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Bourne ließ sich in das runde Loch hinunter.»Du wartest zehn Sekunden, dann kommst du nach«, sagte er noch, bevor er verschwand.

Annaka war in Hochstimmung. Als sie in Spalkos gepanzerter Limousine zum Flughafen rasten, wusste sie, dass nichts und niemand sie jetzt noch aufhalten konnte. Ihr Versuch, sich in letzter Minute bei Ethan Hearn rückzuversichern, war also doch überflüssig gewesen, aber sie bereute diesen Annäherungsversuch nicht. Es war immer besser, übervorsichtig zu sein, und als sie beschlossen hatte, sich Hearns Unterstützung zu sichern, war Spalkos Schicksal noch in der Schwebe gewesen. Als sie jetzt zu ihm hinübersah, wusste sie, dass sie nie an ihm hätte zweifeln dürfen. Er besaß den Mut, die Fähigkeiten und die weltweiten Verbindungen, um alles verwirklichen zu können — sogar diesen kühnen Handstreich, der ihm ungeheure Macht sichern würde. Sie musste sich eingestehen, dass sie skeptisch gewesen war, als er ihr erstmals erzählt hatte, was er plante, und sie war skeptisch geblieben, bis ihnen vorhin mühelos die Flucht durch einen alten Luftschutztunnel gelungen war, den Spalko entdeckt hatte, als er das Gebäude gekauft hatte. Bei der Renovierung hatte er jegliche Spur des Fluchttunnels aus den Bauplänen getilgt, sodass er bis zum heutigen Tag, an dem er ihn ihr gezeigt hatte, sein persönliches Geheimnis geblieben war.

Am Tunnelausgang hatten Limousine und Fahrer im rötlichen Abendlicht auf sie gewartet, und jetzt waren sie in schnellem Tempo auf der Stadtautobahn zum Flughafen Ferihegy unterwegs. Annaka rückte etwas näher an Stepan heran, und als er ihr sein charismatisches Gesicht zuwandte, nahm sie kurz seine Hand in ihre. Die blutige Fleischerschürze und die Latexhandschuhe hatte er irgendwo im Tunnel abgestreift. Er trug Jeans, ein frisches weißes Hemd und italienische Slipper. Niemand hätte ihm angesehen, dass er eine durchwachte Nacht hinter sich hatte.

Er lächelte.»Ich glaube, jetzt wäre ein Glas Champagner angebracht, findest du nicht auch?«

Sie lachte.»Du denkst wirklich an alles, Stepan.«

Er zeigte auf die Sektkelche in den Aussparungen der Türverkleidung neben ihr. Sie waren aus Glas, nicht aus unzerbrechlichem Kunststoff. Während sie sich zur Seite beugte, um die Gläser herauszunehmen, holte er eine Flasche Champagner aus dem Kühlfach. Draußen spiegelte sich die rote Scheibe der untergehenden Sonne in den Fenstern der Hochhäuser auf beiden Seiten der Autobahn.

Spalko riss die Folie ab, ließ den Korken knallen, füllte erst einen, dann den anderen Kelch mit dem schäumenden Champagner. Er stellte die Flasche weg, und sie stießen wortlos miteinander an. Sie tranken einen Schluck, und Annaka sah ihm dabei in die Augen. Sie waren wie Bruder und Schwester, standen sich sogar noch näher, weil auf ihnen nicht die häufig auftretende Geschwisterrivalität lastete. Von allen Männern, die sie kannte, genügte Stepan am ehesten ihren Ansprüchen. Nicht dass sie sich jemals nach einem Gefährten gesehnt hätte. Als Mädchen hätte sie gern einen Vater gehabt, aber das hatte nicht sein sollen. Stattdessen hatte sie sich für Stepan entschieden: stark, kompetent, unbesiegbar. Er verkörperte alles, was eine Tochter sich von ihrem Vater wünschen konnte.

Die Hochhäuser wurden weniger, als sie durch die äußeren Stadtbezirke fuhren. Das Abendlicht wurde schwächer, als die Sonne unterging. Hoch am Himmel standen rosa angestrahlte Wölkchen, und am Boden war es fast windstill — ideale Voraussetzungen für einen glatten Start des Privatjets.

«Wie wär’s mit ein paar Takten Musik zum Champagner«, schlug Spalko vor. Seine erhobene Hand lag auf dem über ihren Köpfen in den Dachhimmel eingebauten CD-Wechsler.»Was möchtest du hören? Bach? Beethoven? Nein, natürlich Chopin.«

Er wählte die entsprechende CD aus, und sein Zeigefinger drückte den Abspielknopf. Aber statt einer für ihren Lieblingskomponisten charakteristischen lyrischen Melodie hörte Annaka ihre eigene Stimme:

«Für Interpol arbeiten Sie nicht — Sie haben nicht ihre

Angewohnheiten. CIA? Nein, das glaube ich nicht. Stepan würde’s wissen, wenn die Amerikaner versuchen würden, seine Organisation zu unterwandern. Für wen also, hmmm?«

Annaka, die ihr Sektglas gerade wieder an die Lippen heben wollte, erstarrte.

«Starren Sie mich nicht so kreidebleich an, Ethan.«

Zu ihrem Entsetzen sah sie, dass Stepan sie über den Rand seines Kelchs hinweg angrinste.

«Mir ist das herzlich egal. Ich will nur eine Versiche-rungspolicefür den Fall, dass die Dinge hier schief gehen. Diese Versicherungspolice sind Sie.«

Spalkos Finger drückte die Stopptaste. Damit trat Stille ein, in der das einzige Geräusch das gedämpfte Brummen des starken Motors der Limousine war.

«Du fragst dich vermutlich, wie ich dir auf die Schliche gekommen bin.«

Annaka merkte, dass sie vorübergehend die Fähigkeit, sich zu artikulieren, eingebüßt hatte. Ihr Verstand war an genau dem Punkt eingefroren, an dem Stepan sich sehr liebenswürdig erkundigt hatte, welche Musik sie hören wolle. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als in die Zeit vor diesem Augenblick zurückzukehren. Ihr vor Schock wie gelähmter Verstand konnte nur über den Bruch in ihrer Realität nachdenken, der nicht anders war, als habe die Erde sich vor ihr aufgetan. Es gab nur ihr perfektes Leben, bevor Spalko die Aufnahme abgespielt hatte, und die Katastrophe, nachdem er sie abgespielt hatte.

Lächelte Stepan noch immer dieses schreckliche Krokodilslächeln? Sie merkte, dass sie Schwierigkeiten hatte, deutlich zu sehen. Ohne es richtig zu merken, fuhr sie sich mit dem Handrücken über die Augen.

«Mein Gott, Annaka, sind das echte Tränen?«Spalko schüttelte bedauernd den Kopf.»Du hast mich enttäuscht, Annaka, obwohl ich mich ehrlich gesagt gefragt habe, wann du mich verraten würdest. In diesem Punkt hatte dein Mr. Bourne allerdings recht.«

«Stepan, ich…«Sie verstummte von selbst. Sie hatte die eigene Stimme nicht wiedererkannt und wollte auf keinen Fall betteln. Ihr Leben war schon elend genug.

Er hielt etwas zwischen Daumen und Zeigefinger hoch: eine kleine Scheibe, noch kleiner als eine Uhrenbatterie.»Mit einer Wanze dieser Art in seinem Büro habe ich Hearn überwacht. «Er lachte knapp.»Die Ironie liegt darin, dass ich ihn eigentlich nicht verdächtigt habe. Aber jeder neue Angestellte wird mindestens ein halbes Jahr lang überwacht. «Er ließ die Scheibe mit der Geschicklichkeit eines Magiers verschwinden.»Pech für dich, Annaka. Glück für mich.«

Er leerte sein Glas und stellte es ab. Sie hatte sich noch immer nicht bewegt. Sie saß mit durchgedrücktem Rücken und angewinkeltem Ellbogen da. Ihre Finger umfassten den Stiel des Kelchglases.

Er betrachtete sie zärtlich.»Weißt du, Annaka, wärst du jemand anders, wärst du schon tot. Aber wir haben eine gemeinsame Vergangenheit, wir haben eine gemeinsame Mutter, wenn man eine Definition strapazieren will. «Er legte den Kopf schief, sodass eine Gesichtshälfte das letzte Abendlicht reflektierte. Diese Seite seines Gesichts, deren Haut porenlos wie Kunststoff war, glänzte wie die Fensterscheiben der Hochhäuser, die jetzt weit hinter ihnen lagen. Bis zur Flughafenzufahrt war das Gebiet beiderseits der Stadtautobahn nur sehr dünn besiedelt.

«Ich liebe dich, Annaka. «Mit einem Arm umschlang er ihre Taille.»Ich liebe dich auf eine Weise, wie ich nie eine andere Frau lieben könnte. «Der Schussknall der kleinen Pistole, die er Bourne abgenommen hatte, klang erstaunlich gedämpft. Annaka wurde in seinen Arm zurückgeworfen, der sie liebevoll umfing, und ihr Kopf fuhr ruckartig hoch. Er konnte das Zittern spüren, das ihren Körper durchlief, und wusste, dass die Kugel ins Herz gegangen sein musste. Sein Blick ließ sie nicht mehr los.»Wirklich jammerschade, nicht wahr?«