Von Osten zogen Wolken auf, legten sich vor die Nachmittagssonne und ragten wie eine graue Wand hinter den blitzenden Warnlichtern auf. Sie öffnete die Autotür, stieg aus und starrte zwei Feuerwehrleute an, die ihren Blick ausdruckslos erwiderten.
Eine schwächere, wärmere Brise fuhr sanft durch ihre Haare. Die Luft roch feucht und schwül; vielleicht würde es heute Abend noch ein Gewitter geben.
Ein junger Sanitäter kam näher. Er machte ein professionellbesorgtes Gesicht und hielt ein Klemmbrett in der Hand. »Mrs.
Madsen?«
»Lang«, erwiderte sie. »Kaye Lang. Die Ehefrau von Saul.« Sie drehte sich um, weil sie ihre Gedanken sammeln wollte. Erst jetzt bemerkte sie das Polizeiauto, das auf der anderen Seite des Feuerwehrwagens stand.
»Mrs. Lang, wir sind von einer Miss Caddy Wilson angerufen worden.«
Caddy stieß die Fliegentür am Eingang auf und kam, gefolgt von einem Polizeibeamten, auf die Veranda. Die Tür fiel hinter ihr mit hölzernem Krachen zu — ein vertrautes, freundliches Geräusch, das plötzlich unheilverkündend wirkte.
»Caddy!« Kaye winkte. Caddy stürzte die wenigen Stufen hinunter, den leichten Baumwollrock mit den Händen zusammengerafft; die blassblonden Haare wehten in Strähnen hinter ihr. Sie war Ende vierzig, schlank, hatte muskulöse Unterarme, die Hände eines Mannes und ein hübsches, ehrliches Gesicht. Die großen braunen Augen blickten jetzt besorgt auf Kaye, gleichzeitig wirkten sie leicht panisch wie bei einem Pferd, das gleich durchgehen wird.
»Kaye! Ich bin heute Nachmittag ins Haus gekommen, wie immer …«
Der Sanitäter unterbrach sie. »Mrs. Lang, Ihr Mann ist nicht im Haus. Wir haben ihn nicht gefunden.«
Caddy sah den jungen Mann gekränkt an, als stehe es nur ihr zu, die Geschichte zu erzählen. »Im Haus sieht es schrecklich aus, Kaye. Überall Blut …«
»Mrs. Lang, Sie sollten vielleicht zuerst mit der Polizei sprechen.«
»Bitte!«, schrie Caddy. »Sehen Sie denn nicht, wie erschrocken sie ist?«
Kaye nahm Caddys Hand und machte leise »Psst«. Caddy rieb sich mit der Hand über die Augen, nickte und schluckte zwei Mal.
Der Polizeibeamte kam zu ihnen, ein großer Mann mit kräftigem Bauch, tiefschwarzer Haut, sauber über der hohen Stirn zurückgekämmten Haaren und väterlichem Gesicht: kluge, müde Augen, in denen das Weiße golden schimmerte. Erstaunlich, dachte sie, viel anziehender als die anderen auf der Wache.
»Missus …«, setzte der Polizist an.
»Lang«, half der Sanitäter.
»Missus Lang, Ihr Haus ist in einem Zustand …«
Kaye ging die Stufen zur Veranda hinauf. Sollten die anderen doch den rechtlichen Kram und den Papierkrieg erledigen. Erst musste sie sehen, was Saul angerichtet hatte, damit sie sich eine Vorstellung davon machen konnte, wo er sein könnte, was er seitdem vielleicht getan hatte … oder jetzt noch tat.
Der Polizist folgte ihr. »Hat Ihr Mann sich früher schon einmal etwas angetan, Missus Lang?«
»Nein«, stieß Kaye zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Er kaut nur an den Fingernägeln.«
Im Haus war es still bis auf die Schritte eines zweiten Polizisten, der die Treppe herunterkam. Irgendjemand hatte die Wohnzimmerfenster geöffnet. Die weißen Vorhänge bauschten sich über dem Polstersofa. Der zweite Beamte — über fünfzig, schmächtig und blass, mit einem Gesicht, das ständige Sorge ausstrahlte — sah eher wie ein Bestattungsunternehmer oder Leichenbeschauer aus.
Er setzte mit distanzierten, flüssigen Worten zum Reden an, aber Kaye drängte hinter ihm die Treppe hinauf. Der dickbäuchige Beamte folgte ihnen.
Saul hatte das Schlafzimmer übel zugerichtet. Die Schubladen waren herausgerissen, seine Kleidung lag überall verstreut. Ohne näher nachzudenken, wusste sie, dass er nach der richtigen Unterwäsche gesucht hatte, nach den richtigen Socken, passend zu einer besonderen Gelegenheit.
Ein Aschenbecher auf der Fensterbank war noch voller Zigarettenkippen. Camel, ohne Filter. Der harte Stoff. Kaye fand Tabakgeruch widerlich.
Das Badezimmer war voller Blutspritzer. In der Badewanne stand rosafarbenes Wasser auf halber Höhe, blutige Fußabdrücke zogen sich von dem gelben Badevorleger über das schwarzweiße Schachbrettmuster der Fliesen zu dem alten Teakholzfußboden und dann ins Schlafzimmer, wo sich die Blutspuren verloren.
»Wie theatralisch«, murmelte sie und blickte in den Spiegel; kleine Blutspritzer bedeckten das Glas und das Waschbecken. »Du lieber Gott. Doch nicht jetzt, Saul.«
»Haben Sie eine Ahnung, wohin er gegangen sein könnte?«, fragte der dickbäuchige Polizist. »Hat er sich das selbst angetan, oder ist jemand anderes im Spiel?«
Es war sicher das Schlimmste, was sie bisher gesehen hatte. Er musste ihr seine dunkelsten Gemütszustände verheimlicht haben, oder vielleicht hatte der Schub auch heimtückisch schnell eingesetzt und jeden Rest von Vernunft oder Verantwortungsgefühl überlagert. Den Beginn einer schweren Depression hatte er einmal als lange, dunkle Schattendecke beschrieben — eine Schattendecke, die Teufel mit schlaffen Gesichtern und zerknüllter Kleidung ihm über den Kopf zogen.
»Das war nur er, nur er«, sagte sie und musste hinter vorgehaltener Faust husten. Seltsamerweise war ihr nicht übel. Sie sah das Bett, ordentlich hergerichtet, die weiße Decke hochgezogen und sauber unter den Kissen gefaltet — Saul hatte versucht, Sinn und Ordnung in seine verdüsterte Welt zu bringen. Bei einem kleinen Ring aus Blutstropfen auf dem Holz neben ihrem Nachttisch blieb sie stehen. »Er ganz allein.«
»Mr. Madsen war manchmal sehr traurig«, sagte Caddy. Sie stand in der Schlafzimmertür, die langfingerige weiße Hand flach gegen den dunklen Türpfosten aus Ahornholz gedrückt.
»Hat Ihr Mann schon früher Selbstmordversuche unternommen?«, fragte der Sanitäter.
»Ja«, sagte sie. »Aber so schlimm war es nie.«
»Sieht aus, als hätte er sich in der Badewanne die Handgelenke aufgeschnitten«, meinte der dünne Polizist und nickte weise. Kaye entschloss sich, ihn Mister Tod zu nennen; der andere war Mister Bulle. Mr. Bulle und Mr. Tod konnten über das Haus sicher genauso viel sagen wie sie, vielleicht sogar mehr.
»Er ist aus der Wanne gestiegen«, sagte Mr. Bulle, »und dann …«
»Hat er sich die Handgelenke wieder zugebunden wie ein Römer, der seine Zeit auf Erden verlängern will«, sagte Mr. Tod.
»‘Tschuldigung, Ma’am.«
»Dann hat er sich angezogen und ist aus dem Haus gegangen.«
Genau, dachte Kaye. Sie hatten völlig Recht.
Kaye setzte sich auf das Bett und wünschte sich, sie wäre der Typ, der in Ohnmacht fällt. Der hier und jetzt aus der Szene aussteigt und anderen die Verantwortung überlässt.
»Mrs. Lang, wir könnten Ihren Mann vielleicht finden …«
»Er hat sich nicht umgebracht«, sagte sie. Sie deutete auf das Blut und dann matt in Richtung von Flur und Badezimmer. Sie suchte nach einem winzigen Hoffnungsschimmer, und einen Augenblick lang glaubte sie ihn fassen zu können. »Es war schlimm, aber … wie Sie schon sagten, er hat von sich aus damit aufgehört.«
»Missus Lang …«, setzte Mr. Bulle an.
»Wir müssen ihn finden und ins Krankenhaus bringen«, sagte sie. Bei dem plötzlichen Gedanken an die Möglichkeit, ihn doch noch zu retten, versagte ihr die Stimme, und sie brach leise in Tränen aus.
»Das Boot ist weg«, erklärte Caddy. Kaye stand mit einem Ruck auf und ging zum Fenster. Sie kniete sich davor auf einen Stuhl und blickte auf den kleinen Steg hinunter, der sich von der steinernen Kaimauer in das graugrüne Wasser der Bucht schob. Das winzige Segelboot lag nicht an seinem Platz.