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… die Welt, ein Misthaufen instinktiver Kräfte, der dennoch in der Sonne glänzt, strohgolden, in hellen und in dunklen Tönen.

Wenn ich es recht bedenke, sind für mich Seuchen, Unwetter und Kriege Auswüchse ein und derselben blinden Kraft, die entweder mittels unbewußter Mikroben vorgeht, unbewußter Blitze und Wassermassen oder mittels unbewußter Menschen. Der Unterschied zwischen einem Erdbeben und einem Massaker ist für mich der gleiche wie zwischen einem Mord durch ein Messer und einem Mord durch einen Dolch. Das den Dingen innewohnende Ungeheuer setzt – zu seinem Vor- wie zu seinem Nachteil, was ihm scheinbar einerlei ist – einen Felsblock auf einem Berg in Bewegung wie auch Eifersucht oder Gier in einem Herzen. Der Felsblock fällt herab und tötet einen Menschen; Gier oder Eifersucht bewaffnen einen Arm, und der Arm tötet einen Menschen. So ist die Welt, ein Misthaufen instinktiver Kräfte, der dennoch in der Sonne glänzt, strohgolden, in hellen und in dunklen Tönen.

Um dieser brutalen Gleichgültigkeit entgegenzutreten, die offenkundig den Kern aller Dinge ausmacht, haben die Mystiker die Ablehnung entdeckt. Die Welt verneinen, ihr den Rücken kehren wie einem Sumpf, an dessen Rand wir stehen. Sie verneinen wie Buddha, ihr die absolute Wirklichkeit absprechen; sie verneinen wie Christus, ihr die relative Wirklichkeit absprechen; verneinen […]

Ich habe vom Leben einzig erbeten, nichts von mir zu verlangen. Vor der Hütte, die ich nicht hatte, setzte ich mich in die Sonne, die nie schien, und genoß das künftige Alter meiner müden Wirklichkeit (froh, daß es noch nicht soweit war). Noch nicht gestorben zu sein genügt den im Leben Armen, und noch hoffen zu können […]

[ …] mich am Traum nur erfreuend, wenn ich nicht träume, mich der Welt nur erfreuend, wenn ich fern von ihr träume. Schwingendes Pendel, vor und zurück, sich rastlos bewegend, um nie anzukommen, auf ewig gefangen im doppelten Verhängnis eines Mittelpunkts und einer nutzlosen Bewegung.

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Ich suche mich, aber finde mich nicht. Ich gehöre zu Chrysanthemenstunden, makellos Vasen verlängernd. Gott hat aus meiner Seele etwas Dekoratives gemacht.

Ich weiß nicht, welch übertrieben prunkvolle, erlesene Besonderheiten meine Geisteshaltung bestimmen. Zweifellos liebe ich alles Schmückende, weil ich in ihm etwas wahrnehme, das übereinstimmt mit der Substanz meiner Seele.

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Die einfachsten Dinge, die wirklich einfachsten, die nichts halb-einfach machen kann, werden kompliziert, wenn ich sie lebe. Mitunter traue ich mich kaum, »Guten Tag« zu wünschen. Mir versiegt die Stimme, als sei es ungehörig kühn, diese Worte laut auszusprechen. Es ist eine Art Schamgefühl, zu existieren – anders kann ich es nicht nennen!

Die beständige Analyse unserer Empfindungen erzeugt eine neue Art des Fühlens, die dem als künstlich erscheint, der nur mit dem Verstand analysiert und nicht mit der Empfindung.

Mein Leben lang war ich metaphysisch nichtig, und lachhaft ernst. Nichts habe ich ernsthaft gemacht, sosehr ich auch wollte. In mir trieb ein boshaftes Schicksal sein Spiel.

Emotionen aus Kattun haben, aus Seide, aus Brokat! So seine Emotionen beschreiben können! Seine Emotionen beschreiben können!

In meiner Seele kommt göttliches Bedauern auf über alles, ein stilles, leidenschaftliches Verlangen, das Verdammen der Träume im Fleisch derer zu beweinen, die sie träumten … Und ich hasse ohne Haß alle Dichter, die Verse schrieben, alle Idealisten, die ihr Ideal [verwirklicht][24]   sehen wollten, all jene, die erreichten, was sie wollten.

Ziellos durchstreife ich die ruhigen Straßen, gehe, bis mein Körper müde ist wie meine Seele, bis mich jener äußerste, vertraute Schmerz schmerzt, der es genießt, daß man ihn spürt, sich selbst bemitleidet, unbestimmbar mütterlich, melodisch.

Schlafen! Einschlafen! Ruhe finden! Ein abstraktes Bewußtsein sein, bewußt nur seines ruhigen Atems, ohne Welt, ohne Gestirne, ohne Seele – ein totes Meer der Empfindungen, das eine Abwesenheit von Sternen spiegelt!

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Die Last, zu fühlen! Die Last, fühlen zu müssen!

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… die übermäßige Schärfe meiner Empfindungen oder vielleicht nur ihrer Äußerung oder genauer noch des zwischen beiden liegenden Verstandes, der aus meinem Wunsch nach Äußerung die fiktive Emotion entstehen läßt, die nur existiert, um geäußert zu werden: Vielleicht ist sie nur der Mechanismus in mir, der enthüllt, wer ich nicht bin.

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Es gibt eine Gelehrsamkeit erworbenen Wissens, die man im eigentlichen Sinne als Gelehrsamkeit bezeichnet, und eine Gelehrsamkeit des Verstehens, die man Kultur nennt. Es gibt aber auch eine Gelehrsamkeit der Sensibilität.

Die Gelehrsamkeit der Sensibilität hat nichts zu tun mit Lebenserfahrung. Die Lebenserfahrung lehrt uns so wenig, wie die Geschichte uns etwas lehrt. Wahre Erfahrung beruht auf einem verminderten Kontakt mit der Wirklichkeit und einer verstärkten Analyse dieses Kontaktes. So vertieft und erweitert sich unsere Sensibilität, denn alles ist in uns; wir müssen es nur suchen und zu suchen wissen.

Was ist reisen, und wozu dient es? Jeder Sonnenuntergang ist ein Sonnenuntergang, um ihn zu sehen, muß man nicht nach Konstantinopel. Und das Gefühl der Befreiung, das vom Reisen ausgeht? Das kann ich ebenso haben, wenn ich von Lissabon nach Benfica, in die Vorstadt, fahre, und zwar sehr viel intensiver als einer, der von Lissabon nach China reist, denn ist die Befreiung nicht in mir, erlange ich sie nirgendwo. »Jede Straße«, sagte Carlyle[25]  , »sogar die Straße von Entepfuhl führt dich ans Ende der Welt.« Aber folgt man der Straße von Entepfuhl ganz bis zum Ende, kommt man nach Entepfuhl zurück; derart, daß Entepfuhl, wo wir bereits waren, eben jenes Ende der Welt ist, das wir auszogen zu suchen.

Condillac[26]   beginnt sein berühmtes Buch mit dem Satz: »Wir mögen noch so hoch hinauf- und noch so tief hinabsteigen, über unsere Empfindungen kommen wir dabei nie hinaus.« Wir können nie aus uns selbst aussteigen. Es gelingt uns nie, ein anderer zu werden, es sei denn, wir andern[27]   uns durch unsere eigene Empfindung und Vorstellungskraft. Die wahren Landschaften sind jene, die wir uns erschaffen, denn als ihre Schöpfer sehen wir sie so, wie sie wirklich sind, das heißt, wie sie erschaffen wurden. Nicht einer der sieben Teile der Welt[28]   interessiert mich so, daß ich ihn wirklich sehen könnte; ich bereise den achten, und er ist mein.

Selbst wer alle Meere durchkreuzt hat, hat nur die eigene Eintönigkeit durchkreuzt. Ich habe schon mehr als alle Meere durchkreuzt. Ich habe schon mehr Berge gesehen als, die auf Erden. Ich habe schon mehr Städte bereist als die bestehenden, und die großen Flüsse unwirklicher Welten strömten ungehindert unter meinen sinnenden Blicken dahin. Ginge ich auf Reisen, fände ich nur das blasse Abbild dessen, was ich schon ohne Reisen sah.