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Jung noch, gingen wir einher unter den hohen Bäumen, dem unbestimmten Rauschen des Waldes. Die Lichtungen, vor denen wir auf unserem ziellosen Weg unversehens standen, wurden im Mondschein zu Seen, und ihre Ufer, ein Gewirr von Zweigen, waren dunkler als die Nacht selbst. Die unbestimmte Brise großer Wälder atmete hörbar in den Wipfeln. Wir sprachen über Unmögliches; und unsere Stimmen waren Teil der Nacht, des Mondscheins und des Waldes. Wir hörten sie, als gehörten sie anderen.

Der ungewisse Wald war nicht ohne jeden Weg. Unsere Schritte schlugen instinktiv unbekannte Pfade ein und schlängelten sich zwischen den Schattensprenkeln und dem unbestimmten Flimmern des harten, kalten Mondscheins hindurch. Wir sprachen über Unmögliches, und die ganze wirkliche Landschaft war ebenso unmöglich. 6

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Wir vergöttern die Vollkommenheit, da sie für uns unerreichbar ist; erreichten wir sie, wiesen wir sie von uns. Das Vollkommene ist unmenschlich, denn das Menschliche ist unvollkommen.

Der dumpfe Haß auf das Paradies – und dann, wie bei der armen Unglücklichen, das Hoffen auf eine ländliche Landschaft im Himmel. Denn weder abstrakte Ekstasen noch Wunder des Absoluten können eine fühlende Seele bezaubern; es sind vielmehr die Hütten und Hänge der Berge, die grünen Inseln blauer Meere, die Wege unter Bäumen und geruhsam lange Stunden auf alten Gütern, selbst wenn wir sie nie besitzen. Wenn es keine Erde im Himmel gibt, ist es besser, es gibt keinen Himmel. Dann soll alles nichts sein, und der Roman ohne Handlung soll enden.

Um Vollkommenheit zu erreichen, bedürfte es einer Kälte, die nicht menschlich ist, mit ihr aber würde das menschliche Herz erfrieren, das die Vollkommenheit lieben könnte.

Andächtig bewundern wir das Streben großer Künstler nach Vollkommenheit. Wir lieben dieses sich Annähern ans Vollkommene, insbesondere aber, weil es nur ein Annähern ist.

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Wie tragisch, nicht an die menschliche Fähigkeit zur Vervollkommnung zu glauben!

– Und wie tragisch, an sie zu glauben!

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Hätte ich König Lear geschrieben, ich hätte es für den Rest meines Lebens bereut. Denn dieses Werk ist so groß, daß seine gewaltigen, ungeheuerlichen Mängel selbst in Geringfügigkeiten zwischen bestimmten Szenen und der Vollkommenheit, die sie ahnen lassen, zutage treten. Dies ist keine Sonne mit Flecken, sondern eine geborstene griechische Statue. Der gesamte Text ist voller Fehler, mangelhafter Perspektiven, Ignoranz, läßt auf schlechten Geschmack schließen, Schwächen und mangelnde Sorgfalt. Ein Werk von einem Umfang zu schreiben, daß es ein großes Werk, und von einer Vollkommenheit, daß es überragend wird, hat keiner die göttliche Gabe und ist keinem je geglückt. Was nicht in einem Wurf gelingt, leidet unter den Unzulänglichkeiten unseres Geistes.

Bedenke ich dies, befällt meine Vorstellungskraft tiefe Traurigkeit, die schmerzliche Gewißheit, nie etwas Gutes und zum Nutzen der Schönheit schaffen zu können. Es gibt keine Methode, um Vollkommenheit zu erreichen, es sei denn, man ist Gott. Unsere größte Anstrengung dauert ihre Zeit; und während dieser Zeit durchlaufen wir verschiedene Seelenzustände, und jeder Seelenzustand beeinträchtigt, da er er und kein anderer ist, mit seiner Eigenart die Individualität eines Werkes. Schreiben wir, können wir uns nur sicher sein, daß wir schlecht schreiben; einzig das Werk, von dessen Verwirklichung wir nie träumen, ist groß und vollkommen.

Bleib, höre und habe Mitleid! Höre und sage mir dann, ob träumen nicht besser ist als leben. Arbeit bringt nichts. Anstrengung führt zu nichts. Sich enthalten ist das einzig noble und erhabene Verhalten, denn es erkennt, daß die Verwirklichung stets hinter der Absicht zurückbleibt und das geschaffene Werk immer ein grotesker Schatten des erträumten ist.

Könnte ich doch nur – in Worten, die man anschließend laut lesen und vernehmen könnte – die Dialoge der Personen meiner imaginären Dramen zu Papier bringen! Die Handlung dieser Dramen verläuft vollkommen, ohne Brüche, die Dialoge sind stimmig, doch zeichnet sich in mir die Handlung nicht in ihrem vollen Umfang ab, so daß ich sie niederschreiben könnte, noch besteht die Substanz dieser inneren Dialoge nicht im eigentlichen Sinne aus Worten, die ich aufmerksam hören und in eine schriftliche Form übertragen könnte.

Ich liebe einige lyrische Dichter, weil sie weder episch noch dramatisch waren, weil sie intuitiv wußten, daß es falsch wäre, mehr als den Augenblick eines Gefühls oder Traumes umsetzen zu wollen. Was man unbewußt schreiben kann, umfaßt das möglich Vollkommene. Kein Shakespeare-Drama stellt so zufrieden wie ein Gedicht von Heine. Heines Lyrik ist vollkommen, und jedes Drama – von Shakespeare oder wem auch immer – ist unvollkommen. Könnte man doch nur ein Ganzes erbauen, etwas komponieren, das einem menschlichen Körper gleichkäme, vollkommen und in sich stimmig in allen Bestandteilen, und voller Leben, einem Leben, gegründet auf Einheit und Einverständnis, das die unterschiedlichen Merkmale seiner Bestandteile vereinte!

Du, der du mich hörst und mir doch kaum zuhörst, kannst nicht ermessen, was für eine Tragödie dies ist! Vater und Mutter verlieren, weder Ruhm noch Glück erlangen, weder einen Freund noch eine Liebe haben – all das kann man ertragen, nicht aber von etwas Schönem zu träumen, das man weder in der Tat noch in Worten erreichen kann. Das Bewußtsein, daß eine Arbeit vollkommen ist, die Zufriedenheit, ein Werk abgeschlossen, geschaffen zu haben – wie sanft ist der Schlaf unter diesem schattigen Baum der Sommerstille!

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Wenn ich mich zurücklehne und nur von fern noch dem Leben angehöre, wie fließend diktiere ich da meiner Trägheit Sätze, die ich nie schreiben werde, wie genau beschreibe ich da in Gedanken Landschaften, die ich nie werde beschreiben können. Ich bilde Wort um Wort vollkommene Sätze, lasse im Geist ganze Dramen entstehen, spüre die Gesetzmäßigkeit des Versbaus langer Gedichte in allen Worten, und große Begeisterung folgt mir wie ein unsichtbarer Sklave in das Halbdunkel. Doch kaum mache ich vom Sessel, in dem ich mit diesen fast verwirklichten Empfindungen ruhe, nur einen Schritt auf den Tisch zu, um sie dort niederzuschreiben, flüchten die Worte, die Dramen sterben, und von dem vitalen Bestreben, dem rhythmischen Gemurmel Form zu geben, bleibt nur eine ferne Sehnsucht, ein letzter Sonnenstrahl über entlegenen Bergen, ein Wind, der Blätter aufwirbelt an einer verlassenen Schwelle, eine niemals aufgedeckte Verwandtschaft, die Orgie der anderen, die Frau, von der wir zu wissen meinen, daß sie sich nach uns umdreht, und die es doch nie geben wird.

Pläne – ich habe alle gehabt! Die Ilias, die ich komponierte, besaß eine strukturelle Logik, eine organische Verbindung der Epoden, wie Homer sie nicht zu erreichen vermochte. Verglichen mit der durchdachten Vollkommenheit meiner ungeschriebenen Verse wirken Vergils Präzision und Miltons Kraft gleichermaßen ärmlich. Meine allegorischen Satiren übertrafen alle Swifts in der symbolischen Genauigkeit ihrer planvoll miteinander verbundenen Details. Wie viele Verlaines bin ich gewesen!