Und so begann er sich anzuziehen, während er wehmütig die Reflexion von Ilonas schweißnassem Körper auf den Mosaikkacheln betrachtete. McColl war ein Hüne mit der Statur eines Footballverteidigers aus dem Mittleren Westen und breitem, ausdruckslosem Gesicht. Er trainierte wie besessen mit Hanteln, was man ihm anmerkte. Seine Muskeln spielten bei jeder Bewegung, die er machte.
«Ich bin noch nicht fertig«, protestierte Ilona, während ihre riesigen schwarzen Augen ihn verschlangen.
«Ich auch nicht«, sagte McColl und ließ sie auf der Liege zurück.
Auf dem Vorfeld des Nelson Airports in Nairobi standen zwei Privatjets. Beide gehörten Stepan Spalko; beide trugen das Zeichen von Humanistas, Ltd. auf dem Rumpf und am Leitwerk. Mit der ersten Maschine war Spalko aus Budapest gekommen. Das zweite Flugzeug hatte die Mitarbeiter von Humanistas hergebracht, die jetzt mit ihm nach Budapest zurückfliegen würden. Dieser Jet sollte Arsenow und Sina nach Island bringen, wo sie mit den anderen Terroristen zusammentreffen würden, die aus Tschetschenien über Helsinki nach Reykjavik unterwegs waren.
Spalko und Arsenow standen sich gegenüber. Sina blieb einen Schritt hinter Arsenows linker Schulter. Er glaubte bestimmt, sie nehme diese Position aus Ehrerbietung ein, aber Spalko wusste es besser. Ihre Augen glühten vor Verlangen, während sie ihn mit Blicken verschlang.
«Du hast in jeder Beziehung Wort gehalten, Scheich«, sagte Arsenow aufrichtig.»Die Waffe wird uns in Reykjavik den Sieg bringen, das steht außer Zweifel.«
Spalko nickte.»Bald bekommt ihr alles, was euch schon lange zusteht.«
«Unser Dank erscheint mir jämmerlich gering.«
«Du stellst dein Licht unter den Scheffel, Hassan. «Spalko schlug leicht auf den Aktenkoffer in seiner linken Hand.»Reisepässe, Dienstausweise, Gebäudepläne, die neuesten Fotos, alles, was du brauchst. «Er übergab den Aktenkoffer.»Der Treff mit dem Boot ist für morgen früh um drei Uhr geplant. «Er nickte Arsenow zu.»Möge Allah dir Mut und Kraft geben. Möge Allah deine gepanzerte Faust führen.«
Als Arsenow, der in Gedanken bei seiner kostbaren
Fracht war, sich abwandte, sagte Sina:»Möge unser nächstes Treffen uns in eine große Zukunft führen, Scheich.«
Spalko lächelte.»Die Vergangenheit wird sterben«, antwortete er mit einem Blick, der Bände sprach,»um Platz für diese große Zukunft zu machen.«
Sina lachte vergnügt in sich hinein, als sie Hassan Ar-senow folgte, der bereits die kurze Fluggasttreppe zur Kabine hinaufging.
Spalko sah zu, wie die Tür sich hinter ihnen schloss, bevor er zu seiner geduldig auf dem Vorfeld wartenden Maschine hinüberging. Er klappte sein Handy auf und gab eine Nummer ein; als eine vertraute Stimme sich meldete, sagte er ohne Vorrede:»Bournes Fortschritte in dieser Sache sind eine bedrohliche Entwicklung. Ich kann es mir nicht leisten, darauf zu warten, dass Chan ihn öffentlich erledigt… Ja, ich weiß, falls er jemals vorgehabt hat, Bourne umzulegen. Chan ist ein neugieriger Kerl, ein Rätsel, das ich nie habe lösen können. Aber jetzt ist er so unberechenbar, dass ich annehmen muss, dass er eigene Absichten verfolgt. Stirbt Bourne jetzt, taucht Chan ab, sodass nicht mal ich ihn wieder finden kann. Nichts, absolut nichts darf das behindern, was in zwei Tagen geschehen wird. Drücke ich mich klar genug aus? Gut, dann hör mir jetzt zu. Es gibt nur eine Möglichkeit, sie beide auszuschalten.«
McColl hatte nicht nur Annaka Vadas’ Namen und Adresse erhalten — durch einen beinahe unglaublichen Zufall nur vier Straßenblocks nördlich der Bäder —, sondern auch ihr Foto als JPEG-Bild auf sein Handy bekommen. Daher hatte er keine Mühe, sie zu erkennen, als sie aus dem Haus 106–108 Fo utca kam. Ihre Schönheit und ihre Art, sich selbstbewusst zu bewegen, beeindruckten ihn sofort. Er sah zu, wie sie ihr Handy einsteckte, den blauen Skoda aufsperrte und hinters Lenkrad glitt.
Kurz bevor Annaka den Zündschlüssel ins Schloss steckte, erhob Chan sich vom Rücksitz ihres Wagens und sagte:»Ich sollte Bourne alles erzählen.«
Sie fuhr zusammen, versuchte aber nicht, sich umzudrehen, so gut war sie ausgebildet. Sie starrte ihn nur im Rückspiegel an und erwiderte knapp:»Ihm was erzählen? Du weißt doch nichts!«
«Ich weiß genug. Zum Beispiel weiß ich, dass du die Polizei in Molnars Apartment geholt hast. Ich weiß, warum du das getan hast. Bourne war gefährlich nahe daran, die Wahrheit zu entdecken, nicht wahr, gefährlich dicht davor, herauszubekommen, dass Spalko ihm den Doppelmord angehängt hat. Das hatte ich ihm bereits gesagt, aber offensichtlich will er mir kein Wort glauben.«
«Warum auch? Für ihn besitzt du keinerlei Glaubwürdigkeit. Seiner Überzeugung nach bist du Teil einer großen Verschwörung mit dem Ziel, ihn zu manipulieren.«
Chans Hand schoss über die Vordersitzlehne und packte mit stählernem Griff ihren Arm, der sich langsam bewegt hatte, während sie gesprochen hatte.»Lass das!«Er griff sich ihre Umhängetasche, klappte sie auf und nahm die Pistole heraus.»Du hast schon mal versucht, mich umzubringen. Eine zweite Chance bekommst du nicht, darauf kannst du Gift nehmen.«
Sie starrte sein Spiegelbild an. In ihrem Inneren lagen Emotionen im Widerstreit.»Du glaubst, dass ich dich belüge, was Jason angeht, aber das stimmt nicht.«
«Mich würde nur interessieren«, sagte er leichthin, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen,»wie du ihm eingeredet hast, du hättest deinen Vater geliebt, obwohl du ihn in Wirklichkeit gehasst hast.«
Sie saß stumm da, atmete langsam und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Sie wusste, dass sie sich in äußerst gefährlicher Lage befand. Die Frage war nur, wie sie sich daraus befreien sollte.
«Wie du gejubelt haben musst, als er erschossen wurde!«, fuhr Chan fort.»Aber wie ich dich kenne, hast du dir vermutlich gewünscht, du hättest ihn selbst umlegen dürfen.«
«Willst du mich liquidieren?«, wehrte sie mit gepresster Stimme ab.»Dann tu’s gleich, und erspar mir dein Geschwätz.«
Wie eine zustoßende Kobra schlossen seine Hände sich so blitzschnell um ihren Hals, dass sie erstmals besorgt wirkte, worauf er’s schließlich abgesehen hatte.»Ich habe nicht vor, dir irgendwas zu ersparen, Annaka. Was hast du mir erspart, als du Gelegenheit dazu hattest?«
«Ich habe nicht gedacht, dass ich dich mal verhätscheln müsste.«
«Du hast selten gedacht, als wir zusammen waren«, sagte er,»zumindest nicht an mich.«
Ihr Lächeln war kalt.»Oh, ich habe ständig an dich gedacht.«
«Und du hast jeden dieser Gedanken Stepan Spalko weitererzählt. «Seine Hände packten fester zu, rissen ihren Kopf nach hinten.»Stimmt das etwa nicht?«
«Wieso fragst du, wenn du die Antwort schon weißt?«, sagte sie leicht außer Atem.
«Seit wann hat er mit mir gespielt?«
Annaka schloss kurz die Augen.»Von Anfang an.«
Chan knirschte vor Wut mit den Zähnen.»Was bezweckt er damit? Was will er von mir?«
«Das weiß ich nicht. «Sie keuchte, weil seine Hände so fest zudrückten, dass sie ihr die Luft abschnürten. Als er seinen Griff wieder etwas lockerte, sagte sie mit schwacher Stimme:»Auch wenn du mir noch so wehtust, du bekommst immer dieselbe Antwort, weil das die Wahrheit ist.«
«Die Wahrheit!«Chan lachte verächtlich.»Du würdest die Wahrheit nicht erkennen, wenn sie dich bisse. «Trotzdem glaubte er ihr und war von ihrer Unbrauchbarkeit angewidert.»Was hast du mit Bourne zu schaffen?«
«Ich soll ihn von Stepan fern halten.«
Er nickte, weil er sich an sein Gespräch mit Spalko erinnerte.»Das klingt plausibel.«