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Bourne musste sich eingestehen, dass er Angst vor Chan hatte — nicht nur vor dem, was man ihm angetan hatte und was er geworden war, sondern auch vor seiner Tüchtigkeit, seiner Cleverness und Findigkeit. Dass er aus dem Raum mit den verriegelten Türen entkommen war, war ein Wunder für sich.

Und es gab noch etwas anderes, ein Hindernis auf ihrem Weg zu gegenseitiger Anerkennung, vielleicht sogar zur Versöhnung, das alle anderen in den Schatten stellte. Um Bourne akzeptieren zu können, musste Chan sich von seinem ganzen bisherigen Leben lossagen.

Mit dieser Einschätzung hatte Bourne Recht. Seit er sich in der Old Town von Alexandria zu Chan auf die Parkbank gesetzt hatte, lag Chan im Streit mit sich selbst. Und dieser Krieg ging weiter — nur dass der Kampf jetzt öffentlich ausgetragen wurde. Wie beim Blick in einen Rückspiegel konnte Chan alle versäumten Gelegenheiten sehen, Bourne zu liquidieren, aber erst jetzt verstand er, dass er sie absichtlich nicht genutzt hatte. Er konnte Bourne nicht töten, aber er konnte ihm auch nicht sein Herz öffnen. Er erinnerte sich an seinen verzweifelten Drang, sich in der Gasse hinter der Budapester Klinik auf Spalkos Männer zu stürzen. Nur Bournes Warnung hatte ihn davon abgehalten. Damals hatte er seine heftige Reaktion auf den Wunsch zurückgeführt, sich an Spalko zu rächen. Aber jetzt wusste er, dass sie eine ganz andere Ursache gehabt hatte: die Liebe, die ein Sohn für seinen Vater empfindet.

Und trotzdem entdeckte er zu seiner Beschämung, dass er vor Bourne Angst hatte. In Bezug auf Kraft, Ausdauer und Intellekt war Bourne wahrhaft Furcht erregend. In seiner Nähe fühlte Chan sich irgendwie herabgesetzt, als sei alles, was er in seinem Leben geleistet hatte, nichts wert.

Leichtes Durchsacken, ein Stoß, kurzes Reifenquietschen, dann waren sie gelandet, verließen die Landebahn und benützten einen Rollweg zur Abstellfläche für Businessjets am anderen Ende des Flughafens. Noch bevor die Maschine zum Stehen gekommen war, stand Chan auf und ging zur Kabinentür.

«Los jetzt!«, sagte er ungeduldig.»Spalko hat mindestens drei Stunden Vorsprung.«

Aber Bourne, der ebenfalls aufgestanden war, vertrat ihm den Weg.

«Niemand weiß, was uns dort draußen erwartet. Ich steige als Erster aus.«

Chans Zorn, der so dicht unter der Oberfläche lauerte, flammte sofort auf.»Ich hab dir schon mal gesagt, dass du mich nicht rumkommandieren sollst! Ich kann selbst denken — ich treffe meine Entscheidungen selbst. Das habe ich schon immer getan, und ich werde es auch in Zukunft tun.«

«Du hast Recht. Ich versuche nicht, dir irgendetwas wegzunehmen«, sagte Bourne, dem das Herz bis zum Hals schlug. Dieser Fremde war sein Sohn. Was er in seiner Gegenwart tat oder sagte, konnte für lange Zeit unabsehbare Folgen haben.»Aber denk daran, dass du bisher allein warst.«

«Und wessen Schuld ist das deiner Meinung nach?«

Es war schwierig, sich nicht gekränkt zu fühlen, aber Bourne tat sein Bestes, um den Vorwurf zu entschärfen.»Schuldzuweisungen sind zwecklos«, sagte er gelassen.»Jetzt arbeiten wir zusammen.«

«Ich soll also einfach alle Entscheidungen dir überlassen?«, fragte Chan hitzig.»Warum? Bildest du dir vielleicht ein, du hättest Anspruch darauf?«

Sie hatten das Empfangsgebäude schon fast erreicht. Bourne wurde bewusst, wie brüchig ihr Waffenstillstand war.

«Es wäre töricht, zu glauben, ich hätte dir gegenüber irgendwelche Ansprüche. «Er sah aus dem Fenster zu dem hell beleuchteten Empfangsgebäude hinüber.»Ich dachte nur, falls es irgendein Problem gibt — falls uns ein Hinterhalt erwartet —, würde ich lieber selbst…«

«Hast du mir eigentlich niemals zugehört?«, knurrte Chan, indem er sich an Bourne vorbeidrängte.»Willst du alles ignorieren, was ich ohne dich erreicht habe?«

Unterdessen war der Pilot aus dem Cockpit gekommen.»Öffnen Sie die Tür«, befahl Chan ihm brüsk.»Und bleiben Sie an Bord.«

Der Pilot öffnete gehorsam die Tür und fuhr die Gangway aus, bis sie den Asphalt berührte.

Bourne machte einen Schritt vorwärts.»Chan.«

Aber ein zorniger Blick seines Sohns ließ ihn wie angenagelt stehen bleiben. Er beobachtete durch ein Kabinenfenster, wie Chan die Treppe hinabging und unten von einem Beamten der Passkontrolle in Empfang ge-nommen wurde. Er sah, wie Chan einen Reisepass vorwies und dann auf ihr Flugzeug deutete. Der Beamte nickte und stempelte den Pass ab.

Chan machte kehrt, trabte wieder die Gangway hinauf. Als er den Gang entlangkam, zog er unter seiner Jacke Handschellen hervor, mit denen er Bourne an sich fesselte.

«Ich heiße Chan LeMarc und bin Interpol-Inspektor. «Chan klemmte sich das Notebook unter den Arm und zog Bourne hinter sich her zur Tür.»Du bist mein Gefangener.«

«Wie heiße ich?«, fragte Bourne.

«Du?«Chan schob ihn ins Freie, blieb dicht hinter ihm.»Du bist Jason Bourne, nach dem CIA, Surete Nationale und Interpol wegen Mordes fahnden. Nur so lässt er dich ohne Papiere nach Island einreisen. Zum Glück hat er wie jeder Polizeibeamte der Welt deinen CIA-Steckbrief gelesen.«

Der Uniformierte trat zur Seite und hielt reichlich Abstand, als sie an ihm vorbeigingen. Sobald sie das Empfangsgebäude durchquert hatten, schloss Chan die Handschellen wieder auf. Draußen stiegen sie ins erste Taxi der wartenden Schlange und nannten dem Fahrer ein Ziel, das keine halbe Meile vom Hotel Oskjuhlid entfernt war.

Mit dem Kühlbehälter zwischen den Füßen saß Spalko auf dem Beifahrersitz des Kastenwagens von Reykjavik Energy, den der tschetschenische Widerstandskämpfer durch die Straßen der Innenstadt zum Hotel Oskjuhlid lenkte. Sein Handy klingelte, und er klappte es auf, ohne zu ahnen, dass ihn schlechte Nachrichten erwarteten.

«Chef, wir haben den Vernehmungsraum räumen können, bevor Polizei oder Feuerwehr das Gebäude betreten haben«, meldete der Leiter seines Sicherheits-diensts aus Budapest.»Aber wir haben eben das gesamte Gebäude durchsucht, ohne die geringste Spur von Bourne oder Chan zu finden.«

«Wie ist das möglich?«, fragte Spalko scharf.»Der eine war an den Stuhl gefesselt, der andere war in der Gaskammer eingeschlossen.«

«Es hat eine Detonation gegeben«, antwortete der Leiter des Sicherheitsdiensts und schilderte ihm detailliert, was sie vorgefunden hatten.

«Gottverdammt noch mal!«In einem seiner seltenen Wutanfälle hämmerte Spalko mit der Faust aufs Armaturenbrett.

«Wir vergrößern den Suchradius.«

«Spart euch die Mühe«, sagte Spalko knapp.»Ich weiß, wo sie sind.«

Bourne und Chan gingen in Richtung Hotel.»Wie fühlst du dich?«, fragte Chan.»Mir geht’s gut«, antwortete Bourne etwas zu rasch. Chan musterte ihn.»Du bist nicht mal steif und wund?«

«Also gut, ich bin überall steif und wund«, räumte Bourne ein.

«Die Antibiotika, die Oszkar mitgebracht hat, sind hoch wirksam.«

«Keine Sorge«, sagte Bourne.»Ich nehme sie regelmäßig.«

«Wie kommst du darauf, dass ich mir Sorgen mache?«Chan deutete nach vorn.»Sieh dir das an!«

Die hiesige Polizei hatte die Umgebung des Hotels weiträumig abgesperrt. Je zwei Kontrollpunkte, die mit Polizeibeamten und Sicherheitspersonal verschiedener Nationalitäten besetzt waren, bildeten die einzigen Ein- und Ausfahrten. Während sie zusahen, hielt ein Fahrzeug von Reykjavik Energy am Kontrollpunkt hinter dem Hotel.

«Das ist die einzige Möglichkeit, dort reinzukommen«, behauptete Chan.

«Zumindest eine Möglichkeit«, sagte Bourne. Als der Kastenwagen den Kontrollpunkt passierte, kamen hinter ihm zwei Hotelangestellte zu Fuß zum Vorschein.

Bourne sah zu Chan hinüber, der kurz nickte. Auch er hatte sie bemerkt.»Was denkst du?«, fragte Bourne.

«Die beiden kommen vom Dienst, würde ich sagen«, antwortete Chan.

«Das denke ich auch.«

Die Hotelangestellten unterhielten sich lebhaft und blieben nur lange genug stehen, um am Kontrollpunkt ihre Dienstausweise vorzuzeigen. Normalerweise hätten sie in der Tiefgarage des Hotels geparkt, aber seit die Sicherheitsdienste den Befehl übernommen hatten, mussten alle Angestellten in den umliegenden Straßen parken.