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Für mich ist schreiben Selbstverachtung; aber ich komme nicht vom Schreiben los. Schreiben ist für mich wie die Droge, die ich verabscheue und doch nehme, wie das Laster, das ich verachte und von dem ich nicht lassen kann. Es gibt notwendige Gifte, und es gibt solche subtilster Art, aus Ingredienzien der Seele, Kräuter, gesammelt in den verborgenen Trümmern unserer Träume, schwarzer Mohn, gefunden an den Gräbern unserer Absichten, lange Blätter obszöner Bäume, die ihre Zweige an den hallenden Ufern der Höllenflüsse unserer Seele bewegen.

Ja, schreiben heißt mich verlieren, aber alle verlieren sich, denn alles ist Verlust. Doch ich verliere mich freudlos, nicht wie der Fluß in der Mündung, für die er namenlos dem Quell entsprang, sondern wie die Lache, zurückgelassen von der Flut am Strand, Wasser, das versickert, nie mehr zurückkehrt zum Meer.

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Ich stehe mit ungeheurer Mühe von meinem Stuhl auf, aber kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß ich ihn mit mir herumtrage und daß er so schwer wiegt, weil er der Stuhl der Subjektivität ist.

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Wer bin ich für mich? Nur eine meiner Empfindungen.

Mein Herz leert sich unwillkürlich wie ein löchriger Eimer. Denken? Fühlen? Wie doch alles Bestimmte ermüdet!

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So wie manche aus Langeweile arbeiten, schreibe ich zuweilen, wenn ich nichts zu sagen habe. Ich verliere mich in Träumereien, in die sich sonst verliert, wer nicht denkt, ich verliere mich schreibend, da ich in Prosa träumen kann. Und aus diesem Zustand des Nicht-Fühlens schöpfe ich so manch aufrichtiges Gefühl, so manch echte Emotion.

Es gibt Augenblicke, in denen die Leere, in der man sich leben fühlt, die Dichte eines positiven Zustands erreicht. Bei den großen Männern der Tat, insbesondere den Heiligen, die mit all ihren Emotionen handeln und nicht nur mit einem Teil, führt das Gefühl von der Nichtigkeit des Lebens ins Unendliche. Sie bekränzen sich mit Nacht und Sternen und salben sich mit Stille und Einsamkeit. Bei den großen Männern der Tatenlosigkeit, zu deren Zahl ich mich demütig rechne, führt das gleiche Gefühl zum unendlich Kleinen; wir ziehen an den Empfindungen wie an Gummibändern, um die Poren ihrer falschen, elastischen Beständigkeit sehen zu können.

Die einen wie die anderen lieben in solchen Augenblicken den Schlaf wie der gewöhnliche Mensch, der als bloßer Reflex der Gattung Mensch weder handelt noch nicht handelt. Schlaf ist die Verschmelzung mit Gott, das Nirwana, wie immer man es auch nennen mag; Schlaf ist die langsame Analyse der Empfindungen, ob man sie nun wie eine atomare Wissenschaft von der Seele einsetzt oder wie eine Musik des Willens, ein träges Anagramm der Eintönigkeit durchschläft.

Während ich schreibe, verweile ich bei den Worten wie vor Schaufenstern, in denen ich nichts sehe; nur Halbbedeutungen, Ausdrucksfetzen verbleiben mir wie die Farben nicht gesehener Stoffe, harmonische Ausstellungsstücke, zusammengestellt aus mir unbekannten Objekten. Ich schreibe und wiege mich in den Schlaf, wie eine über den Tod ihres Kindes irre gewordene Mutter.

Eines Tages, wann genau, weiß ich nicht, fand ich mich in dieser Welt; bis dahin hatte ich von Geburt an augenscheinlich fühllos gelebt. Wenn ich fragte, wo ich mich befände, führten mich alle in die Irre, und jeder widersprach dem anderen. Wenn ich fragte, was ich tun solle, waren alle unaufrichtig, und jeder sagte etwas anderes. Wenn ich unschlüssig stehenblieb, waren alle verwundert, daß ich den Weg, von dem keiner wußte, wohin er führte, nicht weiterging oder aber nicht umkehrte – ich, der ich, am Kreuzweg aufgewacht, nicht wußte, woher ich kam. Ich sah, daß ich auf der Bühne stand und die Rolle nicht beherrschte, die alle anderen sogleich aufsagten, ohne sie deshalb besser zu kennen. Ich sah, daß ich als Page gekleidet war, doch die Königin enthielt man mir vor und gab mir die Schuld. Ich sah, daß ich in meinen Händen eine Botschaft hielt, die es zu übermitteln galt, und als ich ihnen sagte, das Blatt sei unbeschrieben, lachten sie mich aus. Und noch immer weiß ich nicht, ob sie lachten, weil alle Blätter unbeschrieben sind oder alle Botschaften erraten werden müssen.

Zu guter Letzt setzte ich mich auf den Stein am Kreuzweg wie an den Herd, den ich nie hatte. Und allein mit mir, begann ich, Papierschiffchen aus der Lüge zu falten, die man mir aufgetischt hatte. Niemand wollte an mich glauben, nicht einmal als Lügner, und kein See war da, um meine Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen.

Müßige, verlorene Worte, wahllose Metaphern, die eine unbestimmte Angst schattenhaft verknüpft … Spuren besserer Stunden, verbracht, ich weiß nicht auf welchen Alleen … Lampe, deren Gold im Dunkel glänzt, in der Erinnerung an das erloschene Licht … Worte, nicht in den Wind geredet, sondern in den Boden, kraftlosen Fingern entglitten, wie die welken Blätter eines unsichtbar unendlichen Baums … Sehnsucht nach den Teichen ferner Güter … Zärtlichkeit für nie Geschehenes …

Leben! Leben! Und zumindest die Frage, ob es sich vielleicht nicht doch gut schlafen ließe auf Proserpinas Lager …

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Welch gebieterische Königin wahrt nahe ihren Seen die Erinnerung an mein zerbrochenes Leben? Ich war der Page von Alleen, die den beflügelten Stunden meiner blauen Ruhe nicht reichten. Ferne Karavellen vervollständigten das Meer, das von meinen Terrassen wogte, und in den Wolken des Südens verlor ich meine Seele wie ein entglittenes Ruder.

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In mir selbst einen Staat gründen, mit Politik, Parteien und Revolutionen, und dies alles selbst sein, Gott im wirklichen Pantheismus dieses Ich-Volkes, Wesen und Handeln seiner Körper, seiner Seelen, des Bodens, auf dem sie stehen, und das sein, was sie tun. Alles sein, sie sein und nicht sie sein. Weh mir, noch einer dieser Träume, die ich nicht zu verwirklichen vermag. Wenn ich ihn verwirklichen könnte, würde ich womöglich sterben, ich weiß nicht warum, aber nach etwas Derartigem kann man wohl kaum weiterleben, so groß ist das gegen Gott begangene Sakrileg, so groß die Usurpation der göttlichen Macht, alles zu sein.

Welch einen Genuß bedeutete es für mich, eine jesuitische Kasuistik der Empfindungen zu erschaffen!

Manche Metaphern sind wirklicher als die Menschen in den Straßen. Manche in Büchern verborgene Illustrationen leben sichtbarer als viele Männer und viele Frauen. Manche literarische Sätze besitzen ganz und gar menschliche Individualität. In meinen Schriften lassen mich manche Passagen vor Entsetzen erstarren, so deutlich empfinde ich sie als Wesen, so scharf abgehoben gegen die Wände meines Zimmers, bei Nacht, im Schatten … Ich habe Sätze geschrieben, deren Klang, wenn man sie laut oder leise liest – und man kann ihren Klang unmöglich verbergen –, gänzlich von etwas herrührt, das absolute Äußerlichkeit und vollständig Seele gewonnen hat.

Warum entwickle ich bisweilen widersprüchliche, unvereinbare Methoden des Träumens und Träumenlernens? Weil ich mich wahrscheinlich so sehr daran gewöhnt habe, das Falsche als das Wahre wahrzunehmen und das Geträumte so deutlich wie das Gesehene, daß ich die, wie ich meine, falsche menschliche Unterscheidungsfähigkeit zwischen Wahrheit und Lüge eingebüßt habe.

Es genügt, daß ich klar sehe, mit den Augen oder Ohren oder irgendeinem anderen Sinn, damit ich fühle, daß etwas wirklich ist. Es kann sogar vorkommen, daß ich zwei unvereinbare Dinge gleichzeitig wahrnehme. Das macht nichts.

Manche Geschöpfe sind imstande, Stunden hindurch zu leiden, weil es ihnen nicht möglich ist, eine Gestalt aus einem Gemälde oder einer Spielkarte zu sein. Auf manchen Seelen lastet es wie ein Fluch, in der heutigen Zeit kein Mensch des Mittelalters sein zu können. Darunter litt ich früher. Heute nicht mehr. Ich bin darüber hinausgewachsen. Doch schmerzt es mich, daß ich mich nicht als zwei Könige in verschiedenen Königreichen träumen kann, die Universen mit unterschiedlichen Räumen und Zeiten angehören. Dies nicht zu können bekümmert mich wirklich. Es schmeckt mir nach Hunger.