Jason rutschte die Mauer wieder hinunter, kroch zu den beiden Wachen und flüsterte:»Sie haben Fontaine reingeholt.«
«Wo ist der Posten?«fragte der eine, mit Verwirrung in der Stimme.»Ich habe ihn selbst dort postiert, mit genauen Instruktionen. Niemand durfte hinein. Er sollte funken, sobald er jemanden sah.«
«Dann fürchte ich, hat er ihn nicht gesehen.«
«Wen?«
«Einen blonden Mann, der französisch spricht.«
Die beiden Schwarzen sahen sich an. Dann wandte sich einer von ihnen an Jason und sagte ruhig:»Beschreiben Sie ihn, bitte.«
«Mittlere Größe, breite Brust und Schultern…«
«Das reicht«, unterbrach der eine.»Unser Mann hat ihn gesehen, Sir. Er ist dritter Offizier der Regierungspolizei, ein Mann, der mehrere Sprachen spricht. Der Chef der Drogenfahndung.«
«Aber warum ist er hier, Mann?«fragte der andere seinen Kollegen.»Mr. St. Jacques sagte, die Polizei würde nicht eingeschaltet. Sie gehören nicht zu uns.«
«Sir Henry, Mann. Er hat sechs oder sieben Boote, die hin-und herpatrouillieren und Befehl haben, jeden aufzuhalten, der Tranquility verläßt. Es sind Drogenboote. Sir Henry nennt es eine Drogenübung, also muß natürlich der Chef der Drogenfahndung…«Das singende Geflüster des Inselbewohners erstarb mitten im Satz, als er seinen Kameraden ansah.»Warum ist er denn nicht draußen auf dem Wasser? Auf seinem Boot?«
«Mögt ihr ihn?«fragte Borowski instinktiv, von seiner eigenen Frage überrascht.»Ich meine, respektiert ihr ihn? Ich könnte mich irren, aber mir scheint, ich rieche etwas…«
«Sie irren sich nicht, Sir«, antwortete einer der Wächter.»Dieser Offizier ist ein grausamer Mensch, und er mag uns >Punjabis<, wie er uns nennt, nicht. Er ist immer schnell dabei, jemanden fertigzumachen, und viele haben wegen ihm ihren Job verloren.«
«Warum beschwert ihr euch nicht, um ihn loszuwerden? Die Briten werden auf euch hören.«
«Der Gouverneur nicht, Sir«, erklärte der andere.»Er ist parteiisch. Sie sind gute Freunde und fahren oft zusammen angeln.«
«Ich verstehe. «Jason war alarmiert, sehr alarmiert.»St. Jacques sagte mir, daß es hinter der Kapelle einen Pfad gibt. Er sagte, möglicherweise sei er zugewachsen, aber er glaubte, daß es ihn noch gibt.«
«Doch«, bestätigte der erste Wächter.»Das Personal benutzt ihn immer noch, um in der Freizeit zum Strand zu gehen.«
«Wie lang ist er?«
«Fünfunddreißig, vierzig Meter. Dann kommt eine Steilwand, in die Stufen hineingehauen sind, über die man zum Strand kommt.«
«Wer von euch ist schneller?«fragte Borowski, griff in seine Tasche und holte die Leine heraus.
«Ich.«
«Ich!«
«Du gehst«, sagte Jason und nickte dem kleineren Wächter zu. Er gab ihm die Leine.»Wo immer es möglich ist, spannst du die Leine quer über den Pfad. Befestige sie an Wurzeln oder starken Ästen. Du darfst nicht gesehen werden, also paß auf. Es ist dunkel.«
«Kein Problem.«
«Hast du ein Messer?«
«Habe ich Augen?«
«Gut. Gib mir deine Uzi. Beeil dich!«
Der Wächter kroch an der rankenüberwucherten Böschung entlang und verschwand im dichten Gebüsch. Der Schwarze, der bei Borowski geblieben war, sagte:»In Wahrheit bin ich schneller, weil meine Beine länger sind.«
«Deshalb habe ich ihn geschickt. Lange Beine sind hier kein Vorteil, nur ein Hindernis, das kenne ich von mir. Und weil er kleiner ist, kann man ihn auch weniger leicht entdecken.«
«Die Kleinen bekommen immer die besseren Aufträge. Uns lassen sie zu Paraden aufmarschieren, aber die Kleinen bekommen die plumbies.«
«Die besseren Jobs?«
«Ja, Sir.«
«Die gefährlichsten Jobs?«
«Ja, Mann.«
«Damit mußt du leben, Big Boy.«
«Was machen wir jetzt, Sir?«
Borowski sah hinüber zur Mauer, zum farbigen Licht.»Warten — auf das Rendezvous warten, aber ohne Blumenstrauß, nur voller Haß. Denn du willst leben, aber andere wollen dich töten. Warten und nichts tun. Das einzige, was man tun kann, ist zu überlegen, was der Feind tun oder nicht tun könnte. Und ob er an etwas gedacht hat, was du nicht erwogen hast. Wie jemand einmal gesagt hat:…ich war lieber in Philadelphia.«
«Wo, Sir?«
«Nichts. Ist schon okay.«
Plötzlich wurde die Luft von einem schrillen, durchdringenden Schreien erfüllt. Worte, unter Schmerzen hervorgestoßen. »Non, non! Vous etes monstrueux!.. Arretez, arretez, je vous supplie!«
«Jetzt!«schrie Jason, warf sich die Uzi über die Schulter, sprang zur Mauer und zog sich an der Kante hoch, während das Blut wieder aus seinem Hals drang. Er kam nicht hoch! Er kam nicht hinüber! Dann wurde er von starken Händen gezogen und fiel auf die andere Seite.
«Die Lichter!«schrie er.»Schieß sie aus!«
Die Uzi des großen Wächters ratterte, die Lampen auf beiden Seiten des Wegs zur Kapelle explodierten. Wieder wurde er von starken Händen gezogen und auf die Beine gestellt. Und dann blitzte ein einziger gelber Lichtstrahl auf, der in alle Richtungen drang. Es war eine starke Halogenlampe in der Unken Hand des Soldaten. Der alte Mann in dem braunen Gabardine-Anzug lag blutdurchtränkt, mit durchschnittener Kehle auf dem Weg.
«Stop! Im Namen des Allmächtigen, bleibt, wo ihr seid!«kam die Stimme Fontaines aus der Kapelle. Sie näherten sich dem Eingang mit ihren schußbereiten automatischen Waffen. Doch auf das, was sie durch die halboffene Tür sahen, waren sie nicht vorbereitet. Borowski schloß die Augen, der Anblick war zu schmerzhaft. Der alte Fontaine lag, genau wie der junge Ishmael, über dem Pult unter dem hinausgesprengten bunten Fenster. Sein Gesicht war von Peitschenhieben gezeichnet, blutüberströmt, und an seinem Körper waren mehrere dünne Kabel befestigt, die zu schwarzen Kästen führten.
«Geht zurück!«schrie Fontaine.»Rennt, ihr Idioten! Ich bin an Zündschnüre angeschlossen…«
«Oh, mein Gott!«
«Seien Sie nicht traurig, Monsieur le cameleon. Mit Freuden gehe ich zu meiner Frau! Diese Welt ist zu scheußlich, selbst für mich. Rennt! Die Ladung geht hoch — sie beobachten euch!«
«He, Mann! Jetzt!«schrie der Wächter, packte Jason am Arm, raste mit ihm zur Mauer und hielt Borowski immer noch fest, als sie auf der anderen Seite in das dichte Gebüsch plumpsten.
Die Explosion war ungeheuer, blendend und betäubend. Es war, als ob ein Teil der kleinen Insel von einer Rakete weggeblasen würde. Flammen schössen in den nächtlichen Himmel, aber das Feuer sank schnell zu glühender Asche zusammen.
«Der Pfad«, stieß Borowski heiser hervor, als er wieder auf die Füße gekommen war.»Zum Pfad!«
«Sie sind in schlechter Verfassung, Mann.«
«Ich sorge für mich und du für dich!«
«Ich glaube, ich habe für uns beide gesorgt.«
«Und du kriegst 'ne verdammte Medaille und einen Haufen Geld, wenn du uns beide zum Pfad bringst.«
Keuchend und schwitzend kämpften sich die beiden Männer durchs Unterholz bis an den Rand des Pfades, zehn Meter hinter den rauchenden Trümmern der Kapelle. Sie verkrochen sich im Gras, und innerhalb weniger Sekunden war der zweite Wächter bei ihnen.»Sie sind dort drüben, bei den Fahnen«, sagte er atemlos.»Sie warten, bis sich der Rauch verzogen hat, um zu sehen, ob jemand überlebt hat, aber lange können sie nicht bleiben.«
«Du warst dort?«fragte Jason.»Mit ihnen?«
«Kein Problem, Mann. Ich habe es Ihnen gesagt, Sir.«
«Was ist passiert? Wie viele sind es?«
«Es waren vier, Sir. Ich habe einen getötet und seinen Platz eingenommen. Er war schwarz, so machte es in der Dunkelheit keinen Unterschied. Es ging schnell und leise. Die Kehle.«
«Wer ist übrig?«
«Der Drogenchef von Montserrat und zwei andere…«