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Bourne stellte den Ton ab. Jesus, die Fahndung lief wirklich schon auf Hochtouren! Kein Wunder, dass die hier eingerichtete Straßensperre so gut organisiert ausgesehen hatte — das waren CIA-Agenten, nicht die hiesigen Cops.

Er musste sich schleunigst an die Arbeit machen. Nachdem er sich Krümel vom Schoß gewischt hatte, zog er Conklins Handy aus der Tasche. Es wurde Zeit, festzustellen, mit wem Alex telefoniert hatte, als er erschossen worden war. Bourne aktivierte die Wahlwiederholung, hörte das Klingeln am anderen Ende. Dann meldete sich ein Anrufbeantworter. Dies war keine Privatnummer, sondern eine Maßschneiderei: Lincoln Fine Tailors. Der Gedanke, dass Conklin mit seinem Schneider telefoniert hatte, als er erschossen worden war, deprimierte ihn. Ein klägliches Ende für einen Meisterspion.

Als Nächstes überprüfte er den letzten eingegangenen Anruf, der vom Vorabend stammte. Der Anrufer war der CIA-Direktor. Sackgasse, dachte Bourne. Er stand auf. Während er in Socken ins Bad ging, zog er sich bereits aus. Danach stand er lange unter der heißen Dusche und dachte bewusst an nichts, während er Schmutz und Schweiß von seiner Haut spülte. Hätte er jetzt nur frische Klamotten gehabt! Im nächsten Augenblick hob er ruckartig den Kopf. Er wischte sich Wasser aus den Augen, sein Herz jagte, und sein Verstand arbeitete wieder auf Hochtouren. Conklins Anzüge kamen aus dem Maßatelier Old World Tailors an der M Street; Alex war dort seit vielen Jahren Kunde. Mit dem Besitzer, einem russischen Immigranten, ging er sogar gelegentlich essen.

Bourne trocknete sich in fliegender Eile ab, griff wieder nach Conklins Handy und rief die Auskunft an. Nachdem er die Adresse von Lincoln Fine Tailors in Alexandria bekommen hatte, blieb er auf der Bettkante sitzen und starrte ins Leere. Er fragte sich, was die Firma Lincoln Fine Tailors noch tat, außer Stoffe zuzuschneiden und Säume zu nähen.

Hassan Arsenow schätzte Budapest auf eine Weise, wie Chalid Murat es nie gekonnt hätte. Entsprechend äußerte er sich gegenüber Sina Hasijew, als sie die Kontrollen auf dem Flughafen passiert hatten.

«Der arme Murat«, sagte er.»Ein braver Kerl, ein tapferer Freiheitskämpfer, aber in seinem Denken hoffnungslos im neunzehnten Jahrhundert verhaftet. «Sina, Arsenows getreue Stellvertreterin und überdies seine Geliebte, war klein, drahtig, so sportlich wie Arsenow. Volles pechschwarzes Haar umgab ihren Kopf wie eine Löwenmähne. Volle Lippen und dunkle, glänzende Augen verliehen ihr etwas Wildes, Zigeunerhaftes, aber ihr Verstand konnte distanziert und berechnend sein wie der eines Staranwalts, und sie war eiskalt und furchtlos.

Arsenow grunzte schmerzlich, als er hinten in die wartende Limousine stieg. Der Schuss des Attentäters hatte perfekt getroffen: Die Kugel hatte den Oberschenkel durchschlagen, ohne den Knochen zu treffen, und war glatt wieder ausgetreten. Die Wunde tat verdammt weh, aber das Projekt war diesen Schmerz wert, fand Arsenow, als er neben seiner Stellvertreterin in die Polster sank. Auf ihn war kein Verdacht gefallen; nicht einmal Sina ahnte, dass er an dem Attentat auf Murat beteiligt gewesen war. Aber was war ihm anderes übrig geblieben? Murat war zunehmend nervös geworden, was die möglichen Konsequenzen des Plans des Scheichs betraf. Er hatte nicht Arsenows Vision, ihm fehlte sein starker Sinn für soziale Gerechtigkeit. Chalid hätte sich damit zufrieden gegeben, Tschetschenien wieder den Russen abzunehmen, während der Rest der Welt sich verächtlich abwandte.

Als ihm der Scheich dagegen seinen kühnen und verwegenen Plan dargelegt hatte, war das für Arsenow der Augenblick der Offenbarung gewesen. Er konnte die Zukunft, die der Scheich ihnen wie eine reife Frucht hinhielt, deutlich sehen. Ganz unter dem Eindruck dieser übernatürlichen Erleuchtung stehend, hatte er von Cha-lid Murat eine Bestätigung erwartet — und stattdessen die bittere Wahrheit einsehen müssen. Chalid konnte nicht über die Grenzen seines Heimatlandes hinaussehen, er konnte nicht begreifen, dass eine Zurückeroberung der Region in gewisser Weise zweitrangig war. Arsenow war bewusst, dass die Tschetschenen stärker werden mussten, um nicht nur das Joch der russischen Ungläubigen abzuschütteln, sondern um ihren Platz in der islamischen Welt einnehmen und sich den Respekt der anderen muslimischen Staaten verdienen zu können.

Die Tschetschenen waren Sunniten, die den Lehren der Sufi-Mystiker anhingen, deren Verkörperung das sikr genannte Gedenken an Allah war: ein Gemeinschaftsritual mit heruntergeleierten Gebeten und rhythmischem Tanz, das einen gemeinschaftlichen Trancezustand bewirkte, in dem den Versammelten das Auge Allahs erschien. Die Sunniten, deren Glaube ebenso monolithisch war wie jede andere Religion, verabscheuten, fürchteten und schmähten deshalb jeden, der auch nur im Geringsten von ihrer starren Doktrin abwich. Mystizismus, aus welcher Quelle auch immer, war ihnen ein Gräuel. Wirklich in jeder Beziehung Gedankengut aus dem 19. Jahrhundert, dachte Arsenow verbittert.

Seit dem Tag des Attentats, seit dem lange herbeigesehnten Augenblick, in dem er der neue Führer der tschetschenischen Freiheitskämpfer geworden war, lebte Arsenow in einem fieberhaften, fast halluzinatorischen Zustand. Er schlief tief, aber nicht erholsam, denn er hatte ständig Albträume, in denen er in Ruinenlandschaften etwas oder jemanden zu suchen schien — stets vergeblich. Das bewirkte, dass er im Umgang mit Untergebenen reizbar und kurz angebunden war, dass er keinerlei Ausreden gelten ließ. Nur Sina war imstande, ihn zu beruhigen; ihre alchimistische Berührung gestattete ihm, aus dem seltsamen Schwebezustand zurückzukehren, in den er mittlerweile verfallen war.

Die Wundschmerzen brachten Arsenow in die Gegenwart zurück. Er starrte aus dem Autofenster auf die Straßen mit alten Häusern hinaus, beobachtete mit an Todesqualen grenzendem Neid, wie jedermann seinen Geschäften nachging, ohne die geringste Angst erkennen zu lassen.

Er hasste sie, hasste jeden einzelnen dieser Menschen, die in ihrem ungezwungen freien Leben niemals einen Gedanken auf den verzweifelten Freiheitskampf verschwendeten, den sein Volk seit dem 18. Jahrhundert führte und den er fortsetzte.

«Was hast du, Liebster?«Ein besorgter Schatten zog über Sinas Gesicht.

«Die Beine tun mir weh. Ich kann nicht mehr richtig sitzen, das ist alles.«

«Ich kenne dich. Die Tragödie von Murats Ermordung belastet dich weiter, obwohl wir ihn blutig gerächt haben. Fünfunddreißig russische Soldaten haben den Mord an Chalid Murat mit dem Leben bezahlt.«

«Nicht nur an Murat«, sagte Arsenow.»An unseren Männern. Durch russischen Verrat haben wir siebzehn Mann verloren.«

«Du hast den Verräter aufgespürt und ihn eigenhändig vor den Unterführern erschossen.«

«Um ihnen zu zeigen, was allen Verrätern an unserer Sache blüht. Das Urteil ist rasch gefällt worden, die Strafe war hart. Das ist unser Los, Sina. Es gibt nicht genug Tränen, um unser Volk zu beweinen. Sieh uns doch an! Verloren und zersprengt, im Kaukasus versteckt, über hundertfünfzigtausend Tschetschenen als Flüchtlinge im Ausland.«

Sina unterbrach Hassan nicht, als er diese quälenden Tatsachen erneut aufzählte, denn solche Erzählungen mussten so oft wie möglich wiederholt worden. Sie waren die Geschichtsbücher der Tschetschenen.

Arsenows Fingerknöchel wurden weiß, so krampfhaft ballte er die Hände zu Fäusten.»Ah, hätten wir doch nur eine Waffe, die tödlicher als ein AK-47 und wirksamer als eine Ladung C4 ist!«

«Bald, bald, Liebster!«, gurrte Sina mit ihrer tiefen, melodischen Stimme.»Der Scheich hat sich als unser bester Freund erwiesen. Denke nur daran, wie viel Hilfe seine Organisation unserem Volk allein im letzten Jahr hat zukommen lassen; denk auch daran, welche Aufmerksamkeit seine Presseleute uns in internationalen Zeitungen und Zeitschriften gesichert haben.«