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Ihr Haar war feucht und strähnig, als er ihre Wange küsste.»Schöne Sina«, flüsterte er ihr ins Ohr.»Starke Sina.«

Er spürte eine Art Schauder, die ihren Körper durchlief, und sein Herz zog sich vor Angst zusammen.»Nicht sterben, Sina. Du darfst nicht sterben. «Dann schmeckte er die salzige Nässe, die über ihre Wange lief, und wusste, dass sie weinte. Während sie lautlos schluchzte, hob und senkte ihre Brust sich unregelmäßig.

«Sina…«Spalko küsste ihre Tränen weg.»… du musst stark sein, jetzt mehr als je zuvor. «Er umarmte sie zärtlich und fühlte, wie ihre Arme sich langsam um ihn schlossen.

«Dies ist der Augenblick unseres größten Triumphs. «Er richtete sich kniend auf und legte ihr den NX 20 in die Arme.»Ja, ja, ich habe dich auserwählt, die Waffe einzusetzen und die Zukunft zu verwirklichen.«

Sina konnte nicht sprechen. Ihre Kraft reichte eben dazu aus, weiter rasselnd ein- und auszuatmen. Er fluchte im Dunkel halblaut vor sich hin, denn er konnte ihre Augen nicht sehen, konnte sich nicht vergewissern, dass er sie in der Hand hatte. Dieses Risiko musste er jedoch auf sich nehmen. Er griff nach ihren Händen, drückte die Linke an den Lauf des Diffusors und die Rechte auf Höhe des Abzugsbügels an den Kolben. Ihren rechten Zeigefinger legte er an den größeren Abzug.

«Du brauchst nur abzudrücken«, flüsterte er ihr ins Ohr.»Aber noch nicht, noch nicht. Ich brauche Zeit.«

Ja, er brauchte Zeit, um seine Flucht zu bewerkstelli-gen. Er war im Dunkel gefangen — der einzigen Eventualität, für die er nicht vorgesorgt hatte. Und jetzt konnte er nicht einmal den NX 20 mitnehmen. Er würde rennen, so schnell wie möglich rennen müssen, und die dabei auftretenden Erschütterungen vertrug die Waffe nicht, nachdem sie scharf geladen war. Das hatte Schiffer unmissverständlich klar gemacht. Die Ladung und ihr Behälter waren viel zu zerbrechlich.

«Sina, das machst du, nicht wahr?«Er küsste sie erneut auf die Wange.»Du hast noch die Kraft dazu, ich weiß, dass du sie hast. «Sie versuchte etwas zu sagen, aber er hielt ihr den Mund zu, weil er fürchtete, der oder die unbekannten Angreifer auf dem Korridor könnten ihren erstickten Schrei hören.»Ich bin ganz in der Nähe, Sina. Denk daran.«

Dann glitt er so lautlos und allmählich davon, dass ihre geschwächten Sinne es nicht wahrnehmen konnten. Als er sich dann von ihr abwandte, stolperte er über Ar-senows Leiche und riss sich dabei den Schutzanzug auf. Einen Augenblick lang kehrte sein neues Entsetzen zurück, als er sich vorstellte, hier festzusitzen, während Sina den Abzug betätigte und so das Virus freisetzte, das durch den Riss eindrang und ihn infizierte. Vor seinem inneren Auge erschien die Totenstadt, die er in Nairobi geschaffen hatte, in allen ihren grellen, grausigen Einzelheiten.

Dann hatte er sich gefangen und streifte den Schutzanzug, der ihn jetzt nur behinderte, ganz ab. Lautlos wie eine Katze schlich er zur Tür und schob sich auf den Gang hinaus. Die beiden Selbstmordattentäterinnen spürten seine Gegenwart sofort, veränderten leicht ihre Haltung, waren hörbar nervös.

«La illaha ill Allah«, wisperte er.

«La illaha ill Allah«, wisperten sie ihrerseits.

Dann stahl er sich durch die Dunkelheit davon.

Beide sahen sie sofort: die auf sie zielende großkalibrige, hässliche Mündung von Dr. Felix Schiffers Biodiffusor. Bourne und Chan erstarrten.

«Spalko ist fort. Da liegt sein Schutzanzug«, sagte Bourne.»Hier gibt’s nur einen Ausgang. «Er dachte an die Bewegung, die er wahrgenommen hatte, an das Wispern und die verstohlenen Schritte, die er zu hören geglaubt hatte.»Er muss sich im Dunkel davongeschlichen haben.«

«Den hier kenne ich«, sagte Chan.»Es ist Hassan Ar-senow, aber die Frau mit der Waffe kenne ich nicht.«

Die Terroristin ruhte in halb sitzender Haltung auf der Leiche eines weiteren Terroristen. Wie sie’s geschafft hatte, in diese Position zu gelangen, war den beiden ein Rätsel. Sie war schwer, vielleicht tödlich verwundet, obwohl sich das aus einiger Entfernung nicht sicher feststellen ließ. Aus ihrem Blick sprach eine Welt von Schmerzen, aber auch etwas anderes, dessen war Bourne sich ganz sicher, das über bloße körperliche Schmerzen hinausging.

Chan hatte einer Selbstmordattentäterin eine Kalaschnikow abgenommen, mit der er jetzt auf die Frau zielte.»Für dich gibt’s keinen Ausweg mehr«, knurrte er.

Bourne hatte nur ihre Augen beobachtet. Er trat vor und drückte die Kalaschnikow herunter.»Es gibt immer einen Ausweg«, sagte er.

Dann ging er in die Hocke, um der Frau näher zu sein. Ohne den Blick von ihrem Gesicht zu nehmen, fragte er:»Kannst du sprechen? Kannst du mir deinen Namen sagen?«

Sekundenlang herrschte nur Schweigen, und Bourne musste sich dazu zwingen, ihr in die Augen zu sehen, statt den Zeigefinger zu beobachten, der leicht gekrümmt und nervös am Abzug lag.

Endlich öffnete sie die Lippen und begann zu zittern. Ihre Zähne klapperten, und eine Träne lief über ihre schmutzige Wange.

«Was kümmert’s dich, wie sie heißt?«Chans Stimme klang verächtlich.»Sie ist kein Mensch; sie hat ein Werkzeug der Vernichtung aus sich machen lassen.«

«Chan, das könnten manche Leute auch von dir behaupten. «Bournes Stimme klang so sanft, dass klar war, dass er keinen Tadel, sondern nur eine Wahrheit aussprach, die seinem Sohn vielleicht entgangen war.

Er wandte sich wieder der Terroristin zu.»Es ist wichtig, dass du mir deinen Namen sagst, nicht wahr?«

Ihre Lippen öffneten sich weiter, und sie sagte mit rasselnder, röchelnder Stimme:»Sina.«

«Nun, Sina, das Spiel befindet sich in der Schlussphase«, sagte Bourne.»Jetzt gibt’s nur noch Leben oder Tod. Du hast allem Anschein nach bereits den Tod gewählt. Betätigst du den Abzug, sind dir Ruhm und Ehre, ist dir das Paradies gewiss. Aber ich frage mich, ob es dazu kommen wird. Was lässt du schließlich zurück? Tote Landsleute, von denen du mindestens einen selbst erschossen hast. Und natürlich Stepan Spalko. Wohin er wohl verschwunden ist? Tut nichts zu Sache. Wichtig ist nur, dass er dich im entscheidenden Augenblick im Stich gelassen hat.

Er hat dich sterbend zurückgelassen, Sina, und ist feige geflüchtet. Deshalb wirst du dich fragen müssen, was passieren wird, wenn du den Abzug betätigst. Wirst du zu ewigem Ruhm erhöht — oder wirst du verworfen, weil Munkir und Nekir, die beiden Befrager, dich für unwürdig befinden? Wirst du ihnen angesichts deines Vorlebens antworten können, Sina, wenn sie dich fragen: >Wer ist dein Schöpfer? Wer ist dein Prophet?< Nur die Gerechten können sich an diese Namen erinnern, das weißt du.«

Sina weinte jetzt hemmungslos. Das Schluchzen erschütterte ihren ganzen Körper, und Bourne fürchtete, ein plötzlicher Krampf könnte bewirken, dass sie reflexartig den Abzug betätigte. Wenn er sie erreichen wollte, musste er sich beeilen.

«Wenn du abdrückst, wählst du den Tod, und dann wirst du ihnen nicht antworten können. Das weißt du, Sina. Du bist von denen, die dir am nächsten gestanden haben, verlassen und verraten worden. Und du hast sie deinerseits verraten. Aber es ist noch nicht zu spät. Auch für dich kann es die Erlösung geben; es gibt immer einen Ausweg.«

In diesem Augenblick erkannte Chan, dass Bourne ebenso mit ihm wie mit Sina sprach, und diese Erkenntnis durchzuckte ihn wie ein Stromstoß. Der Impuls lief durch seinen Körper, bis in Chans Gliedmaßen und seinem Gehirn Funken sprühten. Er fühlte sich nackt, letztlich auch bloßgestellt, hatte vor nichts mehr oder weniger Angst als vor sich selbst — vor seinem eigenen wahren Ich, das er vor so vielen Jahren in den Dschungeln Südostasiens begraben hatte. Das war so lange her, dass er sich nicht mehr genau erinnern konnte, wo und wann er das getan hatte. Tatsächlich war er sich selbst fremd. Er hasste seinen Vater dafür, dass er ihm diese Wahrheit vor Augen geführt hatte, aber er konnte nicht länger abstreiten, dass er ihn dafür auch liebte.