«Wie sehen sie aus?«
«Ich konnte sie nicht deutlich sehen, aber noch einer von ihnen war — glaub ich — ein Schwarzer, groß und mit wenig Haaren. Den anderen konnte ich gar nicht sehen, denn er — oder sie — hatte seltsame Kleider an, mit einem Tuch über dem Kopf wie ein Sonnenhut mit einem Moskitonetz oder wie ein Damenhut mit Schleier.«
«Eine Frau?«
«Möglich, Sir.«
«Eine Frau…? Sie müssen von dort wegkommen — er muß von dort irgendwie wegkommen.«
«Sie werden diesen Pfad zum Strand benutzen und sich versteckt halten, bis ein Boot kommt und sie abholt. Sie haben keine andere Wahl. Sie können nicht ins Hotel zurück, weil sicher alle die Explosion gehört haben, auch wenn das Orchester sehr laut ist.«
«Hört zu«, Borowskis Stimme klang rauh.»Einer von den drei Leuten ist der Mann, den ich suche, und ich will ihn für mich! Ihr werdet also nicht schießen, weil ich ihn erkenne, sobald ich ihn sehe. Ich scheiße auf die anderen, die können wir uns später schnappen.«
Eine Gewehrsalve krachte durch den Tropenwald, und Schreie gellten durch die Nacht. Dann hetzten drei Gestalten durchs Gebüsch. Der erste, den es erwischte, war der blonde Polizeioffizier. Die unsichtbare Schnur brachte ihn zu Fall, wobei sie zerriß. Der zweite Mann, schlank, groß, mit dunkler Gesichtshaut, kam dicht nach dem ersten. Er half dem anderen auf die Beine. Instinktiv, oder weil er etwas gesehen hatte, durchtrennte er, sein Messer wie eine Machete vor sich hin- und herschwingend, die hinderlichen Schnüre über dem Weg. Die dritte Figur erschien. Es war keine Frau. Es war ein Mann, in einer Mönchskutte. Ein Priester. Er war es. Der Schakal!
Borowski kroch aus dem Gebüsch auf den Pfad, die Uzi in der Hand. Ihm gehörten der Sieg, die Freiheit und seine Familie. Als die Figur in der Robe an der primitiven in den Stein gehauenen Treppe ankam, drückte Jason ab. Ein Feuerstoß kam explosionsartig aus der Mündung seiner Waffe.
Die Silhouette des Mönchs stürzte kopfüber in den Steilhang, prallte weiter unten dumpf auf den Felsen, überschlug sich, rollte weiter und blieb im Sand liegen. Borowski kletterte so schnell er konnte die unregelmäßige Treppe hinunter, gefolgt von den beiden Wachen. Er kam zum Strand, stürzte zu der Leiche hin und zog das blutgetränkte Tuch weg. Voller Entsetzen blickte er in die schwarzen Gesichtszüge von Samuel, dem Prediger, dem Judas, der seine Seele dem Schakal verkauft hatte.
Plötzlich war weiter weg das Aufheulen eines starken Doppelmotors zu hören. Ein großes Rennboot schlüpfte aus einer schattigen Ecke der Bucht und raste auf einen schmalen Durchlaß im Riff zu. Ein starker Scheinwerfer suchte die Barriere ab, die aus dem schwarzen Wasser ragte. In seinem Licht konnte man auch den flatternden Wimpel der Drogenflotte der Regierung erkennen… Carlos!.. Der Schakal war zwar kein Chamäleon, aber er hatte sich verändert! Er war älter, dünner und kahlköpfig geworden — er war nicht mehr der Mann mit dem scharfgeschnittenen, breiten Gesicht und der muskulösen Figur, wie Jason ihn in Erinnerung hatte — nur die Gesichtszüge waren geblieben, der kahle Schädel von der Sonne gebräunt. Er entkam.
Unisono heulten die Motoren auf, als das Boot durch die gefährliche Öffnung im Riff jagte und das offene Wasser erreichte. Dann spuckte der ferne Lautsprecher metallische Worte aus, die in der tropischen Bucht ihr Echo fanden.»Paris, Jason Borowski! Paris, wenn du es wagst! Oder lieber eine gewisse kleine Universität in Maine, Dr. Webb?«
Borowski brach zusammen, und aus der offenen Halswunde lief sein Blut ins Meer.
Kapitel 18
Steven DeSole, Hüter der größten Geheimnisse der CIA, zwängte sein Übergewicht aus dem Wagen. Er stand auf dem verlassenen Parkplatz eines kleinen Einkaufszentrums in Annapolis in Maryland. Die einzige Lichtquelle waren die Neonleuchten vor der geschlossenen Tankstelle, in deren Fenster ein großer deutscher Schäferhund schlief. DeSole rückte seine Stahlbrille zurecht und äugte auf seine Armbanduhr, von der er nur die Leuchtzeiger erkennen konnte. Es war zwischen 3.15 Uhr und 3.20 Uhr morgens. Er war zeitig, und das war gut so. Er mußte seine Gedanken ordnen. Beim Fahren war er dazu nicht in der Lage gewesen, da er stark nachtblind war und sich voll auf die Straße konzentrieren mußte. Und es war natürlich unmöglich für ihn gewesen, ein Taxi oder einen Fahrer zu nehmen.
Die Information lautete… ja, eigentlich bloß ein Name… ein ziemlich gewöhnlicher Name. Der Name sei Webb, hatte der Anrufer gesagt. Danke, hatte er geantwortet. Dann eine flüchtige Beschreibung, wie sie auf mehrere Millionen Männer paßte. Er hatte dem Anrufer nochmals gedankt und den Hörer aufgelegt. Aber dann hatte in seinem analytischen Hirn ein Warnlicht aufgeleuchtet. Webb, Webb… Amnesie?… Eine Klinik in Virginia vor vielen Jahren… ein Mann, mehr tot als lebendig, aus einem Krankenhaus in New York eingeflogen… die Krankheitsakte mit der höchsten Geheimhaltungsstufe belegt, nicht einmal das Weiße Haus durfte sie sehen… Aber Untersuchungsspezialisten können oft den Mund nicht halten, weil sie ihre Frustrationen loswerden oder einen Zuhörer beeindrucken wollen. Und so hatte DeSole von einem dickköpfigen, unbequemen Patienten mit Amnesie erfahren, der» Davey «und manchmal knapp und feindselig einfach» Webb «genannt wurde. Er sei ein ehemaliges Mitglied von Saigons schrecklicher Medusa, ein Mann, den man verdächtigte, seinen Gedächtnisverlust nur vorzutäuschen… Gedächtnisverlust? Alex Conklin hatte ihnen gesagt, daß der Medusa-Mann, den sie auf Carlos, den Schakal, angesetzt hatten, Jason Borowski genannt wurde und sein Gedächtnis verloren hatte! Sein Gedächtnis und beinahe auch sein Leben, weil seine Kontrollmänner die Sache mit der Amnesie nicht geglaubt hatten! Das war» Davey«… David. David Webb war Conklins Jason Borowski. Wie konnte es anders sein?
David Webb. Und er war in Norman Swaynes Haus in jener Nacht, als der CIA gemeldet wurde, daß der gehörnte Swayne sich das Leben genommen hatte. Ein Selbstmord, der nicht in den Papieren auftauchte, aus Gründen, die DeSole nicht richtig verstanden hatte. David Webb. Die alte Medusa. Jason Borowski. Conklin. Warum?
Zwei Scheinwerfer durchbrachen die Dunkelheit am anderen Ende des Parkplatzes, schwenkten in einem Halbkreis auf DeSole zu. Sie blendeten ihn, und er schloß die Augen. Er mußte diesen Männern klarmachen, was er herausgefunden hatte. Sie waren der Schlüssel zu einem Leben, von dem er und seine Frau immer geträumt hatten. Geld. Nicht ein Beamtengehalt, sondern wirkliches Geld. Die besten Universitäten für die Enkelkinder — nicht die lausigen staatlichen und nicht mit erbettelten Stipendien. Er fand, er hatte es verdient, denn er war besser als all die anderen um ihn herum. Sein Beamtengehalt war eine Schande. DeSole, stumm wie ein Grab. So sagte man. Aber zahlen wollten sie nicht für seine Zuverlässigkeit, für seine Erfahrung. Eines Tages würde Washington lernen, aber den Tag würde er nicht mehr erleben. Und deshalb hatten die sechs Enkelkinder ihm die Entscheidung abgenommen. Er hatte sich aus Bitterkeit der neuen Medusa angeschlossen, und sie hatte ihm großzügig unter die Arme gegriffen.
Er rechtfertigte sich damit, daß er nicht unmoralischer sei als all die Pentagon-Leute, die Arlington verließen, um sich in die korporativen Arme der Waffenindustrie zu werfen. Ein Oberst der Armee hatte das ihm gegenüber einmal so ausgedrückt:»Jetzt arbeitet man, und bezahlt wird man später. «Und Gott wußte, daß Steven DeSole verdammt hart für sein Land gearbeitet hatte. Und doch haßte er den Namen Medusa und benutzte ihn, wenn überhaupt, nur selten. Die großen Erdölgesellschaften und Eisenbahnen gingen zwar auf die Machenschaften und die Korruption einiger Räuber-Barone zurück, aber heute war ihnen ihre Herkunft nicht mehr anzusehen. Medusa mochte im kriegsgezeichneten Saigon entstanden sein, die ersten Gelder mochten aus schmutzigen Quellen geflossen sein, aber diese Medusa existierte nicht mehr. An ihre Stelle waren Dutzende verschiedener Namen und Gesellschaften getreten.