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Wie auch immer, im Buch der Unruhe jedenfalls muß noch einiges angeglichen und überarbeitet werden, wobei ich vernünftigerweise nicht annehmen kann, daß mich dies weniger als ein Jahr kostet. Was Caeiro angeht, bin ich noch unentschieden …

An Adolfo Casais Monteiro[109]  , 13. Januar 1935

… Wie ich im Namen dieser drei schreibe? Für Caeiro rein inspirativ, es kommt über mich, ich sehe weder vorher noch weiß ich, daß ich schreiben werde. Für Ricardo Reis nach einer abstrakten Überlegung, die plötzlich in einer Ode konkret Ausdruck findet. Für Campos, wenn ich einen plötzlichen Drang zum Schreiben verspüre und nicht weiß, was ich schreiben soll. (Mein Halbheteronym Bernardo Soares, das übrigens in vielerlei Hinsicht Alvaro de Campos ähnelt, erscheint immer, wenn ich müde und schläfrig bin und meine Hemmungen und mein Denkvermögen etwas nachgelassen haben; diese Prosa ist eine ständige Träumerei. Soares ist insofern ein Halbheteronym, als sich seine Persönlichkeit, auch wenn sie nicht die meine, so doch nichts anderes ist als sie, wohl aber eine leichte Verstümmelung von ihr. Soares ist ich, allerdings ohne mein Denkvermögen und ohne meine Emotionalität. Seine Prosa ist wie die meine, bis auf gewisse formale Restriktionen, die der Verstand meinem Schreiben auferlegt, auch unser Portugiesisch unterscheidet sich in nichts; wohingegen Caeiro schlecht portugiesisch schrieb, Campos einigermaßen, doch mit gelegentlichen Fehlern, Reis besser als ich, seinen Purismus allerdings halte ich für übertrieben …)

B.  Zwei Anmerkungen

(Für ein Vorwort verwendbare Anmerkung)

Später, in einem gesonderten Buch, die zahlreichen Gedichte sammeln, die ich in fälschlicher Absicht ins Buch der Unruhe hatte aufnehmen wollen; der Titel dieses Buches sollte mehr oder minder darauf hinweisen, daß es Abfall enthält oder etwas Trennendes – jedenfalls etwas, das mit Absonderung zu tun hat.

Dieses Buch könnte, im übrigen, Teil einer endgültigen Sammelstelle für Überreste werden, der veröffentlichte Lagerraum für alles nicht zu Veröffentlichende, das auf diese Weise als trauriges Beispiel überleben kann. Vergleichbar den unvollendeten Versen eines jung verstorbenen Dichters oder den Briefen eines großen Schriftstellers. Aber was ich hier im Sinn habe, ist nicht nur weniger, sondern auch anders, und dieses Anderssein rechtfertigt die Veröffentlichung dieses Buches, da es nicht Grund für seine Nichtveröffentlichung sein dürfte.

Buch der Unruhe

(Anmerkung)

Die Gestaltung des Buches sollte auf einer möglichst strengen Auswahl der überaus unterschiedlichen Textfragmente beruhen, wobei die älteren, dem Seelenleben des Bernardo Soares nicht entsprechenden Texte seinem wahren Seelenleben, so wie es sich heute äußert, angeglichen werden müssen. Zudem ist eine Überarbeitung des gesamten Buches hinsichtlich seines Stils erforderlich, ohne daß jedoch das Träumerische und logisch Inkohärente seines persönlichen Ausdrucks verlorengeht.

Desgleichen ist zu überlegen, ob nicht auch größere Texte mit aufgenommen werden sollten; man könnte sie unter so großartigen Titeln zusammenfassen wie: Totenmarsch für Ludwig II., König von Bayern oder Symphonie einer Unruhigen Nacht. Man könnte den Totenmarsch so belassen, wie er ist, ihn aber ebensogut in ein anderes Buch aufnehmen, in dem alle Großen Texte vertreten wären.

C.  Aus dem Vorwort zu Fiktionen des Zwischenspiels

Ich nehme bestimmte Personen in Erzählungen oder Untertitel bestimmter Bücher auf und unterzeichne, was sie sagen, mit meinem Namen; andere wiederum projiziere ich ausschließlich und unterzeichne schlicht, indem ich sage, daß ich ihr Schöpfer bin. Diese Personen unterscheiden sich folgendermaßen: Bei den Personen, die ich deutlich herausstelle, hat der Stil nichts mit dem meinen zu tun oder ist dem meinen sogar gänzlich entgegengesetzt, sofern diese Gestalt dies wünscht; bei den Personen, denen ich meine Unterschrift gebe, unterscheidet sich der Stil nicht von dem meinen, es sei denn in bestimmten unumgänglichen Details, ohne die sie sich nicht voneinander unterschieden.

Ich habe einige dieser Gestalten miteinander verglichen, um ihre Verschiedenheit durch Beispiele aufzuzeigen. Der Hilfsbuchhalter Bernardo Soares und Baron von Teive, zwei mir fremde Gestalten, schreiben einen im wesentlichen gleichen Stil, mit der gleichen Grammatik und den gleichen Eigenheiten; kurz, sie schreiben einen Stil, der, ob gut oder schlecht, der meine ist. Ich vergleiche die beiden, weil sie ein und dasselbe Phänomen verkörpern: die Unfähigkeit, sich an das wirkliche Leben anzupassen, und dies zudem aus den gleichen Beweggründen. Doch obwohl Baron von Teive und Bernardo Soares das gleiche Portugiesisch schreiben, unterscheidet sich ihr Stil. Der des Edelmanns ist intellektuell, bar aller Bilder, ein wenig, wie soll ich sagen?, steif und borniert; wohingegen der des einfachen Bürgers flüssig ist, Musik und Malerei mit einfließen läßt, sich aber als wenig strukturiert darstellt. Der Edelmann denkt klar, schreibt klar und ist Herr seiner Gefühlsäußerungen, nicht jedoch seiner Gefühle; der Hilfsbuchhalter ist weder Herr seiner Gefühlsäußerungen noch seiner Gefühle, sein Denken ist vielmehr bestimmt von Gefühlen.

Überdies sind sich auch Bernardo Soares und Alvaro de Campos auf beachtliche Weise ähnlich. Allerdings macht sich bei Alvaro de Campos sofort das nachlässige Portugiesisch bemerkbar, die Inkohärenz seiner Bilder, instinktiver und unbeabsichtigter als bei Soares.

Bei der Unterscheidung, die ich zwischen beiden mache, unterlaufen mir bisweilen Fehler, die schwer auf meinem geistigen Differenzierungsvermögen lasten. Zum Beispiel, wenn ich versuche, die klangvolle Komposition Bernardo Soares’ von einer Komposition gleichen Tenors zu unterscheiden, die jedoch die meine ist …

Bisweilen gelingt mir dies auf der Stelle und zu meinem eigenen Erstaunen perfekt; und dies ohne die geringste Eitelkeit, denn ich glaube nicht an ein Fitzelchen menschliche Freiheit; was in mir geschieht, erstaunt mich, als geschähe es in jemand anderem – in zwei Fremden also.

Nur eine große Intuition kann in den Wüsten der menschlichen Seele als Kompaß dienen; nur ein Sinn, der sich des Verstandes bedient, ohne identisch mit ihm zu werden, obgleich sie miteinander verschmelzen, kann diese Traumgestalten in ihrer Wirklichkeit eine von der anderen unterscheiden.

*

Bei diesen Spaltungen der Persönlichkeit oder vielmehr Erfindungen unterschiedlicher Persönlichkeiten lassen sich zwei Stufen oder Charaktere ausmachen, die der aufmerksame Leser an ihren unterschiedlichen Merkmalen erkennen wird. Auf der ersten Stufe ist die Persönlichkeit geprägt von eigenen Vorstellungen und Gefühlen, die sich von den meinen unterscheiden, desgleichen unterscheidet sie sich auf einer niedrigeren Ebene dieser ersten Stufe durch in Überlegungen und Argumenten dargelegte Vorstellungen, die entweder nicht die meinen oder mir unbekannt sind. Der Anarchistische Bankier[110]   ist ein Beispiel für diese niedrigere Ebene; das Buch der Unruhe und die Person des Bernardo Soares stellen die höhere Ebene dar.

Der Leser wird bemerken, daß, obgleich ich das Buch der Unruhe unter dem Namen eines gewissen Bernardo Soares, Hilfsbuchhalter in der Stadt Lissabon, veröffentliche, ich ihn dennoch nicht in die Fiktionen des Zwischenspiels mit aufgenommen habe. Und zwar aus folgendem Grund: Auch wenn sich Bernardo Soares von mir in seinen Vorstellungen, seinen Gefühlen, seiner Art zu sehen und zu verstehen unterscheidet, so doch nicht in der Art, in der er sie äußert. Er ist eine andere Persönlichkeit, der ich durch meinen mir eigenen natürlichen Stil Ausdruck verleihe, dabei unterscheidet uns einzig der unvermeidbar besondere Ton, der sich zwangsläufig aus der Besonderheit seiner Emotionen ergibt.