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Dann merkte sie, dass jemand auf sie zutrat, und sah auf. Es war Magomet, einer der beiden Unterführer, die Hassan nach Nairobi mitgenommen hatte, damit sie Zeugen wurden, wie sich ihr Tor zur Freiheit öffnete. Achmed, der zweite Unterführer, mied sie ganz bewusst, seit er gesehen hatte, dass sie sich in westlicher Kleidung wohl fühlte. Magomet, ein Bär von einem Mann mit mokkabraunen Augen und lockigem Vollbart, den er mit den Fingern strählte, wenn er nervös war, lehnte sich leicht gebeugt an den Ledersessel vor ihr.

«Alles in Ordnung, Sina?«, fragte er.

Ihr Blick suchte zuerst Hassan, fand ihn schlafend. Dann verzog sie die Lippen zu einem schwachen Lächeln.»Ich habe von unserem bevorstehenden Triumph geträumt.«

«Herrliche Aussichten, nicht wahr? Endlich nehmen wir Rache! Unser Tag in der Sonne!«

Obwohl sie merkte, dass er sich danach verzehrte, neben ihr zu sitzen, forderte sie ihn nicht dazu auf; er würde damit zufrieden sein müssen, nicht weggeschickt zu werden. Sie räkelte sich, sodass ihre Brüste hervortraten, und beobachtete amüsiert, wie sein Blick starr wurde. Fehlt nur noch, dass ihm die Zunge aus dem Mund hängt, dachte sie.

«Möchtest du einen Kaffee?«, fragte er.

«Ein Kaffee wäre gut. «Weil sie wusste, dass er auf Hinweise lauerte, achtete sie darauf, dass ihr Tonfall strikt neutral blieb. Im Gegensatz zu Achmed, der sie wie die meisten Tschetschenen nur als minderwertiges weibliches Wesen betrachtete, war Magomet von ihrem Status durchaus beeindruckt. Der Scheich hatte ihr eine wichtige Aufgabe übertragen, und das Vertrauen, das er ihr dadurch aussprach, bestärkte Magomet in seinem Respekt.

Sina wankte für kurze Zeit in ihrem Entschluss, als ihr klar wurde, welch gewaltige kulturelle Barriere sie niederzureißen versuchte. Aber nachdem sie sich einige Augenblicke lang bewusst konzentriert hatte, war sie wieder obenauf. Der Plan, den sie auf Anregung des Scheichs formuliert hatte, war vernünftig; er würde funktionieren- das wusste sie so sicher, wie sie atmete. Als Magomet sich jetzt abwandte, sprach sie rasch, um ihren Plan zu befördern.»Wenn du schon Kaffee holst«, sagte sie,»dann hol dir auch einen.«

Als er zurückkam, nahm sie den Kaffee entgegen und kostete einen kleinen Schluck, ohne Magomet aufzufordern, Platz zu nehmen. Er blieb stehen, stützte die Ellbogen auf die Sessellehne und hielt seinen Pappbecher zwischen den Händen.

«Erzähl mir von ihm«, sagte Magomet.»Wie ist er?«

«Der Scheich? Warum fragst du das nicht Hassan?«

«Hassan Arsenow erzählt einem nichts.«

«Vielleicht«, sagte sie und sah Magomet über den Rand ihres Bechers hinweg an,»hütet er seinen bevorzugten Status eifersüchtig.«

«Du etwa nicht?«

Sina lachte leise.»Nein, ich teile mein Wissen gern. «Sie trank noch einen Schluck Kaffee.»Der Scheich ist ein Visionär. Er sieht die Welt nicht, wie sie ist, sondern wie sie in einem Jahr, in fünf Jahren sein wird. Es ist eine erstaunliche Erfahrung, mit einem Mann zusammen zu sein, der alle Aspekte seines Wesens so vollständig beherrscht, der weltweit so ungeheure Macht ausübt.«

Magomet atmete erleichtert auf.»Dann sind wir wahrhaft gerettet.«

«Ja, gerettet. «Sina stellte ihren Becher weg und holte den Klingenrasierer und die Rasiercreme, die sie in der gut ausgestatteten Bordtoilette gefunden hatte, aus ihrer Umhängetasche.»Komm, setz dich mir gegenüber.«

Magomet zögerte nur einen Augenblick. Als er saß, berührten ihre Knie sich fast.

«Mit diesem Bart kannst du in Island nicht aus dem Flugzeug steigen, das musst du verstehen.«

Seine dunkelbraunen Augen beobachteten sie, während er sich mit den Fingern durch den Bart fuhr. Ohne den Blickkontakt abreißen zu lassen, griff Sina nach seiner Hand und zog sie vom Bart weg. Dann drückte sie etwas Rasiercreme auf seine rechte Wange und verrieb sie. Die Klinge kratzte über seine Haut. Magomet zitterte leicht; als sie ihn zu rasieren begann, schloss er die Augen.

Irgendwann merkte sie, dass Achmed sich aufgesetzt hatte und sie beobachtete. Unterdessen war Magomets Gesicht schon zur Hälfte bartlos. Auch als Achmed aufstand und herankam, arbeitete sie gelassen weiter. Er sagte nichts, sah nur staunend zu, wie unter dem abgenommenen Bart allmählich Magomets Gesicht zum Vorschein kam.

Schließlich räusperte Achmed sich und fragte mit seiner sanften Stimme:»Bin ich als Nächster dran?«

«Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Kerl eine so lausige Waffe tragen würde«, sagte Kevin McColl, als er Annaka aus dem Skoda zerrte. Er schnaubte verächtlich, als er sie einsteckte.

Annaka, die keinen Widerstand leistete, war froh, dass er ihre Pistole für Chans Waffe hielt. Ein geheimes kleines Lächeln erfüllte sie, als sie mit hängendem Kopf und gesenktem Blick unter einem bleigrauen Nachmittagshimmel auf dem Gehsteig stand. Wie so viele Männer konnte er sich nicht vorstellen, dass sie eine Waffe tragen und sogar damit umgehen könnte. Was McColl nicht wusste, würde ihn bald sehr wundern — dafür würde sie sorgen.

«Als Erstes möchte ich Ihnen versichern, dass Sie absolut nichts zu befürchten haben. Sie brauchen nur meine Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten und meine Befehle genau auszuführen. «Mit dem Daumen drückte er auf einen Nervenknoten auf der Innenseite ihres linken Ellbogens. Nur genug, damit sie wusste, dass er’s ernst meinte.»Verstehen wir uns?«

Sie nickte, dann schrie sie leise auf, als sein Daumen den Druck verstärkte.

«Wenn ich Sie etwas frage, erwarte ich eine Antwort.«

«Ja, ich verstehe«, sagte sie.

«Gut. «Er trat mit ihr in den Schatten des Eingangs von Gebäude 106–108 Fo utca.»Ich suche Jason Bourne. Wo ist er?«

«Keine Ahnung.«

Ihre Knie gaben vor Schmerz nach, als er etwas Schreckliches mit der Innenseite ihres Ellbogens anstellte.

«Versuchen wir’s noch mal?«, fragte McColl.»Wo ist Jason Bourne?«

«Oben«, sagte sie, während ihr Tränen über die Wangen flossen.»In meiner Wohnung.«

Sein harter Griff ließ merklich nach.»Sehen Sie, wie einfach das war? Kein Wirbel, keine Aufregung. So, jetzt gehen wir gemeinsam rauf.«

Annaka benützte ihren Schlüssel, um die Haustür aufzusperren. Sie machte Licht, dann gingen sie nebeneinander die breite Treppe hinauf. Oben im dritten Stock hielt er sie kurz an.»Okay, passen Sie auf«, sagte er leise.»Sie benehmen sich, als wäre alles in bester Ordnung, kapiert?«

Sie hätte beinahe nur genickt, aber dann bestätigte sie hastig:»Ja.«

Er zog sie nach hinten gegen sich.»Wenn Sie ihm das geringste Warnsignal geben, weide ich Sie aus wie eine Forelle. «Er stieß sie vorwärts.»Also los!«

Sie ging zu ihrer Wohnungstür, steckte den Schlüssel ins Schloss und sperrte auf. Als sie die Tür öffnete, sah sie rechts vor sich, dass Jason mit halb geschlossenen Augen zusammengesunken auf dem Sofa hockte.

Bourne sah auf.»Ich dachte, du wolltest.«

In diesem Augenblick stieß McColl sie beiseite und riss seinen Revolver hoch.»Daddy ist da!«, rief er, während er auf die halb liegende Gestalt zielte und abdrückte.

Kapitel zweiundzwanzig

Annaka rammte ihren abgewinkelten Ellbogen gegen den Arm mit dem Revolver. Sie hatte den rechten Augenblick und McColls erste Bewegung abgewartet. Das Geschoss schlug weit über Bournes Kopf an der Stelle in die Wand ein, wo sie an die Decke stieß.

Der Amerikaner brüllte vor Wut und grapschte mit der linken Hand nach ihr, während er die Rechte schon wieder senkte, um auf den halb Liegenden zu zielen. Seine Finger gruben sich in Annakas Haar, packten fest zu, rissen sie nach hinten von den Beinen. Im selben Augenblick kam Bournes Hand mit der Keramikpistole unter der Steppdecke hervor. Er wollte dem Angreifer in die Brust schießen, aber Annaka stand zwischen ihnen. Also veränderte er den Zielpunkt und traf den rechten Oberarm des Eindringlings. Der Revolver fiel auf den Teppich, aus der Wunde spritzte Blut, und Annaka kreischte, als McColl sie als Schutzschild vor sich zog.