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Ich kann nicht viel anfangen mit metaphysischen Spekulationen, denn ich weiß nur zu gut und aus eigener Erfahrung, daß alle Systeme vertretbar und intellektuell vorstellbar sind; und um mich in der intellektuellen Kunst des Konstruierens von Systemen ergehen zu können, müßte ich vergessen können, daß das Ziel metaphysischer Spekulation die Suche nach der Wahrheit ist.

Eine glückliche Vergangenheit, deren Erinnerung mich glücklich macht, mit einer Gegenwart, in der nichts mich erfreut, nichts mein Interesse weckt, weder Träume noch eine mögliche Zukunft, die anders ist als diese Gegenwart oder eine andere Vergangenheit kennt als diese Vergangenheit; ich verbringe mein Leben in Grabeshaltung, bewußtes Gespenst eines Paradieses, in dem ich niemals war, totgeborener Leib künftiger Hoffnungen.

Glücklich, wer leidet und eins bleibt mit sich, wen die Angst ändert, aber nicht uneins werden läßt mit sich, wer glaubt, wenn auch im Unglauben, und in der Sonne sitzen kann ohne Vorbehalt.

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Fragmente einer Autobiographie[44]  

Anfangs beschäftigten mich metaphysische Spekulationen, später wissenschaftliche Ideen. Zu guter Letzt waren es soziologische […]. Doch in keinem dieser Stadien meiner Suche nach Wahrheit fand ich Sicherheit oder Erleichterung. Ich las wenig, durchforstete meine Interessensgebiete kaum. Das wenige aber, das ich las, ermüdete mich mit seinen vielen widersprüchlichen Theorien, die alle gleichermaßen wissenschaftlich begründet waren, alle gleichermaßen wahrscheinlich klangen und mit einer bestimmten Auswahl von Fakten übereinstimmten, die stets wirkte, als beinhaltete sie sämtliche Fakten. Wenn ich mit müden Augen von den Büchern aufsah oder die verstörte Aufmerksamkeit meiner Gedanken auf die äußere Welt richtete, sah ich nur eines, und dies strafte jeden Nutzen meiner Lektüre und meines Denkens Lügen und riß Blütenblatt um Blütenblatt aus meiner Vorstellung von dem, was Bemühen sei: die unendliche Komplexität der Dinge, die unermeßliche Summe […], die schier unmögliche Überprüfbarkeit selbst der wenigen Fakten, die unerläßlich wären, um darauf eine Wissenschaft zu gründen.

*

Ich entdeckte nach und nach die Enttäuschung, nichts zu entdecken. Ich fand weder Vernunft noch Logik, nur einen Skeptizismus, der nicht einmal nach einer ihn rechtfertigenden Logik suchte. Ich habe nie daran gedacht, mich davon zu heilen – warum auch? Und gesund sein, was hieß das? Woher nahm ich die Gewißheit, daß dieser Seelenzustand auf eine Krankheit hindeutete? Und wenn dem so war, wer garantiert uns, daß Krankheit nicht wünschenswerter, logischer oder […] ist als Gesundheit? Wenn die Gesundheit vorzuziehen ist, warum war ich dann krank, wenn ich es nicht von Natur aus war, und wenn dem so war, weshalb gegen die Natur angehen, die mich zu irgendeinem Zweck, sofern sie denn einen Zweck hat, anscheinend krank wollte?

Stichhaltige Argumente habe ich immer nur für die Trägheit gefunden. Mit jedem Tag durchdrang mich zunehmend das düstere Bewußtsein, daß ich ein aus Trägheit Entsagender war. Die Suche nach Formen der Trägheit, die Bereitschaft, jede persönliche Anstrengung zu fliehen, jede gesellschaftliche Verantwortung – aus diesem […] Material habe ich die gedachte Statue meiner Existenz geformt.

Ich ließ das Lesen, ließ davon ab, je nach Lust und Laune, dieser oder jener ästhetischen Lebensart anzuhängen. Lernte, dem wenigen, das ich las, nützliche Elemente für den Traum zu entnehmen. War bestrebt, von dem wenigen, das ich erlebte, nur zu bewahren, was sich als ferner, falscher Widerschein in meinem Innern weiter fortführen ließ. Ich bemühte mich, aus all meinen Gedanken und all den täglichen Kapiteln meiner Erfahrung einzig Empfindungen zu filtern. Ich gab meinem Leben eine ästhetische Ausrichtung und richtete diese Ästhetik auf das rein Persönliche aus. Machte sie ausschließlich zu der meinen.

Zudem war ich, um meinen inneren Hedonismus voranzutreiben, bestrebt, jede soziale Empfindsamkeit zu meiden. Ich panzerte mich zunehmend gegen das Gefühl des Lächerlichen. Ich übte mich in Gleichmut gegenüber den Appellen des Instinktes wie auch gegenüber den dringlichen Bitten des […]

Ich beschränkte meinen Kontakt zu anderen auf ein Mindestmaß. Ich tat mein Bestes, um alle Liebe zum Leben zu verlieren […]. Und meines Verlangens nach Ruhm entledigte ich mich nach und nach wie ein müder Mensch seiner Kleider, um zu ruhen.

*

Vom Studium der Metaphysik und der […] Wissenschaften ging ich zu geistigen Beschäftigungen über, die mein nervöses Gleichgewicht stärker erschütterten. Ich verbrachte bange Nächte über Bänden von Mystikern und Kabbalisten, deren Lektüre mir immer wieder ein Innehalten abverlangte, ich geriet ins Zittern und […]. Die Riten und Mysterien der Rosencreutzer, die […] Symbolik der Kabbala und der Templer, […] – all dies bedrückte mich lange. Das Fieber meiner Tage wurde durch giftige Spekulationen geschürt, basierend auf der dämonischen Logik der Metaphysik – Magie, […] Alchimie; die schmerzliche, fast übersinnliche Empfindung, mir würde sich jeden Augenblick ein höchstes Mysterium enträtseln, wirkte auf mich wie ein trügerisch lebensnotwendiger Stimulus. Ich verlor mich in den ekstatischen Sekundärsystemen der Metaphysik, Systeme voll verwirrender Analogien und Fallen für klare Gedanken, große geheimnisvolle Landschaften, in denen der Glanz des Übernatürlichen Mysterien an seinen Grenzen weckt.

Die Empfindungen haben mich alt werden lassen … Das Denken hat mich verbraucht … Und mein Leben wurde zu einem metaphysischen Fieber, entdeckte unentwegt einen verborgenen Sinn in den Dingen, spielte mit dem Feuer der geheimnisvollen Analogien, stellte die anfängliche Klarheit, die normale Synthese immer wieder hintan und würdigte sich so selbst herab [?].

Ich verfiel in eine vielschichtige, geistige Disziplinlosigkeit, gepaart mit völliger Gleichmut. Wo suchte ich Zuflucht? Mir scheint nirgendwo. Ich gab mich etwas Unbekanntem hin.

Ich konzentrierte und beschränkte meine Wünsche, um sie weiter verfeinern zu können. Um das Unendliche zu erreichen – und ich glaube, es kann erreicht werden –, brauchen wir einen Hafen, einen einzigen, sicheren Hafen, von dem aus wir aufbrechen – zum Unbestimmten.

Heute bin ich ein Asket meiner eigenen Religion. Eine Tasse Kaffee, eine Zigarette, und meine Träume sind ein vorzüglicher Ersatz für Universum und Sterne, Arbeit, Liebe, ja selbst Schönheit und Ruhm. Ich brauche so gut wie keine Stimulanzien. Opium habe ich in der Seele.

Was für Träume ich habe? Ich weiß es nicht. Ich habe mich gezwungen, an einen Punkt zu gelangen, an dem ich nicht mehr weiß, woran ich denke, wovon ich träume, was ich schaue. Mir scheint, ich träume aus immer weiterer Ferne und zunehmend das Unbestimmte, das Ungenaue, das Nichtschaubare.

Ich stelle keine Theorien über das Leben auf. Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist, ich denke nicht darüber nach. In meinen Augen ist es hart und traurig, mit hin und wieder angenehmen Träumen. Was geht mich an, was es für andere ist?

Anderer Leute Leben dient mir allein für meine Träume, in ihnen lebe ich das Leben, von dem ich denke, es könnte ihnen entsprechen.

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Denken heißt nichtsdestoweniger handeln. Nur in der absoluten Träumerei, in die nichts Aktives eingreift, in der letztlich sogar unser Bewußtsein von uns selbst im Schlamm versinkt – nur dort, in diesem lauen, feuchten Nicht-Sein, kann der völlige Verzicht auf alles Handeln erreicht werden.