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Dritte Phase

Ist die Vorstellungskraft einmal geschult, genügt der Wille, und sie nimmt sich aller Träume an.

Bereits in diesem Stadium stellt sich kaum mehr Ermüdung ein, auch nicht auf geistiger Ebene. Es kommt zu einer völligen Auflösung der Persönlichkeit. Wir sind nur mehr bloße Asche, ausgestattet mit einer Seele, doch mit keiner Form – nicht einmal mit der des Wassers, das die Form des Gefäßes annimmt, in dem es ist.

Ist hierfür […] Sorge getragen, können in uns ganze Dramen, Vers um Vers, von allein entstehen. Vielleicht fehlt uns bereits die Kraft, sie niederzuschreiben … doch nicht einmal das wird nötig sein. Wir können aus zweiter Hand erschaffen, uns in uns einen Dichter beim Schreiben vorstellen, auf seine ihm eigene Weise, während ein anderer Dichter dies wiederum auf eine andere Weise tut … Da ich diese Fähigkeit aufs höchste vervollkommnet habe, kann ich auf zahllose verschiedene Weisen schreiben, und eine jede ist eigenständig.

Die höchste Traumphase ist erreicht, wenn wir ein Bild mit zahlreichen Gestalten geschaffen haben, deren Leben wir alle zugleich leben, wenn wir all diese Seelen zusammen und wechselseitig sind. Der Grad der Entpersönlichung und das Maß, in dem unser Geist zu Staub zerfällt, sind unvorstellbar, und ich gebe zu, in dieser Traumphase ist es schwer, der völligen Ermüdung des gesamten Wesens zu entfliehen … Doch welch ein Triumph!

Das ist die einzige, die höchste asketische Lebensweise. Ohne Glaube und ohne einen Gott.

Gott bin ich.

Trauermarsch

Was tut der Mensch, das die Welt stören oder verändern könnte? Gibt es nicht für jeden Menschen von Wert einen anderen, ebenso wertvollen? Für gewöhnlich schöpfen die Menschen ihren Wert einer aus dem anderen; die Tatmenschen aus der Kraft, die sie verkörpern; die Kopfmenschen aus dem, was sie erschaffen.

Was immer du für die Menschheit geschaffen hast, es ist dem Erkalten der Erde preisgegeben. Was immer du der Nachwelt hinterlassen hast, es ist entweder so sehr du selbst, daß kein anderer es verstehen wird, oder so sehr von deiner Epoche geprägt, daß die anderen Epochen es nicht verstehen werden, oder aber es richtet sich an alle Epochen und wird nicht verstanden werden vom letzten Abgrund, in den alle Epochen stürzen.

Fenster, Bewegungen im Schatten. Hinter uns das Geheimnis […]

Wir alle sind sterblich, innerhalb einer gerechten Zeit. Nie früher oder später. Manche sterben, kaum sind sie gestorben; andere leben ein wenig weiter in der Erinnerung derer, die sie sahen und liebten; wieder andere überleben im Gedächtnis der Nation, die sie hervorbrachte; einige gehen ein ins Gedächtnis der Zivilisation, der sie angehörten; und wenige nur umfassen die entgegengesetzten Strömungen verschiedener Zivilisationen. Alle aber sind umzingelt vom Abgrund der Zeit, der sie irgendwann verschlingt, alle, mit seiner Gefräßigkeit […]

Langes Leben ist ein Wunsch, Ewigkeit eine Illusion.

Tod ist, was wir sind und leben. Wir werden tot geboren, leben tot und gehen tot schon in den Tod.

Alles Leben lebt, weil es sich verändert; es verändert sich, weil es vergeht; und weil es vergeht, stirbt es. Alles Leben verwandelt sich fortwährend, verneint sich beständig, entzieht sich dem Leben.

Leben ist Zwischenzeit, ein Band, eine Beziehung, eine Beziehung zwischen Vergangenem und Vergehendem, tote Zeit zwischen Tod und Tod.

… der Verstand, Fiktion der Oberfläche und des Irrtums.

Das materielle Leben ist entweder bloßer Traum oder ein reiner Zusammenschluß von Atomen, blind gegenüber den Schlußfolgerungen unseres Verstandes und den Beweggründen unserer Emotion. Somit ist Leben im wesentlichen Illusion, Schein, ist entweder Sein oder Nicht-Sein, und die Illusion, der Schein, nichts zu sein, muß Nicht-Sein sein; Leben ist Tod.

Nichtig ist all unser schöpferisches Bemühen, solange wir nach Unsterblichkeit schielen! »Ewiges Gedicht«, sagen wir; »unsterbliche Worte«. Doch das materielle Erkalten der Erde nimmt nicht nur die Lebenden mit, die sie bedecken, auch die […]

Ein Homer oder ein Milton vermögen nicht mehr als ein Komet, der auf die Erde trifft.

Trauermarsch für Ludwig II., König von Bayern

Länger denn je verweilte heute der Tod an der Schwelle meiner Tür, mir seine Ware feilzubieten. Langsamer denn je breitete er Teppiche aus vor mir, Seide und Damast seines Trostes und seines Vergessens. Er pries sie lächelnd, ohne sich zu kümmern, ob ich sein Lächeln sah. Doch kaum war ich versucht zu kaufen, erklärte er mir, er verkaufe nichts. Er sei nicht gekommen, damit ich Gefallen fände an dem, was er mir zeige, sondern durch das, was er mir zeige, Gefallen an ihm. Die Teppiche, sagte er mir, seien wie jene, auf denen man ginge in seinem fernen Palast; die Seide sei von eben der Art, wie man sie in seinem Schattenschloß trage; und der prächtige Damast sei weniger prächtig als jener, der die Altäre seines Hofes jenseits der Welt schmücke.

Sanft löste er das Band, das mich an die nackte Schwelle meiner Heimstatt fesselte. »Dein Herd«, sagte er, »hat kein Feuer: was also willst du mit einem Herd?« »Dein Tisch«, sagte er, »hat kein Brot: wozu also nützt dir ein Tisch?« »Dein Leben«, sagte er, »hat niemanden, der es begleitet: mit wem also lockt dich das Leben?«

»Ich bin«, sagte er, »das Feuer der erloschenen Herde, das Brot der leeren Tische, der getreue Gefährte aller Einsamen und Unverstandenen. Der Glanz, an dem es der Welt fehlt, ist die Pracht meines dunklen Reiches. In ihm ermüdet die Liebe nie, denn sie strebt nicht nach Besitz noch verletzt sie, denn sie kann des Besitzes nie müde werden. Meine Hand legt sich leicht auf das Haar derer, die denken, und sie vergessen; meine Brust ist denen Stütze, die vergeblich hoffen, und sie schöpfen endlich Vertrauen.«

»Die Liebe zu mir kennt keine verzehrende Leidenschaft, keine rasende Eifersucht, kein trübendes Vergessen. Mich lieben ist wie eine Sommernacht, wenn die Bettler unter freiem Himmel schlafen wie Steine am Wegesrand. Über meine stummen Lippen kommt kein Sirenengesang und kein Wohlklang von Bäumen und Quellen; doch mein Schweigen heißt willkommen wie eine unbestimmte Musik, und meine Ruhe ist wohltuend wie die Wahrnehmung eines sanften Windes.«

»Was also«, fragte er, »bindet dich an das Leben? Die Liebe sucht dich nicht, der Ruhm fragt nicht nach dir, die Macht weiß nicht, wo du bist. Das Haus, das man dir vererbte, war eine Ruine. Das Land, das man dir überließ, verlor seine erste Frucht an den Frost und seine Verheißung an die Sonnenglut. Der Brunnen auf deinem Gut war stets trocken. Und noch bevor du sie sahst, verfaulten die Blätter in deinen Teichen; Unkraut bedeckte die Alleen und Wege, die deine Füße nie betraten.«

»In meinem Reich aber, in dem die Nacht Königin ist, wirst du Trost finden, denn es gibt dort keine Hoffnung und kein Vergessen, denn es herrscht dort kein Verlangen; du wirst Ruhe finden, denn dein Leben liegt hinter dir.«

Und er zeigte mir, wie fruchtlos die Hoffnung auf bessere Tage war, kannte eines Menschen Seele nicht schon von Geburt an gute Tage. Er zeigte mir, wie wenig Traum Trost ist, denn kaum ist man aus ihm erwacht, schmerzt das Leben um so mehr. Er zeigte mir, wie wenig Schlaf Ruhe ist, denn Trugbilder bewohnen ihn, Schatten von Dingen, Spuren unseres Handelns, totgeborene Wünsche, Treibgut vom Schiffbruch des Lebens.

Und solches sagend, legte er langsam, langsamer denn je, seine Teppiche zusammen, die meine Augen versuchten, seine Seide, die meine Seele begehrte, den Damast seiner Altäre, benetzt schon von meinen Tränen.