«Nicht gut. Kann ich wenigstens mal zur Toilette gehen? Es ist dringend.«
«Aber bitte. Da hängen sie keine Telefone auf.«»Wirklich? Und warum nicht? Lastwagenfahrer verdienen gutes Geld. Die wollen doch keine Münzfernsprecher knacken.«
«Junge, du kommst wohl von hinterm Mond. Auf den Autobahnen passiert einiges — Sachen werden umgeleitet oder geklaut, kapiert? Wenn Leute Telefongespräche führen, gibt es andere, die wissen wollen, wer sie macht.«»Wirklich…?«
«Oh, Himmel. Beeil dich. Wir haben nur Zeit für ein paar Bissen. Ich bestell schon mal. Er wird die Siebzig hochdonnern, nicht die Siebenundneunzig. Kann er sich nicht vorstellen.«
«Vorstellen, was? Was ist Siebzig und Siebenundneunzig?«
«Straßen, um Himmels willen! Es gibt Straßen und Straßen. Du bist ein blöder Medizinmann. Geh pinkeln. Später könnten wir dann vielleicht in einem Motel halten, um unsere geschäftliche Diskussion weiterzuführen können, mit 'nem ersten Vorschuß für dich.«
«Wie bitte?«
«Ich bin erste Wahl. Oder ist das gegen deine Religion?«
«Guter Gott, nein. Ich bin ganz dafür.«
«Gut. Beeil dich!«
Panov ging also zur Toilette, und die Frau hatte tatsächlich recht. Es gab keine Telefone, und das Fenster nach draußen war zu klein, um durchzukriechen… Aber er hatte Geld, viel Geld und fünf Führerscheine aus fünf verschiedenen Staaten. Laut Jason Borowskis Lexikon waren das Waffen, insbesondere das Geld. Mo ging zuerst zum Urinbecken, was längst fällig war, und dann zur Tür. Er zog sie ein Stückchen auf, um die Blonde zu beobachten. Mit einem Schlag wurde die Tür gewaltsam aufgestoßen, und Panov krachte gegen die Wand.
«Oh, tut mir leid, Kumpel!«rief ein kleiner, untersetzter Mann, und packte Mo an den Schultern.»Ist alles okay, Junge?«
«Oh, ja, gewiß doch. Natürlich.«
«Gar nicht. Du hast Nasenbluten! Komm her zu den Handtüchern«, befahl der Lkw-Fahrer mit dem T-Shirt, an dem ein Ärmel aufgekrempelt war für eine Packung Zigaretten.»Komm, halt den Kopf nach hinten, und ich geb dir 'n bißchen kaltes Wasser auf den Rüssel… Ganz locker, lehn dich an die Wand. So, so isses besser. Das geht gleich vorüber. «Der kleine Mann langte hoch und preßte vorsichtig die feuchten
Papiertücher auf Panovs Nase, während er ihn im Nacken stützte. Dauernd prüfte er, ob noch Blut floß.»Schon gut, Kumpel. Fast vorbei. Mußt nur durch den Mund atmen, tief einatmen und den Kopf schräg halten, verstehst du mich?«
«Danke«, sagte Panov. Er hielt das Tuch fest und war erstaunt, daß die Blutung so schnell gestoppt werden konnte.»Vielen Dank.«
«Nichts zu danken«, sagte der Fahrer und erleichterte sich.»Fühlst du dich jetzt besser?«
«Ja, doch. «Und entgegen dem Rat seiner verstorbenen Mutter entschloß sich Mo, die Gelegenheit beim Schöpf zu ergreifen und die Aufrichtigkeit beiseite zu lassen.»Aber ich müßte erklären, daß es mein Fehler war, nicht Ihrer.«
«Was?«fragte der Fahrer und wusch sich die Hände.
«Ehrlich gesagt, ich habe mich hinter der Tür versteckt und eine Frau beobachtet, die ich loswerden will — wenn Sie das verstehen. «Panovs persönlicher Arzt lachte, als er sich die Hände trocknete.»Ist nicht schwer zu verstehen. Das ist die Geschichte der Menschheit, Kumpel. Sie bekommen dich in ihre Klauen, und sie jammern, und du weißt nicht, was du machen sollst, sie heulen, und du wirfst dich ihnen zu Füßen. Also ich, ich hab's da besser, ich habe eine richtige Europäerin geheiratet, verstehst du? Sie spricht nicht so gut englisch, aber sie ist dankbar… Großartig zu den Kindern, großartig zu mir, und ich bin immer noch aufgeregt, wenn ich sie sehe. Sie ist nicht wie eine dieser verdammten Prinzessinnen hier.«
«Das ist eine sehr interessante, sogar tiefsinnige Feststellung«, sagte der Psychiater.
«Was?«
«Nichts. Ich möchte einfach hier raus, ohne daß sie mich sieht. Ich habe etwas Geld…«
«Behalt das Geld, wer ist es?«Beide Männer gingen zur Tür, und Panov öffnete sie einen Spalt.»Es ist die da drüben, die Blonde, die immer hierher und zum Eingang schaut. Sie ist ziemlich aufgeregt…«
«Heilige Maria«, unterbrach der kleine Lkw-Fahrer.»Das ist Bronks Frau! Die ist vom Kurs abgekommen.«
«Vom Kurs? Bronk?«
«Er fährt auf der östlichen Linie, nicht hier. Was, zum Teufel, macht sie hier?«
«Ich glaube, sie versucht, ihm aus dem Weg zu gehen.«
«Ja«, meinte Mos Kumpel.»Ich hab schon gehört, daß sie sich rumtreibt und nicht mal Geld dafür verlangt.«
«Sie kennen sie?«
«Teufel, ja. Ich bin öfters bei ihren Barbecues gewesen. Sie macht eine verteufelt gute Soße.«
«Ich muß hier raus. Wie gesagt, ich hab ein bißchen Geld…«
«Schon gut. Das können wir später diskutieren.«
«Wo?«
«In meinem Lkw. Der rote mit den weißen Streifen, wie unsere Flagge. Steht vor dem Gebäude rechts. Geh um das Führerhaus herum und halt dich versteckt.«
«Sie wird mich herauskommen sehen.«
«Nein, wird sie nicht. Ich geh zu ihr hin und — welch eine Überraschung! Ich werde ihr das Blaue vom Himmel heruntererzählen und daß Bronk Richtung Süden nach Carolinas fährt — zumindest hab ich das gehört.«
«Wie kann ich das je wiedergutmachen?«
«Wahrscheinlich mit etwas von dem Geld, von dem du dauernd quatschst. Nicht zuviel. Der Bronk ist ein Tier, und ich bin wiedergeborener Christ.«
Der kleine Fahrer riß die Tür auf, wobei er Panov beinahe noch einmal an die Wand stieß. Mo sah zu, wie sich sein Mitverschwörer der Sitzecke näherte, seine Arme ausbreitete und die Platinblonde als alte Bekannte begrüßte und schnell zu sprechen begann. Die Augen der Frau waren abgelenkt, sie war hypnotisiert. Panov sauste aus der Toilette, zum Eingang hinaus und hinter den rot-weiß-gestreiften Lkw. Außer Atem versteckte er sich hinter dem Führerhaus und wartete.
Plötzlich kam Bronks Frau aus dem Speiseraum gerannt, mit fliegenden blonden Haaren, und rannte zu ihrem Fahrzeug. Sie stieg ein, in Sekundenschnelle heulte der Motor auf, und sie fuhr weiter in Richtung Norden, wie Mo erstaunt bemerkte.
«Na, wie geht's, Kumpel? Wo steckst du denn?«rief der kleine Mann, der nicht nur in kürzester Zeit seinem Nasenbluten Einhalt geboten hatte, sondern ihn jetzt auch vor einer verrückten Frau mit Paranoia, die gleichermaßen auf Schuldbewußtsein und Rache basierte, gerettet hatte.
«Hier bin ich!«
Fünfunddreißig Minuten später erreichten sie die Vororte einer Stadt, und der Lkw-Fahrer hielt vor einer Reihe von Geschäften am Rande der Autobahn.»Hier gibt’s sicher ein Telefon, Kumpel. Viel Glück.«
«Sind Sie sicher?«fragte Mo.»Wegen des Geldes, meine ich.«
«Klar, ist schon gut«, antwortete der kleine Mann.»Zweihundert Dollar sind prima — die hab ich vielleicht sogar verdient. Mehr verdirbt den Charakter. Mir ist schon das Fünfzigfache angeboten worden, um Sachen zu transportieren, die ich nicht transportieren wollte, und was habe ich wohl gesagt?«
«Was?«
«Ich hab gesagt, sie sollten in den Wind pissen mit ihrem Gift.«»Sie sind ein guter Mensch«, sagte Panov und kletterte aus dem Wagen.
«Ich muß ein paar Dinge wiedergutmachen. «Die Wagentür knallte zu, und der Truck fuhr los, als Mo sich umdrehte und nach einem Telefon Ausschau hielt.
«Wo steckst du?«schrie Alexander Conklin in Virginia.
«Ich weiß nicht!«antwortete Panov.»Wenn ich mein Patient wäre, würde ich jetzt umständlich erklären, daß es die Fortsetzung einer Freudschen Traumfolge sein müsse, weil so was in der Realität nie passiert. Sie haben mich hochgeschossen, Alex!«
«Bleib ruhig. Wir haben das vermutet. Wir müssen wissen, wo du bist. Sei dir im klaren, daß andere auch nach dir suchen.«