«Um Gottes willen, David, hör auf mich! Wenn Washington so knauserig ist oder auf deine Probleme scheißt, Ottawa ist da besser. Meine Schwester hat für die Regierung gearbeitet, und unsere Regierung läßt ihre Leute nicht fallen, weil es unbequem oder zu teuer ist. Ich kenne Leute — wie Scotty, den Doktor und andere. Ein paar Worte von ihnen, und sie setzen dich in Calgary in eine Festung. Niemand könnte dir dort etwas anhaben!«
«Du denkst, die US-Regierung würde nicht dasselbe tun? Ich will dir mal was erzählen, Bruder. Es gibt Leute in Washington, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um Marie, die Kinder und mich zu retten. Selbstlos, ohne Nutzen für sich selbst oder die Regierung. Wenn ich ein sicheres Haus wollte, wo niemand an mich herankäme, würde ich wahrscheinlich einen Landsitz in Virginia bekommen, mit Pferden und Dienern und einem Zug Infanterie, der uns rund um die Uhr beschützen würde.«
«Das ist die Antwort. Tu es!«
«Wozu, Johnny? Um in einem privaten Gefängnis zu leben? Wo die Kinder ihre Freunde nicht besuchen können, wo sie mit Wächtern zur Schule gehen müssen, niemals allein sein dürfen, nie bei Freunden übernachten und Kissenschlachten machen können? Und Marie und ich starren uns nur an, vor den Fenstern Flutlichter, wir horchen auf die Schritte der Wachen, ihr gelegentliches Schneuzen oder Husten und — um Himmels willen auf das Klicken eines Gewehres, weil ein Kaninchen in den Garten gehoppelt ist. Das ist kein Leben, das ist lebenslängliche Haft. Deine Schwester und ich würden damit nicht fertig werden.«
«Ich auch nicht, so, wie du es beschreibst. Aber was ist Paris für eine Lösung?«
«Ich kann ihn finden. Ich kann ihn schnappen.«
«Er hat genug Leute drüben.«
«Ich habe Jason Borowski«, sagte David Webb.
«Ich bin mißtrauisch.«
«Ich auch, aber ich glaube, es funktioniert… Ich fordere jetzt deine Schulden ein, Johnny. Du mußt mich decken. Sage Marie, daß es mir gutgeht, daß ich nicht verwundet bin und daß ich eine Spur zum Schakal habe, die der alte Fontaine mir gegeben hat — was tatsächlich stimmt. Ein Cafe in Argenteuil, das Le Coeur du Soldat heißt. Sage ihr, daß ich Alex Conklin mobilisiere und alle Hilfe, die Washington mir geben kann.«
«Das machst du aber nicht, oder?«
«Nein. Der Schakal würde es erfahren. Er hat Ohren an allen Ecken des Quai d'Orsay. Die einzige Möglichkeit ist eine Solonummer.«
«Glaubst du nicht, daß sie das weiß?«
«Sie wird es vermuten, aber sicher kann sie nicht sein. Alex wird sie anrufen und ihr sagen, daß er die gesamte getarnte Kampftruppe in Paris mobilisiert hat. Aber zuerst mußt du es ihr sagen.«
«Warum die Lügen?«
«Sie hat wegen mir schon mehr als genug ausgestanden!«
«Gut, ich sage es ihr, aber sie wird es mir nicht glauben. Sie hat mich immer durchschaut. Seit ich klein war. Ihre großen, braunen Augen blicken mich an, meistens zornig, aber nicht wie die meiner Brüder, nein. Ich weiß nicht sie hatte nie diese Verachtung im Ausdruck, weil das Kind ein Taugenichts war. Kannst du das verstehen?«
«Zuneigung. Sie hat dich immer gemocht — selbst wenn du ein Taugenichts warst.«
«Ja, Marie ist okay.«
«Und ein bißchen mehr noch, denke ich. Ruf sie in ein paar Stunden an und hole sie hierher zurück. Es ist für sie der sicherste Ort.«
«Was ist mir dir? Wie wirst du nach Paris kommen? Die Verbindungen von Antigua und Martinique sind mehr als mies, meist schon Tage im voraus ausgebucht.«
«Ich kann diese Fluglinien sowieso nicht benutzen. Ich muß irgendwie anders hinkommen. Getarnt. Ein Mann in Washington soll sich was ausdenken. Irgend etwas!«
Alexander Conklin hinkte mit klitschnassem Gesicht und tropfenden Haaren aus der kleinen Küche des CIA-Appartements in Vienna. In früheren Zeiten, noch bevor die früheren Zeiten in ein Schnapsfaß gefallen waren, hatte er — wenn die Dinge zu schwierig und zu hektisch wurden in aller Ruhe sein Büro verlassen, wo immer es war, und hatte sich einem festen Ritual hingegeben. Er suchte sich das beste Steakhouse der Umgebung, bestellte zwei trockene Martinis und ein dickes, halbrohes Stück Fleisch mit Kartoffeln. Das Alleinsein, der mäßige Alkoholgenuß, das halbrohe Rindfleisch, die im Fett schwimmenden Bratkartoffeln, all das übte einen derart beruhigenden Einfluß auf ihn aus, daß alle sich überstürzenden, widersprüchlichen und komplexen Ereignisse eines hektischen Tages von ihm abfielen und das klare Denken wieder in ihn zurückkehrte. Wieder in seinem Büro — ob in dem hübschen Appartement am Belgravia Square in London oder im Hinterzimmer des Bordells in Katmandu —, hatte er dann immer eine ganze Palette von Lösungen für alle Probleme parat. Das hatte ihm den Spitznamen» heiliger Alex «eingetragen. Einmal hatte er Mo Panov von diesem» gastronomischen «Phänomen erzählt. Aber der hatte nur lakonisch erwidert:»Wenn dich dein verrückter Kopf nicht umbringt, dann wird es der Magen sein.«
Seit längerer Zeit jedoch, seit das postalkoholische Vakuum angebrochen war, seit verschiedene, mehr oder weniger harmlose Beschwerden ihn plagten, wie ein zu hoher Cholesterinspiegel und dumme kleine Triglyceriden, was immer das war, mußte er auf eine andere Lösung ausweichen. Er fand sie ganz zufällig. Eines Morgens, während der Anhörungen zur
Iran-Contra-Affäre, die er genüßlich wie ein Lustspiel im Fernsehen verfolgte, setzte sein Fernseher aus. Er war wütend und drehte sein tragbares Radio an, ein Instrument, das er seit Monaten oder Jahren nicht mehr benutzt hatte. Doch die Batterien seines Koffergerätes lagen in ihrer eigenen Soße. Sein künstlicher Fuß schmerzte, als er zum Telefon in der Küche ging. Glücklicherweise würde ein Anruf genügen, um seinen Fernsehhändler, dem er schon mehrmals gute Dienste geleistet hatte, sofort auf Trab zu bringen. Leider provozierte der Anruf nur eine Schimpfkanonade der Händlersgattin, die schrie, daß ihr Mann, der» Kundenficker«, mit einer» geilen, reichen, schwarzen Nutte aus der Embassy Row «abgehauen sei… (Aus Zaire, wie später in der Puerta-Vallarta-Zeitung stand.) Conklin, einem Schlaganfall nahe, rannte zum Waschbecken in der Küche, wo die Pillen gegen Streß und zu hohen Blutdruck auf dem Fenstersims standen, und drehte den Kaltwasserhahn auf. Der Hahn explodierte, knallte an die Decke, und ein kräftiger Wasserstrahl ergoß sich über Conklin vom Scheitel bis zur Sohle. Caramba! Der Schock beruhigte ihn, und dann erinnerte er sich, daß die Kabelprogramme die» Hearings «in voller Länge am Abend übertragen würden. Glücklich rief er den Klempner an, ging in die Stadt und kaufte einen neuen Fernseher. Seit jenem Morgen, wann immer ihn die Wut packte oder die Ereignisse der Welt — zumindest der Welt, die er kannte ihn verwirrten, hielt er den Kopf unter den Wasserhahn in der Küche. So auch heute. An diesem verdammten, beschissenen Morgen!
DeSole! Um 4.30 Uhr heute früh getötet, durch einen Unfall auf einer einsamen Landstraße in Maryland. Was hatte Steven DeSole, ein Mann, dessen Führerschein eindeutig vermerkte, daß er unter Nachtblindheit litt, um 4.30 Uhr früh auf einer abgelegenen Straße außerhalb von Annapolis zu suchen?
Und dann Charlie Casset, ein verdammt verärgerter Casset, der ihn um 6.00 Uhr anrief, ihn anbellte — er, Casset, der sonst so kühle Kopf! — , der ihm also sagte, daß er den NATO-Oberbefehlshaber auf einen verdammten Spieß stecken und eine Erklärung verlangen würde für die geheime Fax-Verbindung zwischen dem General in Brüssel und dem toten CIA-Mann, dem Chef für geheime Reports, der nicht Opfer eines Unfalls, sondern eines Mordes sei! Außerdem solle ein gewisser CIA-Agent a. D. mit Namen Conklin am besten auspacken und alles erzählen, was er über DeSole und Brüssel und ähnliches wisse, ansonsten wären alle Vereinbarungen, die besagten CIA-Agenten a. D. und seinen undefinierbaren Freund Jason Borowski beträfen, null und nichtig. Bis spätestens zwölf Uhr!
Und dann Ivan Jax. Der brillante schwarze Arzt aus Jamaika rief an und sagte ihm, daß er Norman Swaynes Leiche dorthin zurückbringen wolle, wo sie herkomme, weil er nicht in ein weiteres Fiasko der CIA mit hineingezogen werden wolle. Aber es war doch nicht die CIA! schrie Conklin still in sich hinein und konnte Ivan Jax nicht den wahren Grund sagen, warum er um seine Hilfe gebeten hatte. Medusa. Und Jax konnte nicht einfach die Leiche zurück nach Manassas fahren, weil die Polizei auf Bundesbeschluß — das war in diesem Fall der Beschluß eines CIA-Agenten a. D., der unerlaubt die entsprechenden Kodes verwandt hatte — und ohne Erklärung das Landgut von General Norman Swayne versiegelt hatte.