«Instruktion erhalten und weitergegeben«, war die kurze Antwort.»Ende«.
Die fragliche Spezialladung saß auf einem Sitz links hinten in der ersten Klasse. Der Sitz neben ihm war weisungsgemäß nicht besetzt. Borowski langweilte sich. Er war ungeduldig und konnte trotz seiner Erschöpfung nicht schlafen. Die beengende Bandage um seinen Hals war sehr lästig. So dachte er über die Ereignisse der vergangenen neunzehn Stunden nach. Um es milde auszudrücken, waren sie nicht so glatt verlaufen, wie Conklin sich das gedacht hatte. Das Deuxieme Bureau hatte sich sechs Stunden lang quergelegt, während zwischen Washington, Paris und am Ende auch Vienna, Virginia, hektisch hin- und her telefoniert wurde. Der Stolperstein war einfach der gewesen, daß die CIA gar nicht in der Lage war, die geheime Operation eines Jason Borowski durchzugeben, weil nur Alexander Conklin den Namen freigeben konnte. Und der hatte sich geweigert, weil er wußte, daß die Fühler des Schakals überall waren, außer vielleicht in der Küche des Tour d'Argent. Am Ende griff Alex aus Verzweiflung und weil er wußte, daß in Paris Mittagszeit, Essenszeit, war, zu einem gewöhnlichen, völlig ungesicherten Telefon und rief einige Restaurants auf der Rive Gauche an. In einem Cafe der Rue Vaugirard schließlich stöberte er tatsächlich einen alten Bekannten vom Deuxieme Bureau auf.
«Erinnerst du dich an Tinamou und an einen Amerikaner, der dir dort geholfen hat?«
«Ah, der Tinamou, der Vogel mit den versteckten Flügeln und den furchtbaren Klauen. Das war noch in der guten alten Zeit. Und den Amerikaner, der sicher auch älter geworden ist und dem wir damals den Status eines Heiligen verliehen haben, den werde ich bestimmt nie vergessen.«
«Na hoffentlich, ich brauche dich.«
«Du bist es, Alexander?«
«Ja. Und ich habe ein Problem mit dem Deuxieme.«
«Schon gelöst.«
Und es war gelöst, blieb nur noch das Wetter. Der Sturm, der zwei Nächte zuvor die Inseln über dem Winde heimgesucht hatte, war nur das Vorspiel gewesen für einen noch schlimmeren Sturm, gefolgt von sintflutartigen Wolkenbrüchen, die von Grenada herüberkamen. Auf den Inseln brach die HurrikanSaison an. Das heißt, Unwetter waren eigentlich normal. Sie brachten nur ab und zu Verzögerungen mit sich. Als die Maschine dann endlich starten sollte, stellte sich heraus, daß ein Steuerbordtriebwerk nicht richtig funktionierte. Niemand regte sich auf. Das Problem wurde erkannt, gefunden und repariert. Aber auf diese Weise vergingen weitere drei Stunden.
Nur Jasons Gedanken waren aufgewühlt, ansonsten verlief der Flug ruhig, ohne Vorkommnisse. Er dachte an das, was vor ihm lag — Paris, Argenteuil und ein Cafe mit dem provozierenden Namen Le Coeur du Soldat — Das Herz des Soldaten. Nur sein Schuldgefühl lenkte ihn manchmal davon ab, und auf dem kurzen Flug zwischen Montserrat und Martinique, als sie über Guadeloupe und Basse-Teire flogen, war es geradezu schmerzhaft, quälend. Er wußte, daß Marie und die Kinder nur ein paar tausend Meter unter ihm waren und sich auf den Rückflug nach Tranquility vorbereiteten — zum Ehemann und Vater, der nicht dasein würde. Seine kleine Tochter Alison würde natürlich noch nicht viel davon mitbekommen, aber Jamie schon. Er würde begeistert vom Angeln und Schwimmen erzählen, aber seine Augen würden immer größer und dunkler werden… Und Marie — er durfte gar nicht an sie denken! Es tat zu weh!
Sie dachte bestimmt, er würde sie betrügen, er würde weglaufen, um eine gewalttätige Konfrontation mit einem Feind aus einem längst vergangenen Leben zu suchen, einem Leben, das nicht ihr Leben war. Sie dachte wie der alte Fontaine, der versucht hatte, ihn zu überreden, seine Familie irgendwohin zu bringen, wo sie vor dem Schakal sicher sein würden. Aber keiner von ihnen verstand, worum es ging. Der alte, kranke Carlos mochte sterben, aber an seinem Totenbett würde er ein Vermächtnis hinterlassen: Sein letzter Wunsch würde sein, daß Jason Borowski starb, daß David Webb und seine Familie starben! Ich habe recht, Marie! Versuche, mich zu verstehen. Ich muß ihn finden, ich muß ihn töten! Wir können nicht den Rest unseres Lebens in einem Gefängnis verbringen!
«Monsieur Simon?«Der stämmige Franzose mit dem kurzgeschnittenen, weißen Kinnbart sprach den Namen wie» Seemohn «aus.
«Richtig«, antwortete Borowski und schüttelte ihm die Hand.
«Ich bin Bernardine, Frangois Bernardine, ein alter Kollege des heiligen Alex, unseres gemeinsamen Freundes.«
«Alex hat von Ihnen gesprochen«, sagte Jason und versuchte zu lächeln.»Nicht namentlich, natürlich.«
«Wie geht es ihm? Wir hören Geschichten. «Bernardine zuckte mit den Schultern.»Banales Geschwätz. Verwundet in
Vietnam, Alkohol, in Ungnade gefallen, als Held von der CIA zurückgeholt. So viele widersprüchliche Dinge.«
«Das meiste stimmt wohl. Er ist ein Krüppel, er ist trocken, und er ist ein Held.«
«Ich verstehe. Und es gibt noch mehr Gerüchte. Peking, Hongkong — tollkühne Geschichten zusammen mit einem Mann namens Jason Borowski.«
«Von denen habe ich auch gehört.«
«Ja, natürlich… Aber jetzt Paris. Unser Heiliger sagte, Sie brauchen eine Unterkunft und Kleider und so weiter.«
«Eine kleine französische Garderobe für verschiedene Gelegenheiten«, stimmte Jason zu.»Aber ich weiß, wo ich was kaufen kann, und ich habe genügend Geld.«
«Dann kümmern wir uns um die Unterkunft. Welches Hotel? La Tremoüle? George Cinq? Plaza?«
«Kiemer, viel kleiner und nicht so teuer. Unauffällig! Ich kenne Montmartre. Dort suche ich mir selbst etwas. Was ich brauche, das ist ein Wagen — auf einen anderen Namen, am liebsten eine Sackgasse!«
«Auf den Namen eines Toten. Ist schon erledigt. Er steht in der Kellergarage Capucines, in der Nähe von der Place Vendome. «Bernardine holte verschiedene Schlüssel aus seiner Tasche.»Ein älterer Peugeot der Klasse E. Davon gibt es Tausende in Paris.«
«Hat Alex Ihnen gesagt, daß der Name absolut sicher sein muß?«
«Das mußte er nicht erst sagen. Allerdings«, fügte Bernardine lachend hinzu,»hat Alex einmal einen Namen gewählt, damals, als er in Paris war, der die Sürete fast verrückt gemacht hat! Er hatte ihn von einem Grabstein, und der gehörte einem Mörder, den die Behörden monatelang gejagt hatten!«
«Ein guter Witz«, lachte Jason.
«Ja, von einem Grab in Rambouillet.«
Rambouillet! Der Friedhof, auf dem Alex vor dreizehn Jahren versucht hatte, ihn zu töten. Jede Spur eines Lächelns verschwand von Jasons Lippen, und er sah den Mann vom Deuxieme Bureau an.»Sie wissen, wer ich bin, nicht wahr?«fragte er leise.
«Ja«, antwortete Bernardine.»Es war nicht so schwer herauszufinden, schließlich war es Paris, wo Sie Ihren ersten europäischen Auftritt hatten, Mr. Borowski.«
«Weiß es sonst noch jemand?«
«Mon Dieu, non! Wird auch niemand erfahren. Ich muß
dazu sagen, daß ich Alexander Conklin mein Leben verdanke, unserem bescheidenen Heiligen der operations noires. Außerdem bin ich über siebzig. Da respektiert man alte Freunde…«
«D'accord. Ich glaube Ihnen. Wirklich.«
«Bien. Wie wird Alex eigentlich mit seinem Alter fertig? Er ist zwar noch einige Jahre jünger als ich…«
«Genau wie Sie. Schlecht.«
«Es gab einen englischen Dichter — einen Waliser Dichter, um genau zu sein —, der schrieb: Geh nicht ruhig in die gute Nacht. Erinnern Sie sich daran?«
«Dylan Thomas. Er war Mitte dreißig, als er starb. Ja, man muß kämpfen, darf nicht lockerlassen.«
«Ich bin dabei. «Bernardine langte wieder in die Tasche und zog eine Karte heraus.»Hier ist mein Büro — Berater, verstehen Sie — und auf der Rückseite meine Privatnummer. Ein Spezialtelefon, sozusagen einzigartig. Rufen Sie mich an, und was immer Sie brauchen, wird geliefert. Denken Sie dran, ich bin der einzige Freund, den Sie in Paris haben. Sonst kennt Sie hier niemand.«