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Sie streckte eine Hand aus, und Bourne ließ den Eisbeutel hineinfallen. Annaka wog ihn prüfend in der Hand.»Der muss nachgefüllt werden.«

Als sie zurückkam, saß er mit nacktem Oberkörper da. Eine erschreckend große Prellung in der Herzgegend war bereits rot angeschwollen und sehr druckempfindlich, als ihre Fingerspitzen sie berührten.

«Mein Gott, du brauchst ein Eisbad!«, rief sie aus.

«Wenigstens ist nichts gebrochen.«

Sie warf ihm den Eisbeutel zu. Er schnappte unwillkürlich nach Luft, als er ihn auf die Schwellung legte. Annaka ging wieder neben ihm in die Hocke und betrachtete ihn abermals prüfend. Er wünschte sich, ihre Gedanken lesen zu können.

«Du kannst bestimmt nicht anders, als dich an deinen Sohn zu erinnern, der so jung umgekommen ist.«

Bourne nickte trübselig.»Das ist’s eben. Der Mann auf dem Dach — der Kerl, der uns bespitzelt — ist mir aus Amerika hierher gefolgt. Er sagt, dass er mich ermorden will, aber ich weiß, dass er lügt. Ich soll ihn hier zu jemandem führen, deshalb bespitzelt er uns.«

Ihre Miene verfinsterte sich.»An wen will er herankommen?«

«An einen Mann namens Spalko.«

Sie war sichtlich überrascht.»Stepan Spalko?«

«Ganz recht. Kennst du ihn?«

«Natürlich kenne ich ihn dem Namen nach«, sagte sie.»In Ungarn kennt ihn jeder. Er ist der Präsident von Humanistas, Ltd. der weltweit tätigen Hilfsorganisation. «Sie runzelte die Stirn.»Jetzt bin ich wirklich besorgt, Jason. Dieser Mann ist gefährlich. Wenn er versucht, an Stepan Spalko heranzukommen, sollten wir die Polizei verständigen.«

Bourne schüttelte den Kopf.»Was sollen wir ihr erzählen? Dass wir glauben, ein Mann, den wir nur als Chan kennen, wolle mit Stepan Spalko in Verbindung treten? Wir wissen nicht einmal, weshalb. Und weißt du, was die Polizei fragen würde? >Warum greift dieser Chan nicht einfach nach dem Telefonhörer und ruft ihn an?<«

«Dann sollten wir wenigstens jemanden bei Huma-nistas anrufen.«

«Annaka, bevor ich weiß, was hier vorgeht, möchte ich mit niemandem Verbindung aufnehmen. Das würde die Situation, die wegen zahlreicher Fragen, auf die ich keine Antwort weiß, schon kompliziert genug ist, nur noch verworrener machen.«

Er stand auf, ging an den Schreibsekretär und setzte sich vor ihren Laptop.»Ich habe dir erzählt, dass ich eine Idee habe. Darf ich deinen Computer benützen?«

«Natürlich«, sagte sie und stand ebenfalls auf.

Während Bourne den Computer einschaltete, stellte sie die Schale wieder aufs Tablett, legte den Schwamm und alles andere dazu und tappte damit hinaus. Als er online ging, hörte er in der Küche Wasser laufen. Er rief die Webseite der US-Regierung auf, folgte den dort ver-zeichneten Links und hatte eben die gesuchte Seite gefunden, als Annaka aus der Küche zurückkam.

Die Agency hatte eine Unmenge von öffentlichen Seiten, die jeder aufrufen konnte, der einen Internetzugang besaß, aber es gab auch ein Dutzend weiterer Seiten, verschlüsselt und mit Passwörtern geschützt, die Bestandteil des sagenhaften CIA-Intranets waren.

Annaka merkte, dass er äußerst konzentriert arbeitete.»Was tust du?«Sie stellte sich hinter ihn und sah zu. Im nächsten Moment riss sie erstaunt die Augen auf.»Was zum Teufel machst du da?«

«Was du siehst«, antwortete er,»dringe ich gerade in die Zentraldatenbank der CIA ein.«

«Aber wie kannst du.«

«Frag mich nicht«, sagte Bourne, während seine Finger über die Tasten flogen.»Glaub mir, es ist besser, wenn du’s nicht weißt.«

Alex Conklin hatte stets Zugang durch den Vordereingang gehabt, aber das hatte daran gelegen, dass er jeden Montagmorgen um sechs Uhr das neueste Passwort erhalten hatte. Von Deron, dem Künstler und Meisterfälscher, hatte Bourne die hohe Kunst des Eindringens in Datenbanken von US-Regierungsbehörden gelernt. In seinem Beruf war das eine unentbehrliche Fertigkeit. Das Problem war, dass der Firewall, der das CIA-Netzwerk vor unerwünschtem Zugriff schützte, besonders schwer zu überwinden war. Das wöchentlich wechselnde Passwort war zusätzlich mit einem flexiblen Algorithmus gekoppelt. Aber Deron hatte Bourne gezeigt, wie man das System überlisten konnte. Er spiegelte dem Server vor, er kenne das Passwort, bis der Rechner es ihm zur Verfügung stellte.

Überwinden ließ der Firewall sich durch den Algorithmus, der eine Variante des Kern-Algorithmus war, mit dem der Inhalt der Zentraldatenbank verschlüsselt wurde. Die Formel kannte Bourne, weil Deron darauf bestanden hatte, dass er sie auswendig lernte.

Auf der CIA-Seite öffnete sich ein Fenster, das Bourne aufforderte, das aktuelle Passwort einzugeben. Stattdes-sen tippte er den Algorithmus, der aus weit mehr Buchstaben und Zahlen bestand, als das Kästchen aufnehmen konnte. Andererseits erkannte das Programm nach der dritten Schlüsselgruppe, was hier eingegeben wurde, und war vorübergehend perplex. Der Trick war, hatte Deron gesagt, den gesamten Algorithmus einzugeben, bevor das Programm merkte, was man tat, und einem den Zugang verweigerte, indem es sich abschaltete. Die Formelreihe war sehr lang; man durfte keinen Fehler machen oder auch nur einen Augenblick zögern, und Bourne begann zu schwitzen, weil er nicht glauben konnte, dass die Software so lange blockiert bleiben würde.

Schließlich gelang es ihm jedoch, den Algorithmus einzugeben, bevor das Programm sich abschaltete. Das Fenster verschwand, das Design des Bildschirms veränderte sich.

«Ich bin drin«, sagte Bourne aufatmend.

«Unglaublich«, flüsterte Annaka fasziniert.

Bourne navigierte zur Entwicklungsabteilung für nichttödliche taktische Waffen. Er gab den Namen Schiffer ein, aber das angezeigte spärliche Material war enttäuschend. Nichts über Schiffers gegenwärtige Arbeit, nichts über seinen Werdegang. Hätte Bourne es nicht besser gewusst, hätte er tatsächlich glauben müssen, Dr. Felix Schiffer sei irgendein unbedeutender Wissenschaftler, nur ein kleines Rädchen in der Entwicklungsabteilung.

Doch es gab noch eine weitere Möglichkeit. Wie er von Deron gelernt hatte, benützte er den Hintereingang, den auch Conklin benützt hatte, um sich darüber auf dem Laufenden zu halten, was sich im Verteidigungsministerium hinter den Kulissen ereignete.

Sobald er drin war, rief er die DARPA-Seite auf und navigierte zum Archiv. Zu seinem Glück arbeiteten die staatlichen Computerfachleute notorisch langsam, wenn es darum ging, veraltete Dateien zu löschen. Schiffers Personalakte war noch da und enthielt einiges über seinen Werdegang. Er hatte am MIT studiert und gleich nach der Promotion bei einem Pharmakonzern ein eigenes Labor bekommen. Schon nach weniger als einem Jahr hatte er sich selbstständig gemacht und einen Kollegen, einen Dr. Peter Sido, mitgenommen, mit dem er fünf Jahre lang zusammengearbeitet hatte, bevor er sich von der DARPA hatte anwerben lassen. Weshalb er seine Selbstständigkeit aufgegeben hatte, um zum Staat zu gehen, wurde nicht erläutert, aber so waren manche Wissenschaftler eben. Sie waren für eine normale Existenz so ungeeignet wie viele Häftlinge, die nach der Entlassung aus dem Gefängnis sofort die nächste Straftat verübten, nur um wieder in eine klar definierte Welt zurückgeschickt zu werden, in der ihnen jegliche Verantwortung abgenommen wurde.

Bourne las weiter und entdeckte, dass Schiffer im Defense Sciences Office gearbeitet hatte, das — was nichts Gutes ahnen ließ — mit Biowaffensystemen befasst war. In seiner Zeit bei der DARPA hatte Dr. Schiffer an einem Verfahren gearbeitet, das es ermöglichen sollte, mit Milzbranderregern infizierte Räume biologisch zu» reinigen«.

Doch als er weiterblätterte, konnte er keine näheren Angaben über Schiffers Arbeit finden. Was ihn beunruhigte, war die Tatsache, dass diese Informationen keine Erklärung für Conklins starkes Interesse an Schiffer lieferten.

Annaka sah ihm weiter über die Schulter.»Lässt sich darin irgendein Hinweis auf Dr. Schiffers gegenwärtiges Versteck finden?«