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Ironischer Zuschauer meiner selbst, habe ich jedoch nie mein Interesse am Treiben des Lebens verloren. Und da ich nun von vornherein um die Enttäuschung jeder noch so vagen Hoffnung weiß, erleide ich das besondere Vergnügen, Enttäuschung und Hoffnung gleichermaßen genießen zu können, ihren bitteren und süßen Beigeschmack, süßer noch angesichts alles Bitteren. Ich bin ein finsterer Stratege, der aus all seinen verlorenen Schlachten lernte, sich bereits am Vorabend jeder neu zu schlagenden Schlacht genußvoll und minutiös der Planung seines unvermeidlichen Rückzugs zu widmen.

Wie ein böser Geist hat mich mein Schicksal damit gequält, nur haben zu wollen, was ich wohlweislich nicht haben kann. Sehe ich auf der Straße einen Augenblick lang eine ehetaugliche Mädchengestalt und stelle mir für nur einen Augenblick gänzlich gleichgültig vor, wie es wäre, wenn sie die Meine würde, so trifft dieses Mädchen mit Gewißheit zehn Schritte nach meinem Traum den Mann, der ganz augenfällig ihr Ehemann oder Geliebter ist. Ein Romantiker machte daraus eine Tragödie; ein Fremder empfände dies als Komödie: Ich neige eher zur Tragikomödie, und da ich in meinem Inneren Romantiker bin und mir selbst fremd, blättere ich weiter zur nächsten Ironie.

Einige meinen, ohne Hoffnung sei das Leben undenkbar, andere, mit Hoffnung sei es leer. Für mich, der ich alles Hoffen oder Nichthoffen aufgegeben habe, ist das Leben schlicht ein äußeres Bild, das mich einschließt und das ich mir ansehe wie ein Schauspiel ohne Handlung, inszeniert nur, die Augen zu erfreuen – ein Tanz, dem etwas fehlt, sich bewegende Blätter im Wind, Wolken, in denen das Sonnenlicht die Farbe verändert, ein Gewirr alter Straßen, vorgezeichnet vom Zufall, in verschiedenen Vierteln der Stadt.

Ich bin weitgehend die Prosa, die ich schreibe. Ich entfalte mich in Sätzen und Passagen, ich bin mein Punkt und mein Komma und auf meiner haltlosen Suche nach Bildern ein Kind, das sich in Zeitungspapier wie ein König kleidet, und in dem Maße, in dem ich mit Wortreihen Rhythmen schaffe, kröne ich mich wie ein Verrückter mit verwelkten Blumen, die in meinen Träumen unvermindert blühen. Und bei alledem bin ich still wie eine Stoffpuppe, die, sich ihrer bewußt geworden, hin und wieder den Kopf schüttelt, damit das Glöckchen an ihrer Zipfelmütze (einem wesentlichen Teil des Kopfes) etwas zum Klingen bringt: das Leben eines Toten, als winzigen Hinweis an das Schicksal.

Wie oft aber kommt inmitten dieser friedlichen Unzufriedenheit im Bewußtsein meiner Emotion ein Gefühl der Leere und des Überdrusses auf, so denken zu müssen! Wie oft empfinde ich wie einer, der Stimmen hört hinter verklingenden und erklingenden Lauten, die Bitternis, die diesem, dem menschlichen Leben so fremden Leben zugrunde liegt – einem Leben, das nur im Bewußtsein dieses Lebens lebt! Wie oft erkenne ich nicht, aus meiner inneren Emigration erwachend, die ich bin, wie viel besser es wäre, für alle ein Niemand zu sein, dieser Glückliche, der zumindest die wirkliche Bitterkeit kennt, dieser Zufriedene, der Müdigkeit statt Überdruß verspürt, der leidet, statt zu glauben, er leide, der sich umbringt, ja, sich umbringt, statt dahinzusiechen!

Ich bin eine Romangestalt geworden, ein gelesenes Leben. Was immer ich fühle, fühle ich unwillentlich, damit ich niederschreiben kann, daß ich es gefühlt habe. Was immer ich denke, wird sogleich zu Worten, verbunden mit Bildern, die es auflösen, in Rhythmen aufgehen lassen, die etwas anderes bedeuten. Durch mein beständiges Mich-wieder-Zusammensetzen habe ich mich zerstört. Durch mein beständiges Mich-Denken bin ich meine Gedanken geworden, nicht aber ich selbst. Ich habe mich ausgelotet und das Lot fallen gelassen; und nun frage ich mich Tag für Tag, ob ich tief bin oder nicht, und habe als einziges Lot nur mehr meinen Blick, der mir klar auf schwarzem Grund im Spiegel eines tiefen Brunnens mein Gesicht zeigt, das mich, es betrachtend, betrachtet.

Ich bin wie eine Spielkarte, eine alte, unbekannte Farbe, die einzig verbliebene eines verlorengegangenen Spiels. Ich habe keinen Sinn, ich kenne meinen Wert nicht, ich habe nichts, womit ich mich vergleichen könnte, um mich zu finden, ich habe nichts, was mir helfen könnte, mich zu erkennen. Und so, mich Bild um Bild beschreibend – einmal mehr, einmal weniger wahrheitsgetreu –, bin ich eher in den Bildern als in mir selbst, sage, wer ich bin, bis ich nicht mehr bin, schreibe mit meiner Seele wie mit Tinte, einzig zum Schreiben zu gebrauchen. Doch meine Reaktion läßt nach, und ich resigniere erneut. Ich kehre in mich zurück, zu dem, was ich bin, auch wenn es nichts ist. Und etwas wie nicht geweinte Tränen brennt in meinen starren Augen, etwas wie eine nicht empfundene Angst sitzt mir rauh in der trockenen Kehle. Doch ich weiß nicht einmal, worüber ich geweint hätte, hätte ich es denn getan, noch warum ich es nicht getan habe. Die Fiktion folgt mir wie mein Schatten. Und ich möchte nur noch schlafen.

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Ich verspüre eine große Müdigkeit in der Seele meines Herzens. Mich betrübt, der ich niemals war, und ich weiß nicht, welcher Art die Sehnsucht ist, die meine Erinnerung an ihn wachruft. Ich bin gefallen, habe mich an Hoffnungen gestoßen und Gewißheiten – mit jedem Sonnenuntergang.

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Es gibt Menschen, die tatsächlich darunter leiden, daß sie im wirklichen Leben weder mit Mr.Pickwick zusammenleben noch Mr.Wardle die Hand schütteln konnten. Ich bin einer von ihnen. Ich habe wahre Tränen vergossen über diesem Roman, weil ich nicht in jener Zeit gelebt habe, mit jenen Menschen, wirklichen Menschen.

Die Dramen in Romanen sind immer schön, in ihnen fließt kein echtes Blut, die Toten verwesen nicht, noch ist die Fäulnis verfault.

Auch wenn Mr.Pickwick lächerlich wirkt, ist er es nicht, da er es in einem Roman ist. Vielleicht ist der Roman eine vollkommenere Wirklichkeit, ein vollkommeneres Leben, das Gott durch uns erschafft. Vielleicht existieren wir nur, um zu erschaffen. Zivilisationen existieren anscheinend, um Kunst und Literatur hervorzubringen; denn was von ihnen spricht und bleibt, sind Worte. Warum also sind diese außermenschlichen Figuren nicht wahr und wirklich? In meiner geistigen Existenz schmerzt mich die Vorstellung zutiefst, daß dies so sein könnte …

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Die Gefühle, die am meisten schmerzen, die Emotionen, die am meisten quälen, sind zugleich die absurdesten – das Verlangen nach Unmöglichem, weil genau es unmöglich ist, die Sehnsucht nach dem, was niemals war, der Wunsch nach dem, was hätte sein können, der Kummer, kein anderer zu sein, Unzufriedenheit mit der Existenz der Welt. All diese Halbtöne des seelischen Bewußtseins schaffen in uns eine schmerzliche Landschaft, einen ewigen Sonnenuntergang dessen, was wir sind. Unser Selbstgefühl ist dann ein verlassenes Feld in der Dämmerung, traurig mit Schilf an einem Fluß ohne Boote, der hell zwischen weiten Ufern dunkelt.

Ich weiß nicht, ob diese Gefühle Ausdruck einer allmählich in Wahnsinn umschlagenden Trostlosigkeit sind oder Nachklänge einer anderen Welt, in der wir vielleicht gelebt haben – sich überlappende, vermischende Nachklänge, wie im Traum erlebte Dinge, die uns absurd erscheinen, es aber nicht wären, könnten wir sie uns erklären. Ich weiß nicht, ob wir nicht andere Wesen waren, deren größere Vollständigkeit wir heute, als ihre Schatten, unvollständig wahrnehmen – sie haben ihre Festigkeit verloren, und wir können sie uns schlecht vorstellen in der Zweidimensionalität des von uns gelebten Schattens.