? Hatte er den Wächter des Hotels vergessen und irrtümlich angenommen, daß er der Mann des Schakals sei? Vielleicht hatte der Alte eine überraschte Reaktion des Wächters mißinterpretiert.

Alles war denkbar, aber bei seiner Erfahrung, bei seinem Verstand! Ein solcher Fehler war wenig wahrscheinlich.

Dann dachte Borowski an eine andere Möglichkeit, und die war ekelerregend. War der Wächter getötet oder bestochen oder durch einen anderen ersetzt worden? Carlos war ein Meister darin, Leute umzudrehen. Es wurde erzählt, daß er seinen Vertrag zur Ermordung von Anwar El Sadat erfüllt habe, ohne einen Schuß abzufeuern, indem er lediglich die Sicherheitsbeamten des ägyptischen Präsidenten durch unerfahrene Rekruten ersetzt hatte. Das in Kairo dafür ausgegebene Geld kam hundertfach von den verschiedenen antiisraelischen Bruderschaften wieder herein. Wenn das stimmte, mußte das hier auf Tranquility ein Kinderspiel für ihn sein.

Jason sprang auf, griff nach der Mauerkrone und zog sich langsam und unter Schmerzen nach oben, langte erst mit einem, dann mit dem anderen Arm hinüber zur nächsten Kante, bis er Halt fand. Was er sah, verblüffte ihn.

Die junge Schwarze war weg, Fontaine stand unbeweglich da, mit ungläubig aufgerissenen Augen, als ein anderer alter Mann in einem braunen Gabardine-Anzug auf ihn zukam und die Arme um den alten Helden von Frankreich schlang. Fontaine stieß den Mann verwirrt zurück. Die Worte kamen per Funk aus Borowskis Tasche.

«Claudel Quelle secousse! Vous etes ici!«

Der alte Freund antwortete mit melodischer Stimme auf französisch:»Ja, ich bin hier. Dank Monseigneur kann ich meine Schwester ein letztes Mal sehen und dich, meinen Freund, ihren armen Mann. Ich bin hier und bleibe bei dir!«

«Er hat dich hergebracht? Aber natürlich er!«

«Ich werde dich zu ihm bringen. Der große Mann wünscht dich zu sprechen.«

«Weißt du, was du tust? Was du getan hast?«

«Ich bin bei dir, bei ihr. Etwas anderes zählt nicht.«

«Sie ist tot! Sie hat sich in der vergangenen Nacht das Leben genommen! Er wollte uns beide umbringen.«

Stell das Funkgerät ab! schrie Borowski in Gedanken. Stell es ab! Es war zu spät. Der linke Türflügel der Kapelle öffnete sich, und der Umriß eines Menschen trat in den Flutlichtkorridor vor der Kirche. Er war jung, muskulös und blond, mit einem dummen Gesicht und steifer Haltung. Hatte der Schakal sich einen jugendlichen Nachfolger gewählt?

«Komm mit mir, bitte«, sagte der blonde Mann. Sein

Französisch war fließend, aber von eisiger Höflichkeit.»Du«, fügte er hinzu und meinte den alten Mann im braunen

Gabardine-Anzug.»Du bleibst, wo du bist. Beim leisesten Geräusch schießt du… Nimm die Pistole heraus. Behalte sie in der Hand.«

«Oui, monsieur.«

Jason beobachtete hilflos, wie Fontaine in die Kapelle eskortiert wurde. Aus seiner Tasche kam ein Durcheinander von Geräuschen, dann ein Knall. Sie hatten das Funkgerät gefunden und zerstört. Dennoch stimmte irgend etwas nicht, etwas war nicht im Gleichgewicht — oder vielleicht zu symmetrisch. Es machte keinen Sinn, den Ort einer fehlgeschlagenen Falle ein zweites Mal zu benutzen, keinerlei Sinn! Das Erscheinen von Fontaines Schwager war ein außerordentlicher Schachzug, dem Schakal angemessen, ein wirklich unerwarteter Trick in diesem verwirrenden Spiel, aber der Schauplatz war falsch, nicht noch einmal die Kapelle. Es sah zu sehr nach Ordnung, nach

Wiederholung aus, es war zu offensichtlich. Falsch.

Und deshalb richtig? erwog Borowski. War es die unlogische Logik des Mörders, der hundert Sonderabteilungen internationaler Geheimdienste beinahe dreißig Jahre lang hinters Licht geführt hatte?» Das würde er nicht tun — es ist verrückt!«-»Oh, ja, er könnte, weil er weiß, wir denken, daß es verrückt wäre. «War der Schakal in der Kapelle? Wenn nicht, wo war er? Wo hat er seine Falle gestellt?

Das tödliche Schachspiel war außerordentlich verwickelt. Tod dem Verkäufer des Todes oder Tod dem Herausforderer. Der eine wollte die Schaffung und Festigung einer Legende, der andere die Erhaltung seiner Familie und seiner selbst. Carlos war im Vorteil. Letztlich würde er alles riskieren, denn, wie Fontaine bestätigt hatte, war er ein sterbender Mann. Borowski hatte alles, wofür zu leben sich lohnte. Doch auch sein Leben war unauslöschlich gezeichnet, in zwei geteilt durch den Tod einer vage erinnerten Frau und zweier Kinder vor langer Zeit im weit entfernten Kambodscha. Nein. Es konnte nicht, durfte nicht noch einmal passieren!