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«Hassan. «Sie wusste, dass sie ihn in diesem Augenblick nicht berühren oder auch nur einen Schritt näher auf ihn zutreten durfte.»Du bist unser Führer. Darüber entscheidest einzig und allein du.«

Er sah sich um, als erwache er gerade aus einer Trance.»Unsere Nachbarn werden den Schussknall hoffentlich für eine Fehlzündung halten. «Er starrte sie an.»Warum warst du mit ihm hier draußen?«

«Um zu versuchen, ihn von dem Weg abzubringen, den er gewählt hatte«, sagte Sina vorsichtig.»Er ist seltsam verändert, seit ich ihm im Flugzeug den Bart abgenommen habe. Er hat Annäherungsversuche gemacht.«

Arsenows Augen blitzten erneut.»Und wie hast du darauf reagiert?«

«Wie wohl, Hassan?«Ihre Stimme klang so scharf und empört wie seine.»Soll das etwa heißen, dass du mir nicht traust?«

«Ich habe deine Hand auf seinem Arm gesehen, habe deine Finger…«Er konnte nicht weiter sprechen.

«Hassan, sieh mich an. «Sie streckte eine Hand aus.»Bitte sieh mich an.«

Als er sich ihr langsam und widerstrebend zuwandte, empfand sie freudige Erregung. Sie hatte ihn in der Hand; trotz ihres Fehlers von vorhin hatte sie ihn weiterhin fest in der Hand.

Mit einem unhörbaren Seufzer der Erleichterung fuhr sie fort:»Die Situation hat gewisses Feingefühl erfordert. Das verstehst du bestimmt. Hätte ich ihn ohne weiteres abgewiesen, wäre ich kalt zu ihm gewesen, hätte ich ihn verärgert. Ich war in Sorge, seine Verärgerung würde seinen Wert für uns mindern. «Ihr Blick ließ ihn nicht mehr los.»Hassan, ich habe daran gedacht, wozu wie hier sind. Nur daran denke ich gegenwärtig, und das solltest du auch.«

Er stand lange Augenblicke unbeweglich und nahm ihre Worte in sich auf. Das Brausen und Zischen der Wogen, die sich tief unter ihnen an den Felsen brachen, klang unnatürlich laut. Dann nickte Arsenow plötzlich, und der Vorfall war erledigt. Das war seine Art.

«Wir müssen nur noch Magomet entsorgen«, stellte er fest.

«Den wickeln wir in eine Wolldecke und nehmen ihn zu dem Treff mit. Die Besatzung des Fischerboots kann ihn auf hoher See über Bord werfen.«

Arsenow lachte.»Sina, du bist die tüchtigste Frau, die ich kenne.«

Als Bourne aufwachte, fand er sich auf einer Art Zahnarztstuhl wieder. Er sah sich in dem Raum mit den schwarzen Betonwänden um, sah den großen Abfluss in der Mitte des weiß gefliesten Bodens, den aufgerollt an der Wand hängenden Wasserschlauch und das neben dem Stuhl stehende Wägelchen mit mehreren Etagen, auf denen blitzende Instrumente aus Edelstahl aufgereiht waren, die offenbar alle dazu dienten, Menschen schreckliche Schmerzen zuzufügen. Er versuchte, Handgelenke und Fußknöchel zu bewegen, aber die breiten Ledergurte waren, das sah er jetzt, mit denselben Schnallen gesichert wie Zwangsjacken.

«Spar dir die Mühe«, sagte Annaka, die hinter dem Stuhl hervortrat. Bourne starrte sie sekundenlang an, als habe er Mühe, sie deutlich zu erkennen. Zu einer Hose aus weißem Nappaleder trug sie eine ärmellose schwarze Seidenbluse mit tiefem Ausschnitt — eine Aufmachung, in der sie sich nie gezeigt hätte, als sie noch die Rolle der unschuldigen Konzertpianistin und liebenden Tochter gespielt hatte. Er verwünschte sich, weil er sich von ihrer anfänglichen Antipathie gegen ihn hatte täuschen lassen. Darauf hätte er nicht reinfallen dürfen. Sie war zu hilfsbereit gewesen und hatte sich allzu gut in Molnars Gebäude ausgekannt. Aber daran ließ sich nachträglich nichts mehr ändern, deshalb schluckte er seine Enttäuschung hinunter und konzentrierte sich auf seine verzweifelte Lage.

«Was für eine wundervolle Schauspielerin du doch bist!«, sagte er.

Ein langsames Lächeln machte ihre Lippen breiter, und als sie sich leicht teilten, konnte er ihre weißen, ebenmäßigen Zähne sehen.»Nicht nur dir, sondern auch Chan gegenüber. «Sie zog den einzigen Stuhl in dem Raum heran und setzte sich dicht neben Bourne.»Weißt du, ich kenne ihn gut, deinen Sohn. O ja, ich weiß, Jason. Ich weiß mehr, als du denkst, viel mehr als du selbst. «Sie lachte leise: ein melodischer, glockenreiner Laut, aus dem reines Entzücken sprach, während sie Bournes Gesichtsausdruck in sich aufnahm.»Chan hat lange nicht gewusst, ob du lebst oder tot bist. Er hat mehrmals versucht, dich aufzuspüren — immer vergeblich, weil deine CIA dich hervorragend versteckt hatte —, bis Stepan ihm geholfen hat. Aber schon bevor er wusste, dass du tatsächlich noch lebst, hat er alle seine Mußestunden damit verbracht, sich raffinierte Methoden auszumalen, wie er sich an dir rächen würde. «Sie nickte.»Ja, sein Hass auf dich hat ihn völlig beherrscht, Jason. «Sie stützte ihre Ellbogen auf die Knie und beugte sich zu ihm hinüber.»Wie fühlst du dich, wenn du das hörst?«

«Oh, ich bewundere deine schauspielerischen Fähigkeiten. «Trotz der starken Gefühle, die sie bei ihm provoziert hatte, war er entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen.

Annaka zog einen Schmollmund.»Ich bin eine Frau mit vielen Talenten.«

«Und anscheinend mit vielen Loyalitäten. «Er schüttelte den Kopf.»Bedeutet dir die Tatsache, dass wir uns gegenseitig das Leben gerettet haben, wirklich nichts?«

Sie setzte sich wieder auf, wirkte plötzlich energisch, fast geschäftsmäßig.»Zumindest darin können du und ich übereinstimmen. Oft sind Leben und Tod die einzigen Dinge, auf die’s ankommt.«

«Dann befreie mich«, sagte er.

«Klar, weil ich mich Hals über Kopf in dich verliebt habe, Jason. «Sie lachte.»So funktioniert die Sache im richtigen Leben leider nicht. Das Leben habe ich dir aus einem einzigen Grund gerettet: Stepan.«

Er runzelte die Stirn, während er konzentriert nachdachte.»Warum tust du das?«

«Warum nicht? Ich kenne Stepan schon seit vielen Jahren. Eine Zeit lang war er der einzige Freund, den meine Mutter hatte.«

Das überraschte Bourne.»Spalko war mit deiner Mutter befreundet?«

Annaka nickte. Da er nun gefesselt war und keine Gefahr für sie darstellte, wollte sie anscheinend mit ihm reden. Das machte Bourne zu Recht misstrauisch.

«Er hat sie kennen gelernt, nachdem mein Vater sie weggeschickt hatte«, fuhr Annaka fort.

«Wohin weggeschickt?«Bourne war wider Willen fasziniert. Sie verstand es wirklich, Spannung aufzubauen.

«In eine Nervenheilanstalt. «Annakas Blick wurde dunkel und ließ kurz eine Spur von echten Gefühlen aufblitzen.»Er hat sie einweisen lassen. Das war nicht schwierig; sie war körperlich leidend, nie imstande, sich gegen ihn zu wehren. Damals… ja, damals war so was noch möglich.«

«Weshalb hätte er das tun sollen? Ich glaube dir nicht«, sagte Bourne ausdruckslos.

«Mir ist’s egal, ob du mir glaubst oder nicht. «Sie musterte ihn sekundenlang mit dem beunruhigenden Blick eines Reptils. Dann sprach sie weiter, vielleicht weil ihr das ein Bedürfnis war.»Sie war ihm lästig geworden. Seine Geliebte hat es von ihm verlangt; in dieser Beziehung war er abscheulich schwach. «Der Ausbruch nackten Hasses hatte ihr Gesicht in eine hässliche Maske verwandelt, und Bourne begriff, dass sie endlich die Wahrheit über ihre Vergangenheit preisgegeben hatte.»Er hat niemals erfahren, dass

ich die Wahrheit entdeckt hatte, und ich habe mir nie etwas anmerken lassen. Niemals.« Sie warf den Kopf in den Nacken.»Jedenfalls ist Stepan als Besucher in die Heilanstalt gekommen. Damals hat er seinen Bruder besucht. den Bruder, der versucht hatte, ihn umzubringen.«

Bourne starrte sie sprachlos an. Er war sich bewusst, dass er keine Ahnung hatte, ob sie log oder die Wahrheit sagte. Zumindest in einer Beziehung hatte er sie richtig beurteilt- sie führte tatsächlich Krieg. Die Rollen, die sie so meisterhaft gespielt hatte, waren ihre Offensive in feindliches Gebiet. Er begegnete Annakas unversöhnlichem Blick und erkannte, dass die Art und Weise, wie sie alle, die in ihren Einflussbereich gelangten, mutwillig manipulierte, etwas Monströses hatte.

Annaka beugte sich zu ihm hinüber und nahm sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger.»Du bist Stepan noch nie begegnet, stimmt’s? Er hat unzählige plastische Operationen am Hals und der rechten Gesichtshälfte hinter sich. Den Leuten erzählt er alle möglichen Geschichten, aber Tatsache ist, dass sein Bruder ihn mit Benzin übergossen und dann ein Feuerzeug an sein Gesicht gehalten hat.«