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Was will das heißen? Was ist das für eine Wahrheit, daß ein Film nicht irrt? Was ist das für eine Gewißheit, die eine kalte Linse dokumentarisch festhält? Wer bin ich, daß ich so sein kann? Gleichwohl … Und die Schmach des Gesamtbilds?

»Sie sind wirklich gut getroffen«, sagte plötzlich Moreira. Und dann an den Handelsvertreter gewandt: »Das ist doch genau sein Gesichtchen, nicht wahr?« Der Handelsvertreter stimmte freundlich heiter zu und beförderte mich somit auf den Müll.

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Und heute, wenn ich darüber nachdenke, was mein Leben bisher war, komme ich mir vor wie ein Tier, das man am angewinkelten Arm in einem Korb zwischen zwei Vorortbahnhöfen transportiert. Das Bild ist dumm, doch das Leben, das es beschreibt, noch weit dümmer. Solche Körbe haben für gewöhnlich zwei halbovale Deckel, die sich, wenn das Tier zappelt, an ihrem einen oder anderen äußeren Ende leicht heben. Der Arm des Korbträgers aber, der leicht längs auf dem Scharnier in der Mitte liegt, läßt nicht zu, daß ein so schwaches Ding mehr als vergeblich seine Glieder hebt, nutzlos wie Schmetterlingsflügel, die erlahmen.

Ich vergaß, daß ich von mir sprach, als ich den Korb beschrieb. Ich sehe ihn deutlich und auch den dicken, gebräunten Arm der Magd, die ihn trägt. Doch mehr als ihren mit Flaum bedeckten Arm gelingt mir nicht von ihr zu erspähen. Mir ist nicht wohl … wäre da nicht plötzlich diese belebende Frische […] von den weißen Tragbügeln und Bändern […], aus denen Körbe geflochten sind wie der Korb, in dem ich zapple, ein Tier zwischen zwei Haltestellen, die ich spüre. Zwischen ihnen ruhe ich mich aus, auf etwas, das eine Bank zu sein scheint, und draußen sprechen sie über meinen Korb. Beruhigt schlafe ich ein, bis man mich an der nächsten Haltestelle wieder hochhebt.

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Die Umgebung ist die Seele der Dinge. Jedes Ding hat seinen eigenen Ausdruck, und dieser Ausdruck kommt ihm von außen zu.

Jedes Ding ist der Schnittpunkt dreier Linien, und diese drei Linien bilden das Ding: eine bestimmte Quantität Materie, die Art, wie wir sie deuten, und die Umgebung, in dem es sich befindet. Der Tisch, an dem ich schreibe, ist ein Stück Holz, ist ein Tisch und eines von mehreren Möbeln in diesem Zimmer. Mein Eindruck von diesem Tisch wird, will ich ihn wiedergeben, aus den Feststellungen bestehen, daß er aus Holz ist, daß ich das Holz als Tisch bezeichne, ihm einen bestimmten Gebrauch und Zweck zuschreibe und daß sich die Gegenstände, die auf ihm liegen und in deren Nebeneinander er seine äußere Seele findet, in ihm spiegeln, in ihn eingehen und ihn verwandeln. Und seine Farbe, das Verblassen dieser Farbe, seine Flecken und Risse – all dies kam ihm wohlgemerkt von außen zu und verleiht ihm weit mehr Seele als das Holz, aus dem er besteht. Auch das Innere dieser Seele, sein Tischsein, seine Persönlichkeit, wurde ihm von außen verliehen.

Ich betrachte es daher weder als menschlich noch literarisch falsch, Dingen, die wir als seelenlos bezeichnen, eine Seele zuzuschreiben. Ein Ding sein heißt Gegenstand einer Zuschreibung sein. Vielleicht ist es falsch zu sagen, ein Baum fühlt, ein Fluß fließt, ein Sonnenuntergang ist melancholisch oder das stille Meer (blau dank eines nicht blauen Himmels) lächelt (dank einer Sonne außerhalb von ihm). Doch ebenso falsch ist es, Dingen Schönheit zuzuschreiben, Farbe, Form und womöglich sogar Sein. Dieses Meer ist salziges Wasser. Dieser Sonnenuntergang bedeutet, daß auf diesem Breiten- und Längengrad das Sonnenlicht weniger wird. Dieses Kind, das vor mir spielt, ist eine geistige Anhäufung von Zellen – ja, mehr noch, ein Uhrwerk subatomarer Bewegungen, ein merkwürdiges elektrisches Konglomerat von Millionen Sonnensystemen in minimalster Miniaturausgabe.

Alles kommt von außen, und die menschliche Seele selbst ist vielleicht nicht mehr als der Sonnenstrahl, der leuchtet und den Misthaufen, der unser Körper ist, vom Boden isoliert.

Diese Überlegungen könnten eine Philosophie enthalten für einen, der fähig wäre, aus ihnen Folgerungen zu ziehen. Ich bin es nicht, mir kommen nur von ungefähr klare Gedanken an logische Möglichkeiten, die sich alle trüben beim Anblick eines Sonnenstrahls, der einen Misthaufen, auf einem fast schwarzen Boden neben einer Steinmauer, wie dunkles, feucht zusammengepreßtes Stroh vergoldet.

So bin ich. Wenn ich denken will, sehe ich. Wenn ich in meine Seele hinabsteigen will, bleibe ich plötzlich an der Treppenspirale nach unten stehen und betrachte durch das Fenster des letzten Stockwerks selbstvergessen die Sonne, die mit ihrem Abschiedsrot die weite Landschaft der Dächer tränkt.

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Jedesmal, wenn sich meine Bestrebungen unter dem Einfluß meiner Träume über das Alltagsniveau meines Lebens erhoben und ich mich für einen Moment emporgetragen fühlte wie ein Kind auf seiner Schaukel, mußte ich wieder, wie dieses Kind, auf den Boden des Stadtparks kommen und meine Niederlage einsehen – ohne flatternde Kriegsbanner und ohne die Kraft, das Schwert zu zücken.

Ich vermute, die meisten Menschen, denen ich zufällig begegne, tragen ebenfalls – die stumme Bewegung ihrer Lippen, die vage Unschlüssigkeit ihrer Augen oder ihr bisweilen vernehmbares Gemurmel verraten es – in sich die Neigung zum Krieg eines bannerlosen Heeres. Und sie alle – ich wende mich um, die Rücken dieser armen Besiegten zu betrachten – werden wie ich die große schmähliche Niederlage zwischen Schlamm und Schilf erleben, ohne Mondlicht über den Ufern, ohne die Poesie der Sümpfe, jämmerlich und stümperhaft.

Alle haben wie ich ein überspanntes, trauriges Herz. Ich kenne sie gut: manche sind Ladengehilfen, andere Büroangestellte, wieder andere Geschäftsleute mit kleinen Geschäften, oder aber Eroberer von Kaffeehäusern und Tavernen und unwissentlich glorreich in der Ekstase ihres ichbezogenen Geredes oder aber selbstzufrieden wortkarg, wenngleich sie nichts zu verschweigen haben. Aber sie alle, die Ärmsten, sind Dichter und schleppen in meinen Augen wie ich in ihren Augen das Elend unserer gemeinsamen Unstimmigkeit mit sich herum. Bei ihnen wie bei mir liegt die Zukunft in der Vergangenheit.

Selbst jetzt, wo ich untätig im Büro sitze und alle außer mir zum Mittagessen gegangen sind, verfolgen meine Blicke durch das trübe Fenster hindurch den schwankenden alten Mann, der langsam auf dem Bürgersteig der anderen Straßenseite einhertorkelt. Er geht nicht wie ein Betrunkener; er geht wie ein Träumer. Er ist aufmerksam für das Nicht-Existierende; vielleicht hofft er noch. Die Götter mögen uns, wenn sie gerecht sind in ihrer Ungerechtigkeit, die Träume bewahren, selbst wenn sie unmöglich sind, und uns gute Träume schenken, auch wenn sie belanglos sein sollten. Heute kann ich, da ich noch nicht alt bin, von Inseln des Südens und unmöglichen indischen Landschaften träumen; morgen schenken mir vielleicht dieselben Götter den Traum, Inhaber eines kleinen Tabakladens zu sein oder als Pensionär in einem Haus in den Vorstädten zu leben. Jeder dieser Träume ist derselbe Traum, da sie allesamt Träume sind. Mögen mir die Götter meine Träume verändern, nicht aber die Gabe zu träumen nehmen.