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«Bis morgen früh bei Sonnenaufgang«, sagte Spalko. Als er dann aufstand, folgten die anderen seinem Beispiel. »La illaha ill Allah.«

«La illaha ill Allah«, erwiderten vier ernste Stimmen im Chor.

Spät nachts lag Stepan Spalko im Bett und rauchte eine Zigarette. Obwohl in seinem Zimmer eine Lampe brannte, konnte er die glitzernden Lichter der Großstadt und dahinter die dunkle Wildnis des Nationalparks sehen. Er schien in Gedanken versunken zu sein, aber in Wirklichkeit gab es nichts, das ihm hätte Sorgen machen müssen. Er wartete.

Achmed hörte das ferne Gebrüll von Raubtieren und fand keinen Schlaf. Er setzte sich im Bett auf, rieb sich die Augen mit den Handrücken. Dass er nicht einschlafen konnte, war ungewohnt für ihn, und er wusste nicht recht, was er dagegen tun sollte. Vorerst ließ er sich wieder zurücksinken, aber er war jetzt hellwach, spürte jeden hämmernden Herzschlag und lag mit offenen Augen da.

Er dachte an den kommenden Tag, der so vieles versprach. Allah gewähre uns die Gnade, dass damit auch für unser Volk ein neuer Tag anbricht, betete er.

Dann setzte er sich seufzend auf, schwang die Beine über die Bettkante und stand auf. Er zog die merkwürdige westliche Kleidung — Hemd und Hose — an und fragte sich, ob er sich jemals an sie würde gewöhnen können. Mit Allahs Hilfe niemals.

Achmed war eben dabei, die Tür seines Zimmers zu öffnen, als er draußen Sina vorbeigehen sah. Sie schritt wunderbar anmutig den Korridor entlang und bewegte sich lautlos, mit provokant sich wiegenden Hüften. Er hatte sich schon oft heimlich die Lippen geleckt, wenn sie vor ihm hergegangen war, und versuchte immer, möglichst viel von ihrem Duft einzuatmen.

Er spähte durch den Türspalt. Sie entfernte sich von ihrem Zimmer, sodass er sich fragte, wohin sie unterwegs sein mochte. Im nächsten Augenblick bekam er seine Antwort. Er machte große Augen, als sie leise an die Tür des Scheichs klopfte, die sich sofort öffnete, und der Scheich ließ sie persönlich eintreten. Vielleicht hatte er Sina zu sich beordert, um sie wegen irgendeiner Disziplinlosigkeit zu tadeln, die Achmed nicht mitbekommen hatte.

Dann sagte sie in einem Tonfall, den er bei ihr noch nie gehört hatte:»Hassan schläft«, und er verstand alles.

Als leise angeklopft wurde, drehte Spalko sich zur Seite und drückte seine Zigarette aus; dann stand er auf, ging barfuß durchs Zimmer und öffnete die Tür.

Auf dem Korridor stand Sina.»Hassan schläft«, sagte sie, als müsse sie ihr Kommen begründen.

Spalko trat wortlos einen Schritt zur Seite, und sie kam herein, schloss die Tür lautlos hinter sich. Er packte sie, warf sie aufs Bett. Wenige Augenblicke später stöhnte sie bereits nackt unter ihm. Aus ihrer Art, sich zu lieben, sprach eine gewisse Wildheit, als seien sie am Ende der Welt angelangt. Und als es vorbei war, war es keineswegs vorüber, denn sie lag mit gespreizten Beinen auf ihm, streichelte und liebkoste ihn, flüsterte ihm mit deutlichen Ausdrücken ihre Begierden ins Ohr, bis er sie, wieder erregt, nochmals nahm.

Danach ruhte Sina in seinen Armen, ließ Rauch aus ihrem halb geöffneten Mund quellen. Die Lampe war ausgeknipst, und sie betrachtete ihn nur im Widerschein der Lichtpunkte der nächtlichen Großstadt. Seit er sie erstmals berührt hatte, sehnte sie sich danach, ihn besser zu kennen. Sie wusste nichts über seine Vergangenheit — ihres Wissens gab es niemanden, der sie kannte. Sprach er mit ihr darüber, vertraute er ihr die kleinen Geheimnisse seines Lebens an, dann würde er sich an sie binden wie sie an ihn.

Sie fuhr mit der Fingerspitze um seine Ohrmuschel, über die unnatürlich glatte Haut seiner Wange.»Ich möchte wissen, wie das passiert ist«, sagte sie leise.

Spalkos Augen sahen langsam wieder klar.»Das liegt schon lange zurück.«

«Umso mehr Grund, mir davon zu erzählen.«

Er drehte den Kopf zur Seite, starrte ihr in die Augen.»Willst du’s wirklich wissen?«

«Ja, sehr gern.«

Er atmete tief durch.»Damals haben mein jüngerer Bruder und ich noch in Moskau gelebt. Er hatte ständig Schwierigkeiten, gegen die er machtlos war; er hatte die Veranlagung eines Süchtigen.«

«Drogen?«

«Allah sei Dank, nein. In seinem Fall war’s Spielsucht. Er musste einfach wetten, selbst wenn er völlig abgebrannt war. Dann hat er mich um Geld angehauen, und ich habe ihm natürlich immer Geld geliehen, weil er’s verstanden hat, mich mit glaubhaften Geschichten einzuwickeln.«

Er drehte sich zur Seite, schüttelte eine Zigarette aus dem Päckchen und zündete sie an.»Dann kam irgendwann der Zeitpunkt, an dem seine Geschichten nicht mehr glaubhaft klangen, oder vielleicht konnte ich’s mir einfach nicht leisten, ihm noch länger zu glauben. Jedenfalls habe ich ihm erklärt, der Geldhahn sei zugedreht, weil ich törichterweise glaubte, dann müsse er aufhören. «Er inhalierte tief, atmete den Rauch geräuschvoll aus.»Aber das hat er nicht getan. Was hat er stattdessen getan, meinst du? Er ist zu den völlig falschen Leuten gegangen, weil sie die Einzigen waren, die noch bereit waren, ihm Geld zu leihen.«

«Zur Russenmafia.«

Spalko nickte.»Genau! Er hat ihr Geld genommen, obwohl er wusste, dass er’s niemals würde zurückzahlen können, wenn er’s verlor. Er wusste, was die Kerle ihm antun würden, aber er war, wie gesagt, ein Sklave seiner Leidenschaft. Er hat gewettet und wie meistens verloren.«

«Und?«Sie saß wie auf glühenden Kohlen, wartete begierig darauf, dass er weitersprach.

«Sie haben darauf gewartet, dass er seine Schulden bezahlen würde, und als er’s nicht getan hat, sind sie massiv geworden.«

Er starrte das glühende Ende der Zigarette an. Die Fenster standen offen. Ab und zu übertönte lautes Tiergebrüll oder unheimliches Geheul das leise Brausen des Verkehrs und das Rascheln der Palmwedel.

«Beim ersten Mal haben sie ihm nur eine Abreibung verpasst«, sagte er mit einer Stimme, die kaum lauter als ein Flüstern war.»Nichts sehr Schlimmes, weil sie noch dachten, er werde das Geld irgendwie auftreiben. Aber als sie merkten, dass er nichts hatte, auch nichts beschaffen konnte, haben sie ihn wie einen Straßenköter abgeknallt.«

Seine Zigarette war aufgeraucht, aber Spalko ließ sie bis zu Mittel- und Zeigefinger herunter abbrennen. Er schien sie ganz vergessen zu haben. Neben ihm sagte Sina kein Wort, so gefesselt war sie von seiner Erzählung.

«Danach verging ein halbes Jahr«, sagte er und schnippte die Zigarettenkippe quer durch den Raum zum Fenster hinaus.»Ich habe meine Hausaufgaben gemacht; ich habe die Leute bezahlt, die bezahlt werden mussten, und endlich meine Chance bekommen. Zufällig hat der Gangsterboss, der den Tod meines Bruders befohlen hatte, sich jede Woche einmal beim Friseur im Hotel Metropol rasieren lassen.«

«Ich weiß, was jetzt kommt«, sagte Sina.»Du hast dich als sein Friseur ausgegeben, und als er vor dir gesessen hat, hast du ihm mit einem Rasiermesser die Kehle durchgeschnitten!«

Er starrte sie sekundenlang an, dann begann er zu lachen.»Das ist sehr gut, filmisch sehr wirkungsvoll. «Er schüttelte den Kopf.»Aber im richtigen Leben hätte das nicht funktioniert. Der Boss war seit fünfzehn Jahren beim selben Friseur; er hätte jeden Ersatzmann abgelehnt. «Spalko beugte sich über sie, küsste sie.»Sei nicht enttäuscht, sondern lass dir das eine Lehre sein. «Er schlang einen Arm um Sina, zog sie an sich. Irgendwo im Nationalpark brüllte ein Leopard.

«Nein, ich habe gewartet, bis er frisch rasiert, frisiert und entspannt von dem aufmerksamen Service war. Ich habe ihm auf offener Straße vor dem Metropol aufgelau-ert — an einem so öffentlichen Ort, dass nur ein Verrückter ihn wählen konnte. Als er aus dem Hotel gekommen ist, habe ich ihn und seine Leibwächter erschossen.«

«Und dann bist du entkommen.«

«In gewisser Weise«, sagte er.»An jenem Tag bin ich entkommen, aber ein halbes Jahr später bin ich in einer anderen Stadt aus einem fahrenden Auto heraus mit einem Molotowcocktail beworfen worden.«