Jason legte auf und war versucht, gleich anschließend im Pont-Royal anzurufen. Aber er war in Paris, der Stadt der Diskretion, wo Hotelangestellte über Telefon nur ungern Auskünfte erteilten, und schon gar nicht Gästen, die sie nicht kannten. Er zog sich schnell an, ging hinunter, bezahlte und trat auf die Rue Gay-Lussac hinaus. An der Ecke war ein Taxistand. Acht Minuten später sagte er in reinstem Französisch zum Portier des Pont Royaclass="underline" »Ich bin Monsieur Simon, und ich wohne hier. «Er gab seine Zimmernummer an.»Ich traf eine alte Freundin und bin heute nacht außer Haus geblieben. Wissen Sie vielleicht, ob jemand nach mir gefragt hat?«Borowski holte mehrere größere Francscheine heraus.
«Merci bien, monsieur… Ich verstehe. Ich kann den Nachtportier noch mal fragen, aber ich bin sicher, daß er mir eine Notiz hinterlassen hätte, wenn jemand persönlich nach Ihnen gefragt hätte. Allerdings ist hier tatsächlich eine Nachricht für Sie.«
«Was steht auf dem Zettel?«fragte Borowski und hielt den Atem an.
«Sie sollen Ihren Freund in Amerika anrufen. Er hat die ganze Nacht versucht, Sie zu erreichen. Ich kann das nur bestätigen, Monsieur. Der letzte Anruf liegt keine dreißig Minuten zurück.«
«Dreißig Minuten?«sagte Jason, starrte erst den Portier an und dann auf seine Uhr.»Es ist jetzt fünf Uhr früh drüben… die ganze Nacht?«Der Angestellte nickte. Borowski ging zum Fahrstuhl.
«Alex, was ist los? Sie haben mir gesagt, daß du…«
«Bist du im Hotel?«unterbrach Conklin schnell.
«Ja.«
«Geh in eine Telefonzelle und rufe mich wieder an. Beeil dich.«
Wieder der klappernde, schwerfällige Fahrstuhl, das verblichene Dekor der Lobby, in der eine Handvoll parlierender Gäste herumstand, auf halbem Weg in die Bar, wo sie ihren morgendlichen Aperitif zu sich nehmen würden. Und wieder die strahlende Sommersonne, die stinkende Luft und der stockende Verkehr. Wo war ein Telefon? Er lief die Straße Richtung Seine hinunter. Wo war ein Telefon? Dort! Auf der anderen Straßenseite, ein rotgiebeliges Häuschen, mit Plakaten zugeklebt.
Er stürzte sich zwischen die Autos und kleinen Transporter, achtete nicht auf die wütend hupenden Fahrer und erreichte die Zelle. Er warf eine Münze ein, wartete, erklärte der Telefonistin, daß er nicht Österreich anrufen wolle und daß sie doch deshalb bitte seine AT&T-Kreditkartennummer akzeptieren könne… Sie stellte das Gespräch nach Vienna, Virginia, durch.
«Warum, zum Teufel, konnte ich dich nicht vom Hotel aus anrufen?«Borowski war genervt.»Ich hab dich doch heute nacht auch von dort angerufen.«
«Das war heute nacht.«
«Irgendwelche Nachrichten von Mo?«
«Noch nicht, aber sie haben einen Fehler gemacht. Vielleicht haben wir damit eine Spur zu dem Armeearzt.«
«Brecht ihm den Hals.«
«Mit Vergnügen. Aber vorher nehme ich meinen Fuß ab und hau ihm damit so lange in die Fresse, bis er sich kooperativ zeigt. Wenn die Spur was taugt.«
«Aber deswegen hast du mich doch nicht die ganze Nacht angerufen, oder?«
«Nein. Ich war gestern fünf Stunden bei Peter Holland. Ich bin zu ihm, kurz nachdem ich mit dir gesprochen hatte. Und seine Reaktion war genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte, mit ein paar großzügigen Breitseiten als Dreingabe.«
«Medusa?«
«Ja. Er besteht darauf, daß du sofort zurückkommst. Du bist der einzige, der wirklich etwas weiß. Es ist ein Befehl.«
«Scheiße! Er kann überhaupt nichts von mir verlangen und mir noch weniger Befehle erteilen.«
«Er kann dich austrocknen, und ich kann nichts machen.«
«Bernardine hat seine Hilfe angeboten. Was immer Sie brauchen, das waren seine Worte.«
«Bernardine hat begrenzte Möglichkeiten. Wie ich auch. Er kann Leute einspannen, die ihm Dank schuldig sind, aber ohne Zugang zur ganzen Maschinerie…«
«Hast du Holland gesagt, daß ich alles, was ich weiß, aufschreiben werde, jede Antwort auf jede Frage, die ich gestellt habe?«
«Wirst du?«
«Ja, verdammt.«
«Er nimmt es dir nicht ab. Er will dich befragen. Papier kann er nicht befragen.«
«Ich bin dem Schakal zu dicht auf der Spur! Ich werde es nicht tun. Warum kann er das nicht einsehen?!«»Ich glaube, er wollte es einsehen«, sagte Conklin.»Er weiß schließlich, was du durchgemacht hast und was du jetzt durchmachst. Aber nach sieben hat er doch dichtgemacht.«
«Nach sieben? Warum das?«
«Armbruster wurde vor seinem Haus erschossen. Angeblich ein Raubüberfall, was natürlich nicht stimmt.«
«Oh, mein Gott!«
«Es gibt noch ein paar Dinge, die du wissen mußt. Erstens geben wir den Selbstmord von Swayne bekannt.«
«Um Himmels willen, warum?«
«Um den Mörder glauben zu lassen, daß er aus dem Schneider ist, und, noch wichtiger, um zu sehen, wer sich in der nächsten Woche oder so blicken läßt.«
«Bei der Beerdigung?«
«Nein, das ist eine geschlossene Familienfeier, keine Gäste, keine formelle Angelegenheit.«
«Wer soll sich dann wo blicken lassen?«
«Auf dem Grundstück, wie auch immer. Wir haben Swaynes Anwalt kontaktiert, sehr offiziell natürlich, und er hat bestätigt, daß Swayne sein ganzes Grundstück einer Stiftung vermacht hat.«
«Welcher?«fragte Borowski.
«Nie gehört. Vor ein paar Jahren von wohlhabenden Freunden des berühmten wohlhabenden Generals ins Leben gerufen. So rührend wie nur möglich. Sie läuft unter dem Namen Seniorenheim für Soldaten, Seeleute und Matrosen und hat sogar einen Vorstand.«
«Medusa-Leute.«
«Oder ihre Vertreter. Wir werden sehen.«
«Alex, was ist mit den Namen, die ich dir gegeben habe?
Die sechs oder sieben Namen, die ich von Flannagan hatte. Und die Liste mit den Nummernschildern von den Meetings?«
«Hübsch, sehr hübsch«, sagte Conklin rätselhaft.
«Hübsch?«
«Die Namen. Die Leute sind der Bodensatz der Schickimicki-Gesellschaft, keine Verbindung zur Oberschicht von Georgetown. Aus dem National Enquirer, nicht der Washington Post.«
«Aber die Nummernschilder, die Meetings! Das muß doch ein Schlüssel sein.«
«Noch hübscher«, bemerkte Alex.»Nichts als Scheiße… Jede dieser Nummern ist auf eine Autofirma eingetragen. Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, wie authentisch die Namen wären, selbst wenn wir sie hätten.«
«Und der Friedhof da draußen?«
«Wo ist er? Wie groß, wie klein ist er? Es sind zwölf Hektar… «
«Schaut ihn euch doch mal an…«
«Und dann geben wir bekannt, was wir wissen?«
«Du hast recht. Du machst das schon richtig… Alex, sag Holland, daß du mich nicht erreicht hast.«
«Machst du Witze?«
«Nein, wirklich. Gib Holland das Hotel und den Namen und sage ihm, er soll selbst anrufen oder jemanden von der Botschaft schicken, um nachzusehen. Der Portier wird schwören, daß ich gestern gebucht habe und daß er mich seitdem nicht mehr gesehen hat. Kauf mir ein paar Tage, bitte.«
«Holland kann trotzdem alle Drähte ziehen, und wahrscheinlich wird er das auch tun.«
«Wird er nicht, wenn er glaubt, daß ich zurückkomme, sobald du mich gefunden hast. Ich möchte, daß er sich um Mo
kümmert. Und du, halte meinen Namen von Paris fern. Im Guten oder Schlechten, kein Webb, kein Simon, kein Borowski!«
«Ich werd's versuchen.«
«War sonst noch was? Ich hab viel zu tun.«
«Ja. Casset fliegt heute nach Brüssel. Er wird Teagarten festnageln. Auf den brauchen wir keine Rücksicht zu nehmen, und dich berührt das nicht.«»In Ordnung.«
In einer Nebenstraße in Anderlecht, vier Kilometer südlich von Brüssel, parkte eine Limousine mit der Standarte eines Vier-Sterne-Generals vor einem Straßencafe. General James Teagarten, NATO-Oberbefehlshaber, stieg schneidig aus dem Wagen in das strahlende Licht der Nachmittagssonne. An seiner Brust glänzten die Orden in vier Reihen. Er drehte sich um und bot seine Hand einem umwerfenden weiblichen Major, der sich lächelnd aus dem Wagen helfen ließ. Galant, aber mit militärischer Autorität ließ Teagarten nun ihre Hand los und führte sie zu ein paar Tischen mit Sonnenschirmen, die im Garten standen. Bis auf einen waren alle besetzt. Das Summen der Gespräche, das Klirren der Weingläser, das Klappern des Bestecks auf den Tellern brach plötzlich ab. Die Blicke richteten sich auf den General, der wohlwollend lächelte und seine Dame an den leeren Tisch führte, auf dem eine kleine Karte stand: