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«Nein, das glaube ich nicht.«

«Also gut. «Ihre Hände umfassten seine Schultern, drückten sie leicht.»Der Kühlschrank ist leer, und wir müssen beide etwas essen.«

«Ich denke, ich bleibe lieber hier, wenn ich darf, und ruhe mich ein bisschen aus.«

«Du hast Recht. In dieser Verfassung kannst du schlecht draußen rumlaufen. «Sie lächelte, als sie ihren Mantel anzog.»Ich gehe nur rasch um die Ecke und hole uns etwas zu essen. Möchtest du etwas Bestimmtes?«

Er schüttelte den Kopf und sah ihr nach, als sie zur Tür ging.»Annaka, sei bitte vorsichtig.«

Sie drehte sich um, zog ihre Pistole halb aus ihrer Umhängetasche.»Keine Sorge, mir passiert nichts. «Sie öffnete die Wohnungstür.»Bin in ein paar Minuten wieder da.«

Bourne hörte sie hinausgehen, aber seine Aufmerk-samkeit galt bereits wieder dem Bildschirm. Er spürte, dass sein Pulsschlag sich beschleunigte, und er versuchte erfolglos, sich zu beruhigen. Trotz seiner ernsten Absicht zögerte er noch. Er wusste, dass er weitermachen musste, aber er merkte auch, dass sein Vorhaben ihn ängstigte.

Während er seine Hände beobachtete, als gehörten sie einem anderen, verbrachte er die folgenden fünf Minuten damit, den Firewall der U.S. Army zu durchbrechen. An einer Stelle wäre er fast nicht weitergekommen. Das IT-Team des Militärs hatte den Firewall vor kurzem durch eine dritte Ebene verstärkt, von der Deron ihm nichts gesagt oder die er wahrscheinlich selbst noch nicht gesehen hatte. Seine Finger schwebten über der Tastatur wie Annakas über den Klaviertasten, und er zögerte einen Augenblick lang. Noch kannst du umkehren, sagte er sich, das wäre keine Schande. In den vergangenen Jahren hatte er stets das Gefühl gehabt, alles was mit seiner ersten Familie zusammenhing, auch die in den Datenbanken der U.S. Army über sie gespeicherten Informationen, sei für ihn tabu. Er litt schon genug unter ihrem Tod, wurde von Schuldgefühlen gepeinigt, weil er ungefährdet in einer Besprechung gesessen hatte, als der Tiefflieger sie im Sturzflug mit einem Geschosshagel eingedeckt hatte.

Bourne konnte nicht anders: Er musste sich erneut selbst quälen, indem er sich ihre letzten von Schrecken erfüllten Minuten vorstellte. Als Kind des Krieges musste Dao die durch den heißen Sommerhimmel herandröhnenden Triebwerke natürlich gehört haben. Anfangs würde sie die aus der weiß glühenden Sonne kommende Maschine nicht gesehen haben, aber als ihr Röhren anschwoll, ihre Metallmasse größer wurde als die Sonne, hatte sie zweifellos die Gefahr erkannt. Noch während Entsetzen ihr Herz erfüllte, würde sie versucht haben, ihre Kinder an sich zu reißen in dem vergeblichen Versuch, sie mit ihrem Leib vor den Kugeln zu schützen, die nun das schlammige Wasser des Flusses aufspritzen ließen. »Joshua! Alyssa! Schnell zu mir!«, würde sie gekreischt haben, als sei sie in der Lage, sie vor dem zu bewahren, was kommen würde.

Vor Annakas Computer sitzend merkte Bourne, dass er weinte. Einige Augenblicke ließ er seinen Tränen freien Lauf wie seit vielen Jahren nicht mehr. Dann schüttelte er sich, wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel ab und machte weiter, bevor er sich die Sache anders überlegen konnte.

Er fand eine Möglichkeit, die letzte Ebene des Firewalls zu umgehen, und war nach fünf Minuten qualvoller Arbeit endlich eingeloggt. Bevor er in seinem Entschluss wankend werden konnte, rief er das Sterberegister auf und gab in den dafür vorgesehenen Feldern die Namen und das Todesdatum von Dao Webb, Alyssa Webb und Joshua Webb ein. Er starrte die Namen an und sagte sich: Das war meine Familie, Wesen aus Fleisch und Blut, die geweint und gelacht, mich umarmt und mich» Darling «und» Daddy «genannt haben. Aber was waren sie jetzt? Namen auf einem Bildschirm. Statistiken in einer Datenbank. Das Herz drohte ihm zu brechen, und er spürte wieder einen Anflug von Wahnsinn wie im ersten Schmerz nach ihrem Tod. Das darf sich nicht wiederholen, dachte er. Sonst zerbrichst du daran. Voll namenloser Trauer drückte er die Eingabetaste. Er hatte keine andere Wahl; es gab kein Zurück mehr. Niemals zurückgehen — das war sein Motto seit dem Augenblick gewesen, in dem Alex Conklin ihn angeworben und ihn erst zu einem anderen David Webb, dann zu Jason Bourne gemacht hatte. Weshalb hörte er dann noch immer ihre Stimmen?

«Darling, du hast mir so gefehlt!«

«Daddy, du bist wieder da!«

Diese Erinnerungen, die durch die durchlässige Barriere der Zeit nach ihm griffen, hielten ihn in ihrem Netz gefangen, sodass Bourne nicht gleich darauf reagierte, was auf dem Bildschirm erschien. Er starrte ihn über eine halbe Minute lang an, ohne die entsetzliche Anomalie bewusst wahrzunehmen.

Er sah, was er gehofft hatte, nie sehen zu müssen: Fotos von seiner geliebten Frau Dao, Brust und Schultern von Kugeln durchsiebt, ihr Gesicht von traumatischen Wunden grotesk entstellt. Auf der zweiten Seite sah er ähnliche Fotos von Alyssa, deren armer Körper wegen seiner Verwundbarkeit, seiner geringeren Größe noch schlimmer zugerichtet war. Bourne saß vor Schmerz und Entsetzen wie gelähmt vor diesen Schreckensbildern. Aber er musste weitermachen. Noch eine Seite, noch ein Satz Fotos, um die Tragödie ganz zu erleben.

Bourne scrollte zur dritten Seite weiter und machte sich darauf gefasst, ähnliche Aufnahmen von Joshua zu sehen. Nur gab es keine.

Aus Verblüffung tat er einen Augenblick lang nichts. Erst glaubte er an eine Computerpanne, durch die er unabsichtlich auf eine andere Archivseite geraten war. Aber nein, der Name stand da: Joshua Webb. Darunter folgten jedoch Angaben, die sich wie glühende Nadeln in sein Bewusstsein bohrten:»Drei Teile von Kleidungsstücken wie unten aufgeführt, ein Schuh (Sohle und Absatz fehlen), Fundort: zehn Meter von den Leichen von Dao und Alyssa Webb entfernt. Joshua Webb nach einstündi-ger Suche für tot erklärt. KLG.«

KLG. Die bei der Army übliche Abkürzung schrie ihn förmlich an. Keine Leiche gefunden. Bourne fühlte eine kalte Hand nach seinem Herzen greifen. Sie hatten eine Stunde nach Joshua gesucht — nur eine Stunde lang? Und warum hatte ihm das niemand gesagt? Er hatte drei Särge beisetzen lassen, hatte, von Schmerz, Reue und Schuldgefühlen fast vernichtet, am Grab seiner Familie gestanden. Und die ganze Zeit über hatten sie’s gewusst, die Scheißkerle hatten’s gewusst. Er lehnte sich zurück. Sein Gesicht war kreidebleich, seine Hände zitterten. In seinem Herzen wütete ein Zorn, den er nicht beherrschen konnte.

Er dachte an Joshua; er dachte an Chan.

Sein Intellekt stand in Flammen, wurde von der schrecklichen Möglichkeit, die er verdrängt hatte, seit er den aus Stein geschnittenen Buddha an Chans Hals gesehen hatte, fast überwältigt. Was war, wenn Chan wirklich Joshua war? Dann war er eine Tötungsmaschine, ein Monster geworden. Bourne wusste nur allzu gut, wie leicht man in den Dschungeln Südostasiens den Verstand verlieren und zum Killer werden konnte. Aber es gab natürlich noch eine andere Möglichkeit, zu der sein Verstand logischerweise neigte und an die er sich klammerte: Die Verschwörung mit dem Ziel, Chan als seinen Joshua auszugeben, reichte erheblich weiter und war komplexer, als er ursprünglich geglaubt hatte. Dann waren alle diese Angaben gefälscht, und die Verschwörung reichte bis in höchste Regierungskreise hinein. Aber seine Konzentration auf die üblichen Verschwörungstheorien bewirkte seltsamerweise nur, dass er noch desorientierter wurde.

Vor seinem inneren Auge erschien Chan, der ihm den aus Stein geschnittenen Buddha hinhielt und dabei sagte: »Den hast du mir geschenkt — ja, das hast du getan. Und dann hast du mich verlassen, damit ich im Dschungel…«

Bourne spürte plötzlich, dass ihm schlecht wurde, und als sein Magen wütend rebellierte, sprang er von seinem Platz vor dem Laptop auf, hastete, ohne auf die Schmerzen zu achten, durchs Wohnzimmer und lief ins Bad, wo er sich übergab, bis sein Magen restlos leer war.