ihn tun lassen, was er tun mußte? Nein. Sie flog nicht nach Paris, um sein Leben zu retten dazu hatte sie zuviel Vertrauen in Jason Borowski. Sie kam, um seinen Geist zu retten. Ich werde damit fertig, Marie. Ich kann es und werde es!
Bernardine. Er könnte es machen. Das Deuxieme könnte sie in Orly oder de Gaulle abfangen. Sie abfangen und unter Bewachung in ein Hotel stecken und behaupten, niemand wisse, wo er sei. Jason lief von der Pont de Solferino zum Quai des Tuileries und zum ersten Telefon, das er finden konnte.
«Können Sie das machen?«fragte Borowski.»Sie hat nur einen gültigen Paß, und der ist amerikanisch, nicht kanadisch.«
«Ich kann es selbst versuchen«, antwortete Bernardine,»aber nicht mit Hilfe vom Deuxieme. Ich weiß nicht, wieviel Alex erzählt hat, aber im Augenblick häng ich ziemlich in der Luft, und ich glaube, daß sie meinen Schreibtisch zum Fenster hinausgeworfen haben.«
«Scheiße!«
«Merde hoch drei, man ami. Der Quai d'Orsay will mir die Unterhosen verbrennen, ohne sie mir auszuziehen, und hätte ich nicht verschiedene Informationen über verschiedene Mitglieder der Nationalversammlung, hätten sie ohne Zweifel schon längst die Guillotine wieder ausgepackt — persönlich für mich.«
«Läßt sich bei den Paßkontrollen nicht etwas Geld verteilen?«
«Es ist besser, wenn ich in meiner früheren offiziellen Eigenschaft auftrete, in der Annahme, daß das Deuxieme nicht so schnell seine Verlegenheit hinausposaunt hat. Wie ist ihr voller Name?«
«Marie Elise St. Jacques-Webb…«
«Ach ja, jetzt erinnere ich mich, zumindest an St. Jacques«, unterbrach Bernardine.»Die berühmte kanadische Betriebswirtin. Die Zeitungen waren voll mit ihren Fotos. La belle mademoiselle.«
«Sie hätte auf diese Reklame verzichten können.«
«Das glaube ich.«
«Hat Alex etwas über Mo Panov gesagt?«
«Den alten Psychiater?«
«Ja.«
«Ich glaube nein.«
«Verdammt!«
«Ich würde vorschlagen, daß Sie jetzt erst mal an sich denken.«
«Ich verstehe.«
«Werden Sie den Wagen abholen?«
«Sollte ich?«
«Offen gesagt, ich würde es nicht tun. Er ist zwar nicht registriert, aber es gibt immer ein Risiko.«
«Das hab ich mir auch gedacht. Wann kann ich Sie anrufen?«
«Ich brauche vier, vielleicht fünf Stunden Zeit, bis ich wieder hier bin. Wie Ihr Heiliger erklärt hat, kann Ihre Frau von verschiedenen Flughäfen aus geflogen sein. All die Passagierlisten zu bekommen, das dauert seine Zeit.«
«Konzentriere Sie sich auf die Flüge, die am frühen Morgen ankommen. Einen Paß kann sie nicht fälschen, sie wüßte nicht, wie man das macht.«
«Alex sagt, man sollte sie nicht unterschätzen. Er sprach sogar französisch und sagte, sie sei formidable.«
«Sie kann einen schwer auf dem falschen Fuß erwischen, das sage ich Ihnen.«
«Qu 'est-ce que cest?«
«Sie ist ein Original, lassen wir's dabei.«
«Und Sie?«
«Ich nehme die Metro. Es wird dunkel. Ich rufe Sie nach Mitternacht wieder an.«
«Bonne chance.«
«Merci.«
Borowski verließ das Telefonhäuschen und wußte genau, was er als nächstes tun wollte, als er zum Quai hinunterhinkte. Die Bandage um sein Knie zwang ihn zu einer Art behindertem Gang. Es gab eine Metrostation bei den Tuilerien, wo er den Zug nach Havre-Caumartin nehmen und dann in den Vorortzug über St.-Denis-Basilique nach Argenteuil umsteigen würde. Argenteuil, eine Stadt aus finsteren Zeiten, von Karl dem Großen gegründet zu Ehren eines Nonnenklosters vor vierzehn Jahrhunderten, war jetzt, fünfzehn Jahrhunderte später, eine Stadt, die das Kommunikationszentrum eines Killers beherbergte, der so brutal war wie irgendein Mann, der wie zu den barbarischen Zeiten Karls des Großen mit einem breiten Schwert über die Schlachtfelder zog, wobei damals wie heute die Brutalität unter dem Deckmantel von Religiosität gefeiert und geheiligt wurde. Das Le Coeur du Soldat lag an keinem Boulevard oder einer bekannten Avenue, sondern in einer Sackgasse gegenüber einer seit langem geschlossenen Fabrik, deren abgeblätterte Schilder auf eine einst blühende Metallschmelze in einem der häßlichsten Stadtteile hinwiesen. Das Le Coeur du Soldat stand in keinem Telefonbuch. Der unschuldig fragende Fremde fand aber schließlich sein Ziel. Je verfallener die Gebäude und je übler die Straßen, um so genauer wurden die Angaben.
Borowski stand in der dunklen, engen Gasse und lehnte sich gegen die alte, rohe Backsteinmauer gegenüber vom Eingang eines Bistros. Über der dicken, massiven Tür befand sich ein Schild mit eckigen Blockbuchstaben, von denen einige fehlten: Le Coeur du Soldat. Wenn von Zeit zu Zeit die Tür aufging, schallte martialische Marschmusik auf die Gasse hinaus. Die Gäste waren keine Kandidaten für die feine Gesellschaft. Meine äußere Erscheinung ist perfekt, dachte Jason, als er ein Streichholz an der Mauer anriß, sich eine dünne schwarze Zigarre anzündete und über die Straße zum Eingang humpelte.
Von der Sprache und der ohrenbetäubenden Musik abgesehen, könnte es sich auch um eine Hafenkneipe in Palermo handeln, dachte Borowski, als er durch das Gewühl ins Innere der Bar vordrang. Seine blinzelnden Augen schweiften umher und versuchten, alles einzufangen, was er sah. Wann war er bloß auf Sizilien, in Palermo gewesen? Ein untersetzter Mann im Hemd eines Panzerfahrers stieg von seinem Hocker, den Jason, ohne zu zögern, einnahm. Eine Eisenfaust packte ihn bei der Schulter. Borowski schlug mit der Rechten aufwärts, packte das Gelenk und drehte es im Uhrzeigersinn, wobei er den Barhocker zur Seite stieß und aufstand.
«Was ist dein Problem?«fragte er ruhig auf französisch und laut genug, um gehört zu werden.»Das ist mein Platz, du Schwein! Ich muß nur pissen!«»Wenn du fertig bist, dann muß ich vielleicht wieder gehen«, sagte Jason, und sein Blick bohrte sich in den Mann, wobei die Stärke seines Griffs unmißverständlich war — noch erhöht durch den Druck des Daumens auf einen Nerv, was nichts mit Stärke zu tun hatte.
«Oh, du bist ein verdammter Krüppel…!«schrie der Mann und versuchte, nicht mit der Wimper zu zucken.»Mit Invaliden leg ich mich nicht an.«
«Ich sage dir was«, sagte Borowski und lockerte seinen Griff.»Wenn du zurückkommst, wechseln wir uns ab, und ich bezahl dir ein Glas, sooft du mich mit meinem blöden Bein sitzen läßt. In Ordnung?«
Der Mann begann zu grinsen.»He, du bist in Ordnung.«
«Ich bin nicht unbedingt in Ordnung, aber ich will bestimmt keinen Krach. Scheiße, du würdest mich in den Boden hämmern.«
Borowski ließ den Arm des muskulösen Mannes los.
«Da bin ich gar nicht so sicher«, sagte der Mann und hielt lachend sein Handgelenk.»Setz dich, setz dich! Ich geh pissen, und dann geb ich erst mal einen aus. Du siehst nicht aus, als hättest du allzu viele Francs in der Tasche.«
«Na ja, wie man sagt, der Schein kann trügen«, antwortete Jason und setzte sich.»Ich habe auch andere, bessere Klamotten. Ein alter Freund wollte sich mit mir hier treffen und meinte, ich sollte was Schlichtes tragen… Hab grade ganz gutes Geld in Afrika gemacht. Du weißt schon, die Wilden drillen…«
Die Zymbeln rasselten in der metallischen, betäubenden Militärmusik, als sich die Augen des Panzerhemdes weiteten.»Afrika? Wußte ich's doch! Der Griff — LPN.«
Die Erinnerungsfetzen des Chamäleons verdichteten sich zu einem Kode: LPN — Legion Patria Nostra. Frankreichs Fremdenlegion, die Söldnertruppen der Welt. Es war nicht gerade das, worauf er trainiert war, aber es würde ausreichen.»Lieber Gott, du auch?«fragte er rauh, aber unschuldig.